»Ich bin nicht hergekommen, um Obst zu essen.« Stannis kochte vor Zorn.
»Mylords!«, rief Catelyn. »Wir sollten die Bedingungen für ein Bündnis besprechen, anstatt uns gegenseitig zu verhöhnen. «
»Dem Geschmack eines Pfirsichs sollte sich kein Mann verweigern«, sagte Renly, während er den Kern fortwarf. »Möglicherweise ist das seine letzte Chance. Das Leben ist kurz, Stannis. Denk dran, was die Starks sagen: Der Winter naht.« Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
»Ich bin auch nicht hergekommen, um mich bedrohen zu lassen.«
»Wurdest du auch nicht«, fauchte Renly zurück. »Wenn ich dir drohe, wirst du es schon merken. Um der Wahrheit willen, ich habe dich nie gemocht, Stannis, aber du bist von meinem Blut, und deshalb möchte ich dich nicht töten. Wenn du also Sturmkap möchtest, nimm es … als Geschenk eines Bruders. So wie es Robert einst mir gab, reiche ich es an dich weiter.«
»Es gehört dir gar nicht. Dem Recht nach steht es mir zu.«
Seufzend drehte sich Renly halb im Sattel um. »Was soll ich bloß mit diesem Bruder anfangen, Brienne? Er nimmt meinen Pfirsich nicht an, meine Burg will er auch nicht, er ist nicht einmal zu meiner Hochzeit erschienen …«
»Wir wissen beide, dass deine Hochzeit ein Mummenschanz war. Vor einem Jahr wolltest du das Mädchen noch zu einer von Roberts Huren machen.«
»Vor einem Jahr wollte ich sie zu Roberts Königin machen«, entgegnete Renly, »aber was zählt das schon? Der Keiler hat Robert bekommen, und ich Margaery. Und sie ist als Jungfrau zu mir gekommen.«
»In deinem Bett wird sie vermutlich auch als solche sterben. «
»Oh, ich erwarte, dass ich im nächsten Jahr einen Sohn von ihr bekommen werde. Und nun, Stannis, wie viele Söhne hast du? Ach ja – keinen.« Renly lächelte unschuldig. »Und was deine Tochter betrifft, so kann ich dich verstehen. Wenn meine Frau so aussähe wie deine, würde ich auch lieber den Narren zu ihr schicken.«
»Genug!«, brüllte Stannis. »Ich lasse mich nicht verhöhnen, verstanden? Das lasse ich nicht zu!« Er riss das Langschwert aus der Scheide. Der Stahl glänzte seltsam hell im fahlen Sonnenlicht, mal rot, mal gelb, mal blendend weiß. Die Luft um die Klinge herum schien wie von Hitze zu flimmern.
Catelyns Pferd wieherte und trat einen Schritt zurück, doch Brienne, die ebenfalls das Schwert gezogen hatte, ritt zwischen die beiden Brüder. »Steckt Eure Klinge ein«, schrie sie Stannis an.
Cersei Lennister lacht sich tot, dachte Catelyn müde.
Stannis deutete mit der schimmernden Klinge auf seinen Bruder. »Es ist nicht so, als würde ich keine Gnade kennen«, donnerte ausgerechnet er, der niemals Gnade walten ließ. »Und ich will Lichtbringer auch nicht mit dem Blut meines Bruders besudeln. Im Namen der Mutter, die uns beide zur Welt gebracht hat, werde ich dir eine Nacht Zeit lassen, deine Torheit zu überdenken, Renly. Senk deine Fahnen und komm vor der Dämmerung zu mir, dann werde ich dir Sturmkap und deinen alten Sitz im Rat geben und dich sogar zu meinem Erben ernennen, solange ich keinen Sohn habe. Verweigerst du dich mir, werde ich dich vernichten.«
Renly lachte. »Stannis, das ist ein sehr hübsches Schwert, das versichere ich dir, aber ich glaube, sein Glanz hat deine Augen getrübt. Schau einmal über das Feld, Bruder. Kannst du all die Banner dort sehen?«
»Meinst du, ein paar Ballen Tuch machen dich zum König? «
»Tyrells Schwerter machen mich zum König. Esch und Tarly und Caron machen mich zum König, mit Axt und Streithammer und Morgenstern. Pfeile von Tarth und Lanzen von Fünfrosen. Fossowey, Cuy, Mullendor, Estermont, Selmy, Hohenturm, Eichenherz, Kranich, Kaswell, Schwarzgitter, Morrigen, Biengraben, Schermer, Dunn, Fersen … sogar das Haus Florent, die Onkel und Brüder deiner eigenen Frau, sie alle machen mich zum König. Alle Ritter des Südens reiten an meiner Seite, und das ist noch der kleinste Teil meiner Macht. Meine Fußsoldaten folgen ihnen, hunderttausend Schwerter und Speere und Piken. Und du willst mich vernichten? Womit denn, bitte schön? Mit dem armseligen Pöbel, der sich da vor den Mauern der Burg drängt? Ich schätze sie großzügig auf fünftausend, Kabeljaulords, Zwiebelritter und Söldner. Die Hälfte des Haufens wird vermutlich zu mir überlaufen, ehe die Schlacht beginnt. Du hast nicht einmal vierhundert Berittene, berichten meine Kundschafter – freie Ritter in Lederharnischen, die meinen Gepanzerten nicht eine Minute standhalten werden. Mir ist es gleichgültig, für wie erfahren du dich als Krieger hältst, Stannis, dieses Heer wird nicht einmal den ersten Angriff meiner Vorhut überstehen.«
»Wir werden ja sehen, Bruder.« In der Welt schien es ein wenig dunkler zu werden, als Stannis sein Schwert in die Scheide zurückschob. »Im Morgengrauen werden wir es sehen. «
»Ich hoffe, dein neuer Gott kennt Gnade, Bruder.«
Stannis schnaubte und galoppierte voller Verachtung davon. Die Rote Priesterin verweilte noch kurz. »Ihr solltet Euch besser um Eure eigenen Sünden kümmern, Lord Renly«, sagte sie und riss ihr Pferd herum.
Zusammen kehrten Catelyn und Lord Renly ins Lager zurück, wo seine Tausende und ihre Wenigen warteten. »Es hat zwar nichts gebracht, war aber wenigstens amüsant«, bemerkte er. »Ich frage mich, wo ich ein solches Schwert bekommen kann. Nun, ohne Zweifel wird Loras es mir nach der Schlacht zum Geschenk machen. Ich bedauere, dass es so weit kommen musste.«
»Ihr habt eine fröhliche Art zu bedauern«, sagte Catelyn, die ihren Kummer nicht verbergen konnte.
»Ja?« Renly zuckte die Achseln. »Mag sein. Stannis war mir nie der liebste Bruder, das will ich gern zugeben. Glaubt Ihr, diese Geschichte ist wahr? Falls Joffrey wirklich der Sprössling des Königsmörders ist …«
»… wäre Euer Bruder der rechtmäßige Erbe.«
»Solange er lebt«, gab Renly zu. »Trotzdem ist es ein dummes Gesetz, stimmt Ihr mir da nicht zu? Warum der älteste Sohn und nicht der am besten geeignete? Die Krone passt mir, wie sie Robert nie passte und Stannis nie passen wird. Ich trage es in mir, ein großer König zu werden, stark und großzügig, klug, gerecht, gewissenhaft, meinen Freunden treu und Furcht erregend meinen Feinden gegenüber, dabei jedoch geduldig und zur Vergebung bereit …«
»… bescheiden«, ergänzte Catelyn.
Renly lachte. »Einen kleinen Makel müsst Ihr einem König schon zugestehen, Mylady.«
Catelyn fühlte sich sehr müde. Alle Mühe war vergeblich gewesen. Die beiden Baratheonbrüder würden sich gegenseitig zerfleischen, während ihr Sohn allein den Lennisters entgegentreten musste, und sie konnte nichts sagen oder tun, um das zu verhindern. Höchste Zeit, dass ich nach Schnellwasser zurückkehre, um meinem Vater die Augen zu schließen, dachte sie. Wenigstens das kann ich tun. Ich mag ein schlechter Unterhändler sein, doch trauern kann ich gut, mögen die Götter mich beschützen.
Das Lager lag auf einem steinigen Hügel, der sich in Nord-Süd-Richtung erstreckte. Es war weit ordentlicher als das ausgedehnte Lager am Mander, allerdings auch nur ein Viertel so groß. Als Renly von dem Überfall seines Bruders auf Sturmkap erfahren hatte, hatte er das Heer geteilt, wie Robb es bei den Zwillingen getan hatte. Seine zahllosen Fußsoldaten waren in Bitterbrück bei seiner jungen Königin geblieben; ebenso die Wagen, Karren, Zugtiere und die sperrigen Belagerungsmaschinen, während Renly die Ritter und berittenen Söldner persönlich in einem schnellen Marsch nach Osten geführt hatte.
Wie er seinem Bruder Robert ähnelte, sogar in dieser Hinsicht, nur hatte Robert stets Eddard Stark gehabt, der seine Verwegenheit mit Vorsicht dämpfte. Ned hätte gewiss darauf bestanden, dass Robert seine gesamte Streitmacht herbrachte, Stannis umzingelte und den Belagerer belagerte. Diese Möglichkeit hatte Renly außer Acht gelassen und war einfach Hals über Kopf losgestürzt. Der Versorgungstross mit all seinen Wagen, Maultieren und Ochsen lag mehrere Tage hinter ihm, und so musste es bald zur Schlacht kommen, oder er würde sein Heer nicht ernähren können.