»Ich beabsichtige nicht, mich hier belagern zu lassen.« Roose Bolton sprach mit leiser Stimme, und die Männer mussten die Ohren spitzen, um ihn zu verstehen, deshalb war es in seinem Zimmer auch immer so eigenartig leise.
»Was dann?«, wollte Ser Jared Frey wissen, ein dünner, kahlköpfiger Mann mit Pockennarben. »Ist Edmure Tully so trunken von seinem Sieg, dass er mit dem Gedanken spielt, Lord Tywin eine offene Feldschlacht zu liefern?«
Wenn er das tut, wird er sie schlagen, dachte Arya. Er wird sie schlagen wie am Roten Arm. Unbemerkt stellte sie sich hinter Qyburn.
»Lord Tywin ist viele Meilen von hier entfernt«, erwiderte Bolton ruhig. »Er hat in Königsmund eine Menge zu klären. In nächster Zeit wird er nicht wieder nach Harrenhal marschieren. «
Ser Aenys schüttelte stur den Kopf. »Ihr kennt die Lennisters nicht so gut wie wir, Mylord. König Stannis hat auch geglaubt, Lord Tywin sei tausend Meilen entfernt, und das war sein Untergang.«
Der blasse Mann im Bett lächelte schwach, während die Egel an seinem Blut saugten. »Ich bin kein Mann, der untergeht, Ser.«
»Selbst wenn Schnellwasser seine ganze Streitmacht schickt und der Junge Wolf siegreich aus dem Westen zurückkehrt, wie können wir hoffen, die Stärke zu erreichen, die Lord Tywin gegen uns ins Feld führen kann? Wenn er kommt, wird er ein wesentlich größeres Heer führen als am Grünen Arm. Rosengarten hat sich Joffreys Sache angeschlossen, darf ich Euch daran erinnern?«
»Das hatte ich nicht vergessen.«
»Ich war einmal Lord Tywins Gefangener«, ergriff Ser Hosteen das Wort, ein stämmiger Kerl mit eckigem Gesicht, dem man nachsagte, der Stärkste der Freys zu sein. »Ein zweites Mal möchte ich die Gastfreundschaft der Lennisters nicht genießen. «
Ser Harys Heckenfeld, der mütterlicherseits zu den Freys gehörte, nickte heftig. »Wenn Lord Tywin einen erfahrenen Krieger wie Stannis Baratheon besiegen kann, welche Chancen hat dann unser Knabenkönig gegen ihn?« Er blickte Unterstützung heischend in die Runde seiner Brüder und Vettern, und einige von ihnen stimmten murmelnd zu.
»Irgendjemand muss doch den Mut haben, es offen auszusprechen«, sagte Ser Hosteen. »Der Krieg ist verloren. König Robb muss das einsehen.«
Roose Bolton musterte ihn mit hellen Augen. »Seine Gnaden hat die Lennisters besiegt, wann immer er gegen sie in die Schlacht gezogen ist.«
»Er hat den Norden verloren«, beharrte Hosteen Frey. »Er hat sogar Winterfell verloren! Seine Brüder sind tot …«
Einen Augenblick lang stockte Arya der Atem. Tot? Bran und Rickon, tot? Was meint er damit? Wie meint er das mit Winterfell? Joffrey hätte Winterfell niemals einnehmen können, niemals. Robb hätte das nicht zugelassen. Dann erinnerte sie sich. Robb war nicht in Winterfell. Er war weit weg im Westen, Bran war verkrüppelt und Rickon erst vier. Sie musste ihre ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um still zu bleiben, so wie Syrio Forel es sie gelehrt hatte, einfach dazustehen wie ein Möbelstück. Die Tränen sammelten sich in ihren Augen, doch sie drängte sie zurück. Das stimmt alles nicht, das kann nicht wahr sein, das ist alles nur eine Lüge der Lennisters.
»Hätte Stannis gewonnen, sähe die Lage ganz anders aus«, meinte Ronel Strom wehmütig. Er war einer von Lord Walders Bastarden.
»Stannis hat verloren«, sagte Ser Hosteen. »Da können wir uns das Gegenteil wünschen, solange wir wollen, es ändert nichts. König Robb muss mit den Lennisters Frieden schließen. Er muss seine Krone ablegen und das Knie beugen, so wenig ihm das auch gefallen mag.«
»Und wer wird ihm das erklären?« Roose Bolton lächelte. »Schön, wenn man in solchen Zeiten so viele kühne Brüder hat. Ich werde über das nachdenken, was Ihr gesagt habt.«
Mit seinem Lächeln entließ er sie gleichzeitig. Die Freys verabschiedeten sich und schlurften hinaus, nur Qyburn, Stahlbein Walton und Arya blieben zurück. Lord Bolton winkte Arya zu sich. »Ich habe genug geblutet. Nan, nimm die Egel ab.«
»Sofort, Mylord.« Es war am besten, Roose Boltons Befehlen gleich nachzukommen. Arya wollte ihn fragen, was Ser Hosteen mit Winterfell gemeint hatte, doch sie getraute sich nicht. Ich werde Elmar fragen, tröstete sie sich. Elmar wird es mir erzählen. Die Egel, die sie vorsichtig vom Körper des Lords pflückte, zappelten träge in ihren Fingern und waren feucht und aufgebläht vom Blut. Es sind doch nur Egel, rief sie sich in Erinnerung. Wenn ich meine Hand zur Faust balle, würde ich sie zwischen den Fingern zerquetschen.
»Von Eurer Hohen Gemahlin ist ein Brief eingetroffen.« Qyburn zog eine Pergamentrolle aus dem Ärmel. Obwohl er die Robe eines Maesters trug, hing keine Kette um seinen Hals; es wurde getuschelt, er habe sie verloren, weil er sich mit Nekromantie beschäftigt habe.
»Lest ihn bitte vor«, sagte Bolton.
Lady Walda schrieb jeden Tag von den Zwillingen, doch ihre Briefe lauteten alle gleich. »Ich bete morgens, mittags, und abends für Euch, mein geliebter Lord«, schrieb sie, »und zähle die Tage, bis Ihr mein Bett wieder teilt. Kehrt bald zu mir zurück, und ich werde Euch viele Söhne schenken, die an die Stelle Eures teuren Domeric treten können und Grauenstein nach Euch regieren werden.« Arya stellte sich einen dicken rosafarbenen Säugling in einer Wiege vor, der mit dicken rosafarbenen Blutegeln bedeckt war.
Sie brachte Lord Bolton ein feuchtes Tuch, damit er seinen weichen, haarlosen Körper abwischen konnte. »Ich werde selbst einen Brief schreiben«, teilte er dem einstigen Maester mit.
»An Lady Walda?«
»An Ser Helman Tallhart.«
Vor zwei Tagen war ein Reiter von Ser Helman eingetroffen. Tallharts Männer hatten nach kurzer Belagerung die Burg der Darrys eingenommen und die Kapitulation der Lennister-Soldaten entgegengenommen.
»Schreibt ihm, er solle die Gefangenen töten und die Burg niederbrennen, und zwar auf Befehl des Königs. Dann soll er sich zu Robett Glauer gesellen und nach Osten gegen Dämmertal ziehen. Das Land dort ist reich und von den Kämpfen kaum berührt worden. Es ist Zeit, dass die Menschen dort den Krieg kennenlernen. Glauer hat eine Burg verloren und Tallhart einen Sohn. Mögen sie ihre Rache an Dämmertal nehmen.«
»Ich werde den Brief für Euer Siegel vorbereiten, Mylord. «
Arya freute sich, dass die Burg der Darrys abgebrannt werden sollte. Dorthin hatte man sie gebracht, als man sie nach ihrem Kampf mit Joffrey eingefangen hatte, und dort hatte die Königin ihren Vater gezwungen, Sansas Wolf zu töten. Die Burg hat es verdient niederzubrennen. Sie wünschte nur, Robett Glauer und Ser Helman würden trotzdem nach Harrenhal zurückkehren; sie waren zu früh aufgebrochen, noch ehe sie entschieden hatte, ob sie ihnen ihr Geheimnis anvertrauen konnte oder nicht.
»Heute werde ich jagen«, verkündete Roose Bolton, dem Qyburn in ein gestepptes Wams half.
»Ist das nicht gefährlich, Mylord?«, fragte Qyburn. »Erst vor drei Tagen wurden Septon Utts Männer von Wölfen angegriffen. Die Bestien sind bis in sein Lager gekommen, fast bis ans Feuer, und haben zwei Pferde getötet.«
»Gerade Wölfe will ich jagen. Wegen des Geheuls in der Nacht kann ich kaum noch schlafen.« Bolton schnallte sich das Gehänge um und rückte Schwert und Dolch zurecht. »Es heißt, die Schattenwölfe wären früher in großen Rudeln zu hundert Tieren oder mehr durch den Norden gestreift und hätten weder Mensch noch Mammut gefürchtet, aber das war vor langer Zeit in einem anderen Land. Trotzdem ist es seltsam, wenn die gewöhnlichen Wölfe im Süden so dreist werden.«