Jene, die während der Schlacht die Seiten gewechselt hatten, brauchten jetzt Joffrey lediglich den Treueid abzulegen, jene hingegen, die bis zum bitteren Ende für Stannis gekämpft hatten, wurden gezwungen, sich zu äußern. Ihre Worte entschieden über ihr Schicksal. Baten sie um Vergebung für ihren Hochverrat und versprachen, von nun an treu zu dienen, gewährte Joffrey ihnen den Frieden des Königs und gab ihnen ihre Ländereien und Rechte zurück. Eine Hand voll Männer blieb jedoch unbeugsam. »Glaubt nur nicht, diese Sache sei schon ausgefochten, Knabe«, warnte einer von ihnen, der Bastardsohn eines Florents, wie Sansa annahm. »Der Herr des Lichts beschützt König Stannis, jetzt und immerdar. All Eure Schwerter und all Eure Ränke werden Euch nicht retten, wenn seine Stunde gekommen ist.«
»Eure Stunde ist tatsächlich gerade gekommen.« Joffrey winkte Ser Ilyn Payn, den Verräter hinauszubringen und ihm den Kopf abzuschlagen. Doch sobald er hinausgezerrt war, rief einer der Ritter, auf dessen Brust das flammende Herz prangte, mit feierlicher Miene: »Stannis ist der wahre König! Auf dem Eisernen Thron sitzt ein Ungeheuer, eine Ausgeburt des Inzests!«
»Schweigt!«, brüllte Ser Kevan Lennister.
Stattdessen schrie der Ritter noch lauter: »Joffrey ist der schwarze Wurm, der am Herzen des Reiches nagt! Finsternis war sein Vater und Tod seine Mutter! Vernichtet ihn, ehe er Euch alle verdirbt! Vernichtet sie alle, die Hurenkönigin und den Wurmkönig, den abscheulichen Zwerg und die flüsternde Spinne, die falschen Blumen. Rettet Euch!« Einer der Goldröcke schlug den Mann zu Boden, trotzdem schrie er weiter: »Das reinigende Feuer wird kommen! König Stannis wird zurückkehren!«
Joffrey sprang auf. »Ich bin der König! Tötet ihn! Tötet ihn sofort. Ich befehle es.« Er vollführte mit der Hand eine wütende, hackende Geste … und schrie vor Schmerz auf, als sein Arm einen der scharfen Metallzähne streifte, die ihn umgaben. Der helle scharlachrote Samt seines Ärmels wurde an der Stelle, wo er vom Blut getränkt wurde, eine Spur dunkler. »Mutter!«, jammerte der Junge.
Da sich nun alle Blicke auf den König richteten, konnte der Mann auf dem Boden einem der Goldröcke irgendwie einen Speer entwinden, mit dessen Hilfe er sich auf die Beine erhob. »Der Thron versagt sich ihm!«, rief er. »Er ist nicht der rechte König!«
Cersei stürzte auf den Thron zu, doch Lord Tywin blieb still wie ein Stein. Er hob nur einen Finger, und Ser Meryn Trant trat mit gezogenem Schwert vor. Das Ende kam schnell und erbarmungslos. Die Goldröcke packten den Mann an den Armen. »Nicht der rechte König!«, brüllte er noch einmal, während Ser Meryn ihm die Spitze seines Langschwerts durch die Brust bohrte.
Joff fiel seiner Mutter in die Arme. Drei Maester eilten herbei und führten ihn zur Tür des Königs hinaus. Dann redeten plötzlich alle durcheinander. Als die Goldröcke die Leiche nach draußen schleppten, hinterließ sie eine leuchtend rote Blutspur auf dem Steinboden. Lord Baelish strich sich über den Bart, derweil Varys ihm etwas ins Ohr flüsterte. Werden sie uns nun endlich entlassen?, fragte sich Sansa. Zwanzig Gefangene warteten immer noch, um entweder Treue zu schwören oder den König zu verfluchen.
Lord Tywin erhob sich. »Wir fahren fort«, sagte er mit klarer lauter Stimme, die den Aufruhr zum Verstummen brachte. »Alle, die für ihren Hochverrat um Vergebung bitten möchten, sollen dies tun. Wir werden uns keine weiteren Torheiten bieten lassen.« Er trat vor den Eisernen Thron und setzte sich auf eine Stufe, knapp einen Meter über dem Boden.
Draußen schwand das Tageslicht bereits, als die Sitzung zu Ende war. Sansa fühlte sich ganz taub vor Erschöpfung, während sie die Galerie verließ. Sie fragte sich, wie schlimm Joffrey sich wohl geschnitten hatte. Es heißt, der Eiserne Thron kann sehr grausam zu denen sein, die kein Recht haben, darauf zu sitzen.
Endlich in ihrem Zimmer und in Sicherheit, drückte sie sich ein Kissen vors Gesicht und stieß einen lauten Jubelschrei aus. Oh, bei den guten Göttern, er hat es getan, er hat mich vor allen Leuten verstoßen. Das Dienstmädchen, das ihr Abendessen brachte, hätte sie beinahe geküsst. Es gab warmes Brot, frische Butter, eine dicke Rinderbrühe, Kapaun und Karotten, und zum Schluss Pfirsiche in Honig. Sogar das Essen schmeckt plötzlich viel besser.
Nach Einbruch der Dunkelheit legte sie einen Mantel an und machte sich auf den Weg zum Götterhain. Ser Osmund Schwarzkessel in seiner weißen Rüstung hielt Wache auf der Zugbrücke. Sansa tat ihr Bestes, um möglichst traurig zu klingen, als sie ihm einen guten Abend wünschte. So spöttisch, wie er sie anblickte, war sie nicht sicher, ob sie besonders glaubhaft gewesen war.
Dontos wartete im Mondlicht unter dem Laub. »Warum das traurige Gesicht?«, fragte Sansa ihn fröhlich. »Ihr wart doch dabei, Ihr habt es gehört. Joff hat die Verlobung gelöst, er ist fertig mit mir, er …«
Dontos ergriff ihre Hand. »Oh, Jonquil, meine arme Jonquil, Ihr begreift nicht. Fertig mit Euch? Sie haben gerade erst angefangen.«
Ihr Mut sank. »Wie meint Ihr das?«
»Die Königin wird Euch niemals gehen lassen, niemals. Ihr seid eine zu wertvolle Geisel. Und Joffrey … er ist noch immer König. Wenn er Euch in seinem Bett wünscht, wird er Euch nehmen, nur werden es nun Bastarde sein, die er mit Euch zeugt, und keine ehelichen Söhne.«
»Nein«, widersprach Sansa schockiert. »Er wird mich gehen lassen, er …«
Ser Dontos drückte ihr einen feuchten Kuss aufs Ohr. »Seid tapfer. Ich habe geschworen, Euch nach Hause zu bringen, und jetzt kann ich das auch tatsächlich tun. Der Tag steht bereits fest.«
»Wann?«, fragte Sansa. »Wann werden wir aufbrechen?«
»In der Nacht von Joffreys Vermählung. Nach dem Fest. Alles ist vorbereitet. Der Rote Bergfried wird voller Fremder sein. Der halbe Hof wird betrunken sein, die andere Hälfte wird Joffrey helfen, seine Braut ins Ehebett zu führen. Eine Weile lang wird man Euch vergessen, und die Verwirrung wird unser Verbündeter sein.«
»Die Hochzeit findet nicht vor der Mondwende statt. Margaery Tyrell ist in Rosengarten, sie haben erst jetzt nach ihr geschickt.«
»Ihr habt so lange gewartet, geduldet Euch noch ein wenig länger. Hier, ich habe etwas für Euch.« Ser Dontos kramte in seinem Beutel und zog ein silbernes Spinnennetz hervor, das zwischen seinen dicken Fingern baumelte.
Es war ein Haarnetz, das aus feinstem Silber gesponnen war, dessen Fäden so dünn und zart waren, dass das Netz nicht schwerer als ein Lufthauch zu sein schien, als Sansa es in die Hand nahm. Winzige Edelsteine waren an den Stellen befestigt, wo sich die Fäden kreuzten, dunkle Steine, die das Mondlicht in sich aufsaugten. »Was für Steine sind das?«
»Schwarze Amethyste aus Asshai. Die seltensten, die es gibt. Bei Tageslicht sind sie tief purpurn.«
»Es ist sehr hübsch«, sagte Sansa und dachte: Ich brauche ein Schiff und kein Haarnetz.
»Hübscher, als Ihr denkt, liebes Kind. Es hat Zauberkräfte, müsst Ihr wissen. Es bedeutet Gerechtigkeit. Rache für Euren Vater.« Dontos beugte sich vor und küsste sie abermals. »Es bedeutet Heimat.«
THEON
Maester Luwin kam zu ihm, als vor den Mauern die ersten Kundschafter auftauchten. »Mylord Prinz«, sagte er, »Ihr müsst Euch ergeben.«