»Sie ist sogar noch mehr«, bemerkte er. »Sie war die Frau eines Generals.«
Die Gefangene wimmerte. Ihre Augen waren fast glasig vor Angst. Er ließ sie los. Ihr Kopf sackte nach unten, das lange schwarze Haar verhüllte ihren Körper.
Ich sah sie mir in Ruhe an. Sie trug weder schmückende Juwelen noch Sklavenseide. Es waren keine Kosmetika zu sehen, die einen anstachelten, sie ihr von den Lippen zu lecken und zu küssen. Es war kein Parfüm zu riechen, sondern nur Schweiß und Furcht. Sie war geschlagen worden, eine seltene Erfahrung für eine hochrangige Sklavin. Falls sie einst einen juwelenbesetzten goldenen Kragen getragen hatte, war er nicht länger vorhanden. Jetzt trug sie einen einfachen Eisenkragen, der mit einem Hammerschlag verschlossen worden war, einen Kragen, wie ihn jede Frau tragen konnte, die ein beliebiger Soldat aus einer brennenden Stadt mitgenommen hatte.
»Wie ist dein Namen, Liebes?« fragte er.
»Ich habe keinen Namen!« sagte sie schnell.
»Und wie war dein Name?«
»Lucilina.«
Er sah mich an. »Kennst du den Namen des Befehlshabers der cosischen Streitmacht im Süden?«
»Myron, Polemarkos aus Temos, Vetter des Lurius von Jad, des Ubars von Cos.«
»Und wie lautete der Name seiner Lieblingssklavin?«
»Lucilina, nehme ich an.«
»Sie war so habgierig, wie sie schön ist«, sagte er. »Sie hatte große Freiheiten im cosischen Lager, sie hatte sogar ihr eigenes Quartier, in dem Polemarkos sie besuchen konnte. In diesem Quartier gebot sie über eine Macht, die einer Ubara gleichkam, inmitten ihrer Kissen und Seide, umgeben von Schmuckkästchen, bedient von Sklavinnen, die ihr überlassen worden waren und über die sie grausam herrschte. Der Gunst ihres mächtigen und adligen Herrn sicher, geschätzt und verwöhnt, sammelte sie Macht, obwohl sie nur eine Sklavin war.«
Das Gehörte machte mich wütend. Eine Sklavin hatte keine Macht zu haben. Im Gegenteil.
»Ihr Einfluß auf Polemarkos wurde weithin bekannt. Sie besaß sein Ohr. Ein Wort reichte, und sie konnte eine Laufbahn fördern oder beenden. In ihren Zelten empfing sie Besucher und Bittsteller. Dutzende, die ihre Machtfülle erkannten, kamen bald und buhlten um ihre Gunst. Es gab Geschenke. Ihre Schmuckschatullen quollen über vor kostbaren Juwelen. Man brachte ihr Ringe, die einen Ubar aus der Gefangenschaft ausgelöst hätten. Ihre Kosmetikschatullen schmückten Parfüme, um die sie jede Ubara beneidet hätte.«
»Man hätte ihr besser eine Peitsche und Ketten gebracht.«
»Eines Tages kam ein Bittsteller, der ein Geschenk versprach, einen angeblich nur in Legenden existierenden Wein, den seltenen Falarian, einen Wein, der nur in Kennerkreisen bekannt ist, der so selten und kostbar ist, daß man mit ihm eine ganze Stadt kaufen könnte. Sie mußte den Wein natürlich kosten. Obwohl sie nur eine Sklavin war, wollte sie davon trinken.«
»Hochmütige Sklavin!« stieß ich hervor. Lucilina senkte zitternd den Kopf noch tiefer. Keine Sklavin trinkt Wein ohne die Erlaubnis des Herrn. Und selbst wenn sie es auf seinen Befehl hin tut, dann nur in seiner Anwesenheit und auf den Knien.
»Der Wein war natürlich zu kostbar, als daß ihn der Bittsteller mit sich führte«, fuhr er mit der Erzählung fort. »Er befand sich in seinem Zelt. Sie ruft ihre Sänfte, eine verdeckte Palankin, mitsamt den Sklaven und läßt sich dorthin tragen. Auf diese Weise kann sie alles vor ihren Dienern geheimhalten. Die Sklaven tragen sie oft in der verschlossenen Palankin im cosischen Lager umher. Das ruft nur noch wenig Aufmerksamkeit hervor. Im Zelt des Fremden kostet sie den Wein, verlangt sogar, daß er ihn ihr eingießt. Sie trinkt. Dann sieht sie den Fremden voller Überraschung an. Kann dieser Wein, der wie billiger Ka-la-na schmeckt, der seltene Falarian sein? Einen Augenblick später ist sie besinnungslos. Mit den Sänftenträgern ist natürlich vorher ein Abkommen getroffen worden. Sie erhalten ihre Freiheit. Das hätte auch anders gelöst werden können, aber so ist es besser. Die Männer waren bekannt. Hätten wir sie ausgetauscht, hätten wir nur das Wagnis erhöht. Zurückgelassen, wären sie vermutlich getötet worden, und zwar von den Cosianern, meiner Meinung nach eine unnötige und dumme Verschwendung guter Männer. Ich habe jetzt vier dankbare, treue Burschen mehr in meinen Rängen, von denen jeder freudig für mich stürbe.«
»Natürlich.«
»Man bringt die Sänfte ins Zelt. In der Zwischenzeit wird die Gefangene ausgezogen. Man legt sie bewußtlos in die Sänfte – gefesselt. Wenn sie erwacht, wird sie entdecken, daß sie kaum ein Glied rühren kann. Sie bekommt einen Knebel. Zum Abschluß werden die Vorhänge der Sänfte geschlossen. Jetzt kann sie transportiert werden.«
»Sie hat natürlich ein Betäubungsmittel getrunken.«
»Aber kein schweres«, sagte er. »Sie wird nur ein paar Ehn lang bewußtlos bleiben, nur wenig länger, als es dauert, sie auszuziehen, zu fesseln und zu knebeln. Wir wollen, daß sie hilflos dort liegt, in vollem Bewußtsein, was mit ihr geschieht.«
»Ausgezeichnet.«
»Mein Mann hat einmal nach ihr gesehen. Ihre Augen hatten einen wilden Ausdruck, sie kämpfte gegen den Knebel an. Mein Mann hat danach die Vorhänge wieder geschlossen.«
»Es ist ein einmaliges Bravourstück, Polemarkos von Temos Lieblingssklavin zu stehlen.«
»Wärst du nicht so habgierig und hochmütig gewesen, hätten wir nicht so leicht Erfolg gehabt, nicht wahr, meine Liebe?« fragte er an die Frau gewandt.
»Nein, Herr.«
»Aber heute bist du nicht mehr so hochmütig und habgierig, nicht wahr, meine Liebe?«
»Nein, Herr!«
»Wir brachten sie nach Torcodino. Wie du dich vielleicht erinnerst, hatte sie, obwohl sie eine Sklavin war, meinem Mann befohlen, ihr Wein einzuschenken.«
»Das habe ich nicht vergessen.«
»Natürlich durfte er sie als erster auspeitschen.«
»Ausgezeichnet.«
»Nach weiteren Bestrafungen war sie dann zum Verhör bereit.«
»Zum Verhör?«
»Aber selbstverständlich. Glaubst du etwa, ich hätte an dieser Schlampe ein persönliches Interesse?«
»Ich könnte verstehen, daß es einigen Männern so geht.«
»Sie ist eitel und oberflächlich«, sagte er. »Nicht wahr, meine Liebe?«
»Ja, Herr.«
»Ich dachte, du hättest sie stehlen lassen, um Myron den Polemarkos zu beleidigen.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Für ein solch unnötiges und willkürliches Unternehmen setze ich nicht das Leben meiner Männer aufs Spiel. Mein Augenmerk gilt der schnellen Verwirklichung bestimmter Ziele. Ich gönne mir nur selten solch flüchtige Eitelkeiten, es sei denn, sie unterstützen jene Ziele oder schaffen zumindest keine neuen Hindernisse. Solch eine Beleidigung, sosehr sie im Augenblick auch verletzen mag, würde keinen Feind sosehr mit Rachedurst erfüllen, daß er einen Fehler begeht. In dieser besonderen Situation würde diese Tat höchstens jeden Handel mit dem Polemarkos zusätzlich erschweren; dabei muß ich ihm bald glaubhaft vormachen, daß mir an ernsthaften Verhandlungen gelegen ist.«
»Und so wirst du dir Zeit erkaufen können.«
Er nickte. »Außerdem habe ich persönlich nichts gegen den Polemarkos. Er ist ein kluger, wenn auch schwacher Befehlshaber.«
»Trotzdem, wenn du mit dem Raub dem Polemarkos keine Beleidigung zufügen wolltest, warum hast du ausgerechnet sie stehlen lassen, wenn es dir nur um Informationen ging? Sie ist doch nur eine Sklavin.«
»Jetzt ist sie bloß eine Sklavin, aber zuvor war sie die Vertraute des Polemarkos. Mit ihrer Schönheit und ihrer Tücke hat sie sich beim ihm eingeschmeichelt, und es gab nur wenige Staatsgeheimnisse, die sie nicht auf die eine oder andere Weise in Erfahrung brachte. Sie war sogar bei einigen Strategiebesprechungen anwesend, verborgen hinter einem Schicklichkeitsschirm. Wie du dir sicherlich vorstellen kannst, fühlten sich einige der Offiziere dadurch sehr unwohl. In gewisser Weise lag es sogar an ihren verächtlichen Bemerkungen, die einigen Spionen zu Ohren gekommen waren, daß ich überhaupt erst auf sie aufmerksam wurde und ihre Bedeutung erkannte.« Er hielt inne. »Bist du jetzt noch wichtig, meine Liebe?«