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Ich riß den Kopf zur Seite. Die Klinge verfehlte mich und grub sich mit einem dumpfen Laut in den Türrahmen.

»Ausgezeichnet! Du hast eine Ausbildung genossen.«

Ich sah zum anderen Ende des Raumes. Hinter einem Schreibtisch stand ein Soldat.

»Könnte es sein, daß du der Scharlachroten Kaste angehörst?«

»Vielleicht.« Ich zog das Messer aus dem Holz, ohne den Mann hinter dem Schreibtisch dabei aus den Augen zu lassen.

»Du bist schnell«, sagte er. »Ausgezeichnet. Mincon hat sich nicht geirrt. Sein Urteil ist zuverlässig. Du bist ein Soldat.«

»Ich habe gekämpft«, sagte ich. »Zur Zeit stehe ich in niemandes Sold.«

»Tal, Rarius«, begrüßte er mich dann. »Grüße, Krieger.«

Ich musterte ihn. Er schien mir nicht zu jenen Männern zu gehören, die Passierscheine und Reisegenehmigungen ausstellten oder bürokratische Arbeiten erledigten.

Er trug keine Rangabzeichen. Seine Männer mußten sein Gesicht kennen. Seine Anwesenheit unter ihnen wäre nichts Unvertrautes; sie kannten ihn, ob im Feld oder beim Marsch, in den Minen, auf den Wehrmauern oder in den Gräben. Und er kannte sie. Er war ein hochgewachsener, eher hagerer Mann mit hohen Wangenknochen und grauen Augen. Das dunkle Haar wurde grau an den Schläfen, für Goreaner sehr ungewöhnlich. Er erinnerte mich leicht an Centius von Cos, allerdings fehlte ihm dessen Sanftheit. Er strahlte praktischen Verstand, Härte, Klugheit und Macht aus. Auf dem Tisch vor ihm lag ein Schwert, quer über den Staatsdokumenten.

»Tal, Rarius«, flüsterte ich.

»Tritt näher. Es war nur eine Probe. Ich habe sogar deine linke Seite genommen, um es dir zu erleichtern. Hab keine Angst.«

Ich ging auf ihn zu. Er setzte sich.

An der linken Schreibtischseite lag eine angekettete nackte Frau auf dem Boden. Sie war dunkelhaarig und wunderschön. Das überraschte mich nicht. Er war offensichtlich ein Mann von großer Kraft. Viele Goreaner glauben, daß die Frau ein Geschenk der Natur an den Mann ist, daß die Natur sie allein für seine Anregung, sein Vergnügen und zu seiner Verfügung geschaffen hat. Deshalb zögern Männer auch nur selten, sich dieses Geschenks zu bemächtigen. Sie sind sehr empfänglich für das Vergnügen, das Macht mit sich bringt, und der Versuch, sie zu erringen, ist etwas ganz Normales; sie wissen sie zu schätzen und zu genießen. Goreaner schämen sich solcher natürlicher und biologischer Triebe nicht. Tatsächlich wäre es vom Standpunkt eines Goreaners aus gesehen Wahnsinn, wegen solcher tiefsitzender, grundsätzlicher Bedürfnisse Schuldgefühle zu haben. Der Mann ist der Überlegene, es sei denn, er wäre krank. Ohne Herrschaft kann es keine richtige Erfüllung geben, und bemerkenswerterweise gibt es ohne die richtige männliche Erfüllung auch keine befriedigende weibliche Erfüllung.

»Wie nennst du dich?« fragte er.

»Tarl.«

»Du kommst aus Port Kar?«

»Ich habe dort Besitz.«

»Spionierst du für Ar?«

»Nein.«

»Oder für Cos?«

»Auch das nicht.« Ich legte das Messer vor ihn auf den Tisch.

»Aber ich vermute einmal, daß deine Sympathien bei Ar liegen.«

»Ich empfinde keine besondere Liebe für Ar«, antwortete ich. Einst hatte man mich aus der Stadt verbannt und mir Brot, Salz und Feuer verweigert.

»Gut«, sagte er. »So wird es dir leichter fallen, den Überblick zu behalten.«

»Du bist kein einfacher Offizier, von dem man Passierscheine bekommt.«

»Und du bist kein einfacher Soldat«, antwortete er. »Zur Zeit kaufen Dutzende Hauptmänner Kämpfer ein. Aber du stehst bei niemandem im Sold. Außerdem habe ich von Mincon erfahren, daß deine Finanzen recht beschränkt sind.«

Ich schwieg.

Er stand auf und versetzte der Frau einen Tritt. Sie zuckte zusammen und wimmerte; die Ketten klirrten.

»Was meinst du, Lady Cara?« fragte er.

»Ja, Herr. Ich halte es für möglich, Herr.«

Ich hatte den Eindruck, daß er tatsächlich ihre Meinung wissen wollte. Sie war noch keine Sklavin.

»Sie ist noch frei«, bemerkte ich.

»Ja.«

»Beschäme mich nicht, indem du mich in diesem Zustand hältst«, schluchzte sie. »Gib mir den Kragen und das Brandzeichen, damit ich in aller Öffentlichkeit stolz das sein kann, was ich sowieso schon bin.«

»Willst du die Peitsche spüren, Lady Cara?« fragte er.

Sie senkte den Blick.

»Das ist Lady Cara aus Venna«, stellte er sie vor. »Einst wurde sie dabei belauscht, wie sie verächtliche Bemerkungen über Tarnburg machte. Vielleicht nehme ich sie eines Tages dorthin mit und halte sie als Haussklavin.«

Die Frau stöhnte.

»Wenn du in Port Kar Besitz hast, dann gehe ich davon aus, daß du für Cos nicht viel übrig hast.«

»Das stimmt.« Ich hatte auf See gegen Cos und Tyros gekämpft. Beim letzten Karneval in Port Kar hatte ihr Ubar, Lurius von Jad, mir einen Attentäter auf den Hals gehetzt. Ich hatte ihm den eigenen Dolch ins Herz gejagt.

»Trotzdem bist du mit einer cosischen Nachschubkolonne gereist und hast diese Deckung dazu benutzt, dich in schwierigen Zeiten nach Süden durchzuschlagen. Das war eine verwegene, einfallsreiche und mutige Tat. Ich respektiere solche Taten.«

Das bezweifelte ich nicht. Und ich wußte auch, mit wem ich hier sprach. Diesen Mann bewunderte ich schon seit Jahren. Ich hatte seine Feldzüge und seine Strategien studiert. Und doch hatte mich nichts auf die Macht der Persönlichkeit vorbereitet, die ich in diesem Raum spürte, einem einfachen, kargen Raum mit einem großen Fenster, der gerade eben eines kleinen Funktionärs innerhalb von Torcodinos Bürokratie würdig war. Es erschien unpassend, daß ich diesem Mann hier begegnete statt auf einem Staatsbankett, einer Strategiebesprechung oder einem blutbefleckten Schlachtfeld. Er schien die Macht förmlich auszustrahlen. Das ist nur schwer zu erklären, man muß es spüren. Vielleicht hätte ich es in einer anderen Situation gar nicht wahrgenommen. Ich weiß es nicht. Es hatte nichts damit zu tun, daß er seine Autorität hervorkehrte oder sich prahlerisch benahm, denn dies war nicht der Fall. Oberflächlich gesehen schien er kaum mehr als einen einfachen Soldaten darzustellen, höchstens einen bescheidenen, aufmerksamen, tüchtigen Offizier. Doch unter dieser Oberfläche spürte ich mehr. Vielleicht waren es unterbewußt aufgenommene Hinweise. Ich bezweifelte nicht, daß er sehr warmherzig, charmant und gastlich sein konnte, wenn er wollte. Vielleicht hatte er sogar seinen Spaß an Witzen, vielleicht machte es Spaß, mit ihm zu trinken. Seine Männer würden für ihn sterben. Ich vermutete, daß er sehr einsam war. Und es bedeutete zweifellos den Tod, wenn man sich seinem Willen widersetzte.

»Ich vermute, du wolltest nach Ar.«

»Ich habe dort Geschäfte zu erledigen.«

»Kennst du das Voskdelta?«

»Ich habe es einmal durchreist.«

»Erzähl mir davon.«

»Es ist tückisch und hat keine Straßen. Es bedeckt über tausend Quadratpasang. Es ist verseucht mit Insekten, Schlangen und Tharlarion. Im Schilf schwimmen sogar Marschhaie herum. Es gibt wenig festen Grund. Die Gewässer sind gewöhnlich seicht und reichen einem großen Mann selten höher als bis zur Brust. Der Boden ist trügerisch. Es gibt viel Treibsand. Das Voskdelta trennt Port Kar vom Osten ab. Allein ein paar Schilfbauern finden sich dort zurecht. Aus praktischen Beweggründen hält man es für Verkehr und Handel verschlossen.«

»Den Eindruck hatte ich auch.«

»Warum fragst du?«

»Verstehst du etwas von militärischen Dingen?« wollte er wissen.

»Ein wenig.«

»Weißt du, wer ich bin?«

»Ich glaube schon.«

»Warum haben wir Torcodino eingenommen?«

»Um die Invasion aufzuhalten«, sagte ich. »Um Ar die Zeit zu verschaffen, die es braucht, um zu den Waffen zu greifen. Es ist ein mächtiger und entscheidender Schlag. Torcodino ist Cos’ wichtigstes Depot für Vorräte und Belagerungsgerät. Das alles gehört jetzt dir. Mit diesen Vorräten kannst du Torcodino auf unbegrenzte Zeit halten. Cos fehlt jetzt die Ausrüstung, um dich zu vertreiben. Wegen des akuten Mangels an Nachschub wird Cos einige seiner Truppen aus der Gegend zurückziehen müssen. Vermutlich wird man die Verbände teilen müssen, man wird sie in alle möglichen Gegenden entsenden, um neue Lebensmittel herbeizuschaffen. So hast du deinen Feind auseinandergerissen und verstreut. Ich vermute, daß die Ausbürgerung der Zivilbevölkerung Torcodinos nicht nur politischen Beweggründen entspringt, um öffentlich Sorge, Großzügigkeit und Gnade zu zeigen. Es hat auch nicht nur praktische Gründe, um Lebensmittel zu sparen und mögliche cosische Sympathisanten aus deinem Rücken zu entfernen. Nein, die Zivilisten werden die Nachschubprobleme des Feindes noch verstärken.«