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Dennoch war es nur ein Spiel, und das wusste Bran ebenso.

Ihre Schritte hallten durch die riesige Gruft. Die Schatten hinter ihnen verschluckten seinen Vater, während die Schatten vor ihnen zurückwichen und andere Statuen enthüllten; dies waren nicht nur Lords, sondern die alten Könige des Nordens. Auf der steinernen Stirn trugen sie Kronen. Torrhen Stark, der Kniende König. Edwyn der Frühlingskönig. Theon Stark, der Hungrige Wolf. Brandon der Verbrenner und Brandon der Schiffsbauer, Jorah und Jonos, Brandon der Böse, Walton der Mondkönig, Edderion der Bräutigam, Eyron, Benjen der Süße und Benjen der Bittere, König Edrick Schneebart. Ihre Gesichter waren ernst und voller Stärke, und manche von ihnen hatten schreckliche Dinge getan, doch ein jeder war ein Stark, und Bran kannte ihre Geschichten. In der Gruft hatte er sich niemals gefürchtet; sie war ein Teil seines Zuhauses, ein Teil seiner Selbst, und er hatte immer gewusst, dass er eines Tages ebenfalls hier unten liegen würde.

Jetzt war er sich dessen nicht mehr so sicher. Wenn ich nach oben gehe, werde ich dann jemals hierher zurückkehren? Wohin werde ich gehen, wenn ich sterbe?

»Wartet«, sagte Osha, als sie an der steinernen Wendeltreppe ankamen, die nach unten zu den tieferen Ebenen mit den Königen noch älterer Zeit auf ihren dunklen Thronen und nach oben an die Oberfläche führte. Sie reichte Meera die Fackel. »Ich taste mich hinauf.« Eine Zeit lang hörten sie ihre Schritte, die immer leiser und leiser wurden, dann war es still. »Hodor«, sagte Hodor nervös.

Bran hatte sich hundert Mal eingeredet, wie sehr er es hasste, sich hier unten in der Dunkelheit zu verstecken, wie sehr er sich nach der Sonne sehnte, danach, mit seinem Pferd durch Wind und Regen zu reiten. Doch jetzt, wo es so weit war, fürchtete er sich plötzlich. In der Finsternis hatte er sich sicher gefühlt; wenn man nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnte, war es leicht zu glauben, dass einen auch kein Feind finden würde. Und die steinernen Lords hatten ihm Mut eingeflößt. Obwohl er sie nicht hatte erkennen können, wusste er doch stets, dass sie da waren.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie wieder etwas hörten. Bran hatte schon Angst, Osha sei etwas zugestoßen. Sein Bruder wurde quengelig. »Ich will nach Hause!«, sagte er laut. Hodor nickte und sagte: »Hodor!« Dann hörten sie endlich Schritte, und kurz darauf trat Osha ins Licht und zeigte eine grimmige Miene. »Irgendetwas blockiert die Tür. Ich kann sie nicht bewegen.«

»Hodor kann alles bewegen«, meinte Bran.

Osha musterte den riesigen Stallburschen abschätzend. »Könnte sein, dass du Recht hast. Lasst uns weitergehen.«

Die Stufen waren schmal, daher mussten sie einzeln hintereinander hinaufsteigen. Osha ging voran. Hinter ihr kam Hodor, und Bran zog den Kopf ein, damit er nicht an die Decke stieß. Meera folgte mit der Fackel, Jojen bildete den Schluss und führte Rickon an der Hand. Im Kreis ging es und immer im Kreis und nach oben, immer nach oben. Bran glaubte, Rauch zu riechen, doch der stammte vielleicht von der Fackel.

Die Tür zur Gruft war aus Eisenholz gemacht. Sie war alt und sehr schwer und schräg eingebaut. Nur eine Person konnte jeweils an sie heran. Osha versuchte es erneut, als sie sie erreichte, doch Bran sah, dass sich die Tür nicht rührte. »Hodor soll es versuchen.«

Zunächst mussten sie Bran aus dem Korb nehmen, damit er nicht zerquetscht würde. Meera setzte sich neben ihn auf die Stufen und legte ihm schützend einen Arm um die Schultern, während Osha und Hodor die Plätze tauschten. »Mach die Tür auf, Hodor«, befahl Bran dem Stallburschen.

Der Riese legte die Hände flach dagegen, drückte und grunzte. »Hodor?« Er schlug mit der Faust gegen das Holz, das sich immer noch nicht bewegte. »Hodor.«

»Lehn dich mit dem Rücken dagegen«, drängte ihn Bran. »Und drück mit den Beinen.«

Hodor drehte sich um und schob. Noch einmal. Und noch einmal. »Hodor!« Er setzte einen Fuß eine Stufe höher, sodass er gebückt unter der geneigten Tür stand, und versuchte, sich aufzurichten. Diesmal ächzte und stöhnte das Holz. »Hodor!« Der andere Fuß kam auf die gleiche Stufe, Hodor spreizte die Beine, holte tief Luft und richtete sich auf. Sein Gesicht lief rot an, und die Adern an seinem Hals traten hervor.

»Hodor hodor hodor hodor hodor hodor HODOR!« Von oben war ein dumpfes Rumpeln zu hören. Dann plötzlich ruckte die Tür nach oben, ein wenig Tageslicht fiel durch den Spalt und blendete Bran einen Augenblick lang. Auf ein erneutes Schieben folgte ein Geräusch, als würden Steine verrutschen, und dann war der Weg frei. Osha schob ihren Speer durch die Öffnung und schlüpfte hinaus, und Rickon zwängte sich zwischen Meeras Beinen hindurch und folgte ihr. Hodor drückte die Tür ganz auf und stieg nach oben. Die Reets mussten Bran die letzten Stufen hinauftragen.

Der Himmel war hellgrau, und überall um sie herum war Rauch. Sie standen im Schatten des Ersten Frieds oder dessen, was davon übrig geblieben war. Eine ganze Seite des Bauwerks war eingestürzt. Mauersteine und Steinfiguren lagen überall über den Hof verstreut. Sie sind genau da gefallen, wo ich abgestürzt bin, dachte Bran, als er es sah. Einige der Steinfiguren waren in so viele Stücke zerbrochen, dass er sich fragte, wie er seinen Sturz damals überhaupt hatte überleben können. In der Nähe pickten Krähen an einem Leichnam herum, der von Steinen zermalmt worden war, doch er lag mit dem Gesicht nach unten, und Bran konnte nicht erkennen, wer es war.

Der Erste Fried war seit vielen hundert Jahren nicht mehr benutzt worden, doch jetzt standen kaum mehr seine Grundmauern. Die Decken im Inneren waren verbrannt und mit ihnen alle Balken. Wo die Wand eingestürzt war, konnte man in die Zimmer blicken, sogar in den Abtritt. Dahinter jedoch stand die Turmruine noch immer und war nicht mehr zerstört als zuvor. Jojen Reet hustete wegen des Rauchs. »Bringt mich nach Hause!«, verlangte Rickon. »Ich will nach Hause!« Hodor stampfte im Kreis herum. »Hodor«, wimmerte er leise. Inmitten von Ruinen und Tod drängten sie sich aneinander.

»Wir haben genug Lärm gemacht, um einen Drachen zu wecken«, sagte Osha, »und trotzdem kommt niemand. Die Burg ist tot und ausgebrannt, genauso, wie Bran es geträumt hat, aber wir sollten lieber …« Plötzlich verstummte sie, weil sie hinter sich etwas gehört hatte, und wirbelte herum.

Zwei schlanke dunkle Schemen kamen hinter der Turmruine hervor und tappten langsam durch den Schutt. Rickon rief glücklich: »Struppi!«, und der schwarze Schattenwolf rannte auf ihn zu. Sommer näherte sich langsamer, rieb den Kopf an Brans Arm und leckte sein Gesicht.

»Wir sollten hier verschwinden«, sagte Jojen. »So viele Tote werden noch andere Wölfe außer Sommer und Struppel anlocken, und nicht alle von ihnen werden auf vier Beinen laufen.«

»Ja, so bald wie möglich«, stimmte Osha zu, »aber wir brauchen Vorräte, und vielleicht finden wir hier noch welche. Bleibt zusammen. Meera, nimm deinen Schild und deck uns den Rücken.«

Es dauerte den ganzen Morgen, bis sie den Rundgang durch die Burg hinter sich gebracht hatten. Die großen Granitmauern standen noch; sie waren hier und da vom Feuer verkohlt, ansonsten jedoch unversehrt. Im Innern hingegen gab es nur Tod und Zerstörung. Die Türen der Großen Halle waren verbrannt und rauchten, die Sparren der Decke hatten nachgegeben, und das ganze Dach war eingestürzt. Die grünen und gelben Scheiben des Glasgartens lagen in Scherben, die Bäume und Früchte und Blumen waren zerfetzt oder entwurzelt. Von den Stallungen, gebaut aus Holz und Stroh, waren nur Asche und Balken und tote Pferde geblieben. Bran dachte an seine Tänzerin und hätte am liebsten geweint. Neben dem Bibliotheksturm dampfte ein kleiner Teich, und heißes Wasser lief aus einem Spalt an der Seite des Turms. Die Brücke zwischen Glockenturm und Rabenschlag war in den Hof gestürzt, und Maester Luwins Türmchen war verschwunden. Durch die schmalen Kellerfenster unter dem Großen Fried sahen sie schwachen roten Schein, und in einem der Lagerhäuser brannte es ebenfalls noch.