Sansa drängte sich durch die Ritter, Knappen und reichen Bürger auf der Galerie nach vorn, als Trompeten die Ankunft von Lord Tywin Lennister verkündeten.
Er ritt auf seinem Streitross durch die ganze Halle und stieg erst vor dem Eisernen Thron ab. Sansa hatte noch nie eine solche Rüstung gesehen; polierter roter Stahl, in den goldene Schneckenverzierungen eingelegt waren. Seine Schnallen waren wie Sonnenaufgänge, der brüllende Löwe, der seinen Helm krönte, hatte Augen aus Rubinen, und auf jeder Schulter hielt eine Löwin den Mantel aus Goldtuch, der so lang und schwer war, dass er sogar die Kruppe des Pferdes bedeckte. Auch die Panzerung des Tieres war vergoldet, und seine Schabracke war aus scharlachroter Seide und zeigte den Löwen der Lennisters.
Der Lord von Casterlystein bot einen so imposanten Eindruck, dass es ein Schock war, als sein Pferd genau am Fuße des Throns eine Ladung Äpfel fallen ließ. Joffrey musste dem Haufen ausweichen, als er hinunterging, seinen Großvater umarmte und ihn zum Retter der Stadt ernannte. Sansa bedeckte den Mund und verbarg ein nervöses Lächeln.
Joff bat seinen Großvater unter großem Aufheben, die Regierungsgewalt über das Reich zu übernehmen, und Lord Tywin übernahm Amt und Verantwortung feierlich, »bis Euer Gnaden das rechte Alter erreicht haben«. Dann nahmen ihm Knappen die Rüstung ab, und Joff legte ihm die Amtskette der Hand um den Hals. Lord Tywin nahm am Ratstisch neben der Königin Platz. Nachdem das Schlachtross hinausgeführt und seine Hinterlassenschaften entfernt worden war, nickte Cersei, und die Zeremonie nahm ihren Fortgang.
Ein Fanfarenstoß begrüßte jeden Helden, der durch die großen Eichentüren eintrat. Herolde verkündeten Namen und Großtaten der Eintretenden, damit jeder sie hörte, und die edlen Ritter und hochgeborenen Damen jubelten so ausgelassen wie Tagediebe bei einem Hahnenkampf. Der Ehrenplatz wurde Maes Tyrell zugestanden, dem Lord von Rosengarten, einem einst kräftigen Mann, der mittlerweile dick geworden war, jedoch trotzdem noch einen stattlichen Anblick bot. Ihm folgten seine Söhne; Ser Loras und sein älterer Bruder Ser Garlan der Kavalier. Alle drei hatten sich in grünen Samt gekleidet, der mit Zobel abgesetzt war.
Der König kam abermals von seinem Thron herunter und begrüßte sie, was eine große Ehre darstellte. Jedem legte er eine Rosenkette um, die aus weichem gelbem Gold gearbeitet war und an der jeweils eine goldene Scheibe hing, auf der der Lennister-Löwe mit Rubinen dargestellt war. »Die Rosen halten den Löwen, so wie Rosengarten das Reich erhält«, verkündete Joffrey. »Falls Ihr mich um eine Gunst bitten mögt, so sagt es nur, und ich will sie Euch gewähren.«
Und jetzt kommt’s, dachte Sansa.
»Euer Gnaden«, sagte Ser Loras, »ich erbitte mir die Ehre, in Eurer Königsgarde zu dienen und Euch gegen Eure Feinde zu verteidigen.«
Joffrey zog den Ritter der Blumen auf die Füße und küsste ihn auf die Wange. »Gewährt, Bruder.«
Lord Tyrell neigte den Kopf. »Es gibt kein größeres Vergnügen, als dem König zu dienen. Wenn Ihr mich für würdig erachtet, Mitglied in Eurem königlichen Rate zu werden, so werdet Ihr keinen treueren und rechtschaffeneren Mann finden.«
Joff legte Lord Tyrell die Hand auf die Schulter und küsste ihn, nachdem er sich erhoben hatte. »Euer Wunsch sei gewährt. «
Ser Garlan Tyrell, der fünf Jahre älter war als Ser Loras, war das größere und bärtige Abbild seines berühmteren jüngeren Bruders. Seine Brust war breiter, und er war kräftiger in den Schultern, und doch war sein Gesicht ansehnlich genug, wenngleich ihm Ser Loras’ außerordentliche Schönheit fehlte. »Euer Gnaden«, sagte Garlan, als der König nun auf ihn zutrat, »ich habe eine jungfräuliche Schwester, Margaery, der Glanz unseres Hauses. Einst war sie mit Renly Baratheon vermählt, wie Ihr wisst, doch Lord Renly brach in den Krieg auf, bevor die Ehe vollzogen werden konnte, und deshalb ist meine Schwester noch unschuldig. Margaery hat Geschichten von Eurer Weisheit, Eurem Mut und Eurer Ritterlichkeit gehört, und so hat sie aus der Ferne begonnen, Euch zu lieben. Ich ersuche Euch daher, lasst sie holen und vermählt Euch mit ihr, um Euer Haus und das meine auf alle Zeiten zu verbinden.«
König Joffrey tat, als sei er überrascht. »Ser Garlan, die Schönheit Eurer Schwester ist in den Sieben Königslanden weithin bekannt, doch ich bin einer anderen versprochen. Ein König muss sein Wort halten.«
Königin Cersei erhob sich mit raschelnden Röcken. »Euer Gnaden, nach Ansicht Eures Kleinen Rats wäre es weder angemessen noch weise, die Tochter eines Mannes zu heiraten, der wegen Hochverrats hingerichtet wurde, ein Mädchen, dessen Bruder sich zur offenen Rebellion gegen Euch erhoben hat. Herr, Eure Berater bitten Euch zum Wohle des Reiches, lasst von Sansa Stark ab. Lady Margaery wäre eine weitaus passendere Königin an Eurer Seite.«
Wie ein Rudel abgerichteter Hunde brachten die Lords und Ladys in der Halle ihre Vorliebe zum Ausdruck. »Margaery! «, riefen sie. »Wir wollen Margaery!« und »Keine Verräterkönigin! Tyrell! Tyrell!«
Joffrey hob die Hand. »Ich würde die Wünsche meines Volkes gern erfüllen, Mutter, aber ich habe ein heiliges Versprechen gegeben.«
Der Hohe Septon trat vor. »Euer Gnaden, den Göttern sind Verlöbnisse heilig, doch Euer Vater, der selige König Robert, hat dieses Bündnis geschlossen, ehe die Starks von Winterfell ihre Falschheit offenbart haben. Ihre Verbrechen gegen das Reich befreien Euch von jedem Versprechen, das Ihr gegeben habt. Soweit es den Glauben betrifft, besteht zwischen Euch und Sansa Stark kein gültiger Heiratsvertrag.«
Lauter Jubel brach im Thronsaal aus, und erneut wurde »Margaery, Margaery!« gerufen. Sansa beugte sich vor und umklammerte das Geländer der Galerie. Was als Nächstes folgte, wusste sie, trotzdem fürchtete sie sich vor dem, was Joffrey sagen würde, fürchtete, dass er sie selbst jetzt nicht freigeben würde, wo doch sein ganzes Königreich davon abhing. Sie fühlte sich wie damals auf den Marmorstufen der Großen Septe von Baelor, als sie auf den Gnadenspruch des Prinzen für ihren Vater gewartet und stattdessen seinen Befehl an Ilyn Payn gehört hatte, ihm den Kopf abzuschlagen. Bitte, betete sie fieberhaft, lasst es ihn sagen, lasst es ihn sagen.
Lord Tywin sah seinen Enkel an. Joff erwiderte den Blick mürrisch, trat von einem Fuß auf den anderen und half Ser Garlan Tyrell auf. »Die Götter sind gut. Ich bin frei, meinem Herzen zu folgen. Ich werde Eure Schwester ehelichen und das mit Freuden, Ser.« Er küsste Ser Garlan auf die bärtige Wange, und erneut wurde Jubel laut.
Sansa verspürte eine eigentümliche Benommenheit. Ich bin frei. Sie fühlte die Blicke auf sich ruhen. Aber ich darf nicht lächeln, erinnerte sie sich. Die Königin hatte sie gewarnt; gleichgültig, wie ihr im Innersten zu Mute wäre, müsste sie der Welt ein betrübtes Gesicht zeigen. »Ich wünsche keine Demütigung für meinen Sohn«, hatte Cersei gesagt, »hast du verstanden?«
»Ja. Aber wenn ich nicht Königin werde, was wird dann aus mir?«
»Darüber werden wir noch nachdenken. Fürs Erste bleibst du als Mündel an unserem Hof.«
»Ich will nach Hause.«
Das ärgerte die Königin. »Inzwischen solltest du begriffen haben, dass keiner von uns bekommt, was er will.«
Außer mir, dachte Sansa. Ich bin frei von Joffrey. Ich muss ihn nicht küssen, ihm nicht meine Jungfräulichkeit schenken, ihm keine Kinder gebären. Mag Margaery Tyrell das alles tun, die Arme.
Als der Lärm abgeklungen war, hatte sich der Lord von Rosengarten an den Ratstisch gesetzt, und seine Söhne hatten sich zu den anderen Rittern und kleinen Lords am Fenster gesellt. Sansa gab sich alle Mühe, verlassen und verzweifelt auszusehen, während die übrigen Helden der Schlacht am Schwarzwasser vor den Thron gerufen und belohnt wurden.