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Theon starrte auf den Teller mit Haferkuchen, Honig und Blutwurst, den man ihm zum Frühstück gebracht hatte. Nach einer weiteren schlaflosen Nacht lagen seine Nerven blank, und schon beim Anblick des Essens wurde ihm übel. »Von meinem Onkel ist keine Antwort eingetroffen?«

»Nein«, erwiderte der Maester. »Und auch nicht von Eurem Vater auf Peik.«

»Schickt weitere Vögel.«

»Das wird nichts nutzen. Bis die Vögel am Ziel ankommen …«

»Schickt sie!« Er schleuderte den Teller von sich, warf die Decken zurück und erhob sich nackt und wütend aus Ned Starks Bett. »Oder wollt Ihr meinen Tod? Ist es das, Luwin? Sagt die Wahrheit.«

Der kleine graue Mann zeigte keine Furcht. »Mein Orden dient.«

»Ja, aber wem?«

»Dem Reich«, sagte Maester Luwin, »und Winterfell. Theon, einst habe ich Euch Rechnen und Schreiben, Geschichte und Kriegskunst gelehrt. Und ich hätte Euch noch mehr beigebracht, wenn Ihr nur hättet lernen wollen. Keineswegs will ich behaupten, dass ich große Liebe für Euch hege, nein, doch ich hasse Euch auch nicht. Selbst wenn ich es täte, solange Ihr Winterfell besetzt, bin ich durch meinen Eid verpflichtet, Euch mit Rat zur Seite zu stehen. Und deshalb rate ich Euch nun, Euch zu ergeben.«

Theon bückte sich, um seinen fleckigen Mantel vom Boden aufzuheben, schüttelte die Binsen ab und hängte ihn sich um die Schultern. Ein Feuer, ich will ein Feuer, und saubere Kleider. Wo ist Wex? Ich werde nicht in schmutzigen Gewändern in den Tod gehen.

»Ihr habt keine Hoffnung, Euch hier behaupten zu können«, fuhr der Maester fort. »Wenn Euer Hoher Vater beabsichtigte, Euch Hilfe zu schicken, wäre sie längst eingetroffen. Sein Augenmerk gilt mehr der Eng. Die Schlacht um den Norden wird in den Ruinen von Maidengraben ausgetragen.«

»Das mag sein«, sagte Theon, »und solange ich Winterfell halte, können Ser Rodrik und Starks Vasallen nicht nach Süden marschieren, um meinem Onkel in den Rücken zu fallen. « Ich bin in der Kriegskunst durchaus nicht so unbewandert, wie Ihr denkt, alter Mann. »Ich habe genug Vorräte, um ein Jahr Belagerung zu überstehen, wenn es sein muss.«

»Es wird keine Belagerung geben. Vielleicht brauchen sie ein oder zwei Tage, um Leitern zu bauen und Haken an Seile zu knoten. Dann aber werden sie an hundert Stellen gleichzeitig über die Mauern kommen. Möglicherweise könnt Ihr den Fried eine Weile halten, die Burg selbst wird in einer Stunde fallen. Daher wäre es das Beste, die Tore zu öffnen und um …«

»Um Gnade zu bitten? Ich kenne die Gnade, die sie für mich bereithalten.«

»Es wäre eine Möglichkeit.«

»Ich bin ein Eisenmann«, erinnerte Theon ihn. »Der hat nur eine Möglichkeit. Welche Wahl haben sie mir denn gelassen? Nein, antwortet nicht, ich habe genug von Euren Ratschlägen. Geht und schickt die Vögel aus, wie ich Euch befohlen habe, und sagt Lorren, ich will ihn sehen. Und Wex auch. Mein Kettenhemd muss saubergescheuert werden, und meine Männer sollen sich im Hof versammeln.«

Einen Augenblick lang dachte er, der Maester würde ihm widersprechen. Schließlich jedoch verneigte sich Luwin steif. »Wie Ihr befehlt.«

Es war eine Mitleid erregend kleine Truppe; die Eisenmänner waren nur wenige, und der Hof war groß. »Die Nordmannen werden uns noch vor Einbruch der Nacht erreicht haben«, teilte er ihnen mit. »Ser Rodrik Cassel und alle Lords, die seinem Ruf gefolgt sind. Ich werde nicht vor ihnen davonlaufen. Ich habe diese Burg eingenommen und ich beabsichtige, sie zu halten und als Prinz von Winterfell zu leben oder zu sterben. Aber ich werde keinem Mann befehlen, mit mir in den Tod zu gehen. Wenn ihr jetzt geht, ehe Ser Rodriks Truppen eingetroffen sind, habt ihr eine Chance durchzukommen. « Mit dem Langschwert zog er eine Linie in den Boden. »Die bleiben und kämpfen wollen, sollen vortreten.«

Niemand sagte etwas. Die Männer standen in Kettenhemden und Fellen und gehärtetem Leder so starr wie Steine da. Einige wechselten Blicke. Urzen scharrte mit den Füßen. Dykk Harlau räusperte sich und spuckte aus. Ein Windstoß zerzauste Endehars langes blondes Haar.

Theon fühlte sich, als würde er ertrinken. Warum überrascht es mich?, dachte er kalt. Sein Vater hatte ihn im Stich gelassen, sein Onkel, seine Schwester, sogar diese elende Kreatur Stinker. Warum sollten seine Männer ihm mehr Treue entgegenbringen? Es gab nichts zu sagen, nichts zu tun. Er konnte nur dastehen, hier unter der großen grauen Mauer und dem harten weißen Himmel, und mit dem Schwert in der Hand warten, warten …

Wex war der Erste, der die Linie überschritt. Drei rasche Schritte, und er stand mit hängenden Schultern auf Theons Seite. Von dem Jungen beschämt, folgte der Schwarze Lorren mit finsterer Miene. »Wer noch?«, fragte er. Der Rote Rolf trat vor. Kromm und Werlag. Tymor und seine Brüder. Ulf der Üble. Harrag Schafdieb. Vier Harlaus und zwei Botlins. Kenned der Wal war der Letzte. Siebzehn Mann insgesamt.

Urzen gehörte zu denen, die sich nicht rührten, ebenso Stygg und alle von den Zehn, die Asha aus Tiefwald Motte mitgebracht hatte. »Dann geht«, sagte Theon zu ihnen. »Lauft zu meiner Schwester. Sie wird euch herzlich willkommen heißen, daran zweifle ich nicht.«

Stygg hatte wenigstens den Anstand, verlegen auszusehen. Der Rest ging ohne ein Wort. Theon wandte sich an die siebzehn, die blieben. »Zurück auf die Mauer. Wenn die Götter uns verschonen, werde ich keinen von euch vergessen.«

Der Schwarze Lorren verweilte noch, nachdem die anderen sich aufgemacht hatten. »Die Burgbewohner werden sich gegen uns wenden, sobald der Kampf beginnt.«

»Ich weiß. Was würdest du dagegen unternehmen?«

»Werft sie raus«, sagte Lorren. »Alle.«

Theon schüttelte den Kopf. »Ist die Schlinge fertig?«

»Ja. Wollt Ihr sie benutzen?«

»Weißt du eine bessere Möglichkeit?«

»Ja. Ich nehme meine Axt und stelle mich auf die Zugbrücke, dann sollen sie sich doch an mich heranwagen. Einer nach dem anderen oder zwei, drei, vier, das spielt keine Rolle. Solange ich atme, wird niemand den Graben überqueren. «

Er will den Tod, dachte Theon. Er ist nicht auf den Sieg aus, sondern auf ein Ende, das eines Liedes wert ist. »Wir werden die Schlinge benutzen.«

»Wie Ihr sagt«, erwiderte Lorren. In seinen Augen lag Verachtung.

Wex half ihm, sich für die Schlacht zu kleiden. Unter einem schwarzen Überwurf und einem goldenen Mantel trug er ein gut geöltes Kettenhemd, und darunter gehärtetes Leder. Nachdem er Rüstung und Waffen angelegt hatte, stieg Theon in den Wachturm an der Ecke von Ost- und Südmauer hinauf, um sich sein heranziehendes Verhängnis anzuschauen. Die Nordmänner schwärmten aus und umzingelten die Burg. Ihre Zahl zu schätzen war schwierig. Mindestens tausend; vielleicht doppelt so viele. Gegen siebzehn. Sie hatten Katapulte und Skorpione mitgebracht. Belagerungstürme rumpelten nicht über den Königsweg hinauf, doch im Wolfswald gab es genug Holz, um so viele wie nötig zu bauen.

Theon betrachtete die Banner durch Maester Luwins Linsenfernrohr aus Myr. Wo er auch hinsah, überall flatterte die Streitaxt der Cerwyns tapfer im Wind, dazu die Bäume der Tallhart und der Wassermann von Weißwasserhafen. Weniger häufig waren die Wappen von Flint und Karstark. Hier und dort war sogar der Elch der Hornwalds zu sehen. Aber keine Glauers, um die hat sich Asha gekümmert, keine Boltons von Grauenstein, keine Umbers, die aus dem Schatten der Mauer in den Süden gezogen waren. Nicht, dass sie nötig gewesen wären. Bald darauf erschien der junge Cley Cerwyn mit dem Banner des Waffenstillstandes an einem langen Stab vor den Toren und verkündete, dass Ser Rodrik Cassel mit Theon dem Abtrünnigen verhandeln wollte.

Der Abtrünnige. Der Name war bitter wie Galle. Er war nach Peik gegangen, um seines Vaters Langschiffe nach Lennishort zu führen, erinnerte er sich. »Ich werde in Kürze herauskommen«, rief er nach unten. »Allein.«