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Die Welt verschwamm vor ihren Augen, die Septe drehte sich um sie. Die Schatten schwankten und bewegten sich verstohlen wie Tiere über die gerissenen weißen Wände. Catelyn hatte heute noch nichts gegessen. Vielleicht war das nicht klug gewesen. Sie hatte sich eingeredet, sie habe keine Zeit dafür, doch in Wahrheit schmeckte ihr das Essen ohne Ned nicht mehr. Als sie ihm den Kopf abschlugen, haben sie auch mich getötet.

Hinter ihr zischte die Fackel, und plötzlich sah sie das Gesicht ihrer Schwester auf der Wand, obwohl die Augen härter waren, sie gehörten nicht Lysa, sondern Cersei. Cersei ist ebenfalls Mutter. Gleichgültig, wer die Kinder gezeugt hat, sie hat ihre Tritte in ihrem Bauch gespürt, sie hat sie unter Schmerzen in ihrem Blut zur Welt gebracht, sie hat sie an ihrer Brust gestillt. Wenn sie tatsächlich von Jaime stammen …

»Betet Cersei auch zu dir, Mylady?«, fragte Catelyn die Mutter. Sie sah die stolzen, kalten, lieblichen Züge der Lennister-Königin auf der Mauer. Der Riss war nicht verschwunden; selbst Cersei konnte um ihre Kinder weinen. »Jeder der Sieben verkörpert alle der Sieben«, hatte Septon Osmynd sie gelehrt. Das Alte Weib war genauso schön wie die Jungfrau, und die Mutter konnte wilder sein als der Krieger, wenn ihre Kinder bedroht wurden. Ja …

Damals, bei Robert Baratheons Besuch auf Winterfell hatte sie genug gesehen und wusste, dass der König nicht viel Liebe für Joffrey empfand. Wenn der Junge tatsächlich durch Jaimes Samen gezeugt war, hätte Robert ihn zusammen mit seiner Mutter zum Tode verurteilt, und wenige nur hätten ihn deswegen verflucht. Bastarde waren nichts Ungewöhnliches, Inzest jedoch war sowohl den alten als auch den neuen Göttern gegenüber eine entsetzliche Sünde, und die Kinder solcher Verruchtheit wurden in Septen und Götterhainen gleichermaßen als Abscheulichkeit bezeichnet. Bei den Drachenkönigen hatte der Bruder die Schwester geheiratet, doch sie waren vom Blut des alten Valyria, wo solche Sitten üblich gewesen waren, und wie ihre Drachen hatten sich die Targaryen weder vor Menschen noch Göttern verantworten müssen.

Ned musste es gewusst haben, und vor ihm Lord Arryn. Kein Wunder, dass die Königin beide hatte töten lassen. Würde ich nicht für meine Kinder das Gleiche tun? Catelyn ballte die Hände zur Faust und spürte die Steifheit an der Stelle, wo der Stahl des Mörders bis auf den Knochen durchgedrungen war, während sie ihren Sohn verteidigt hatte. »Bran weiß es auch«, flüsterte sie und senkte den Kopf. »Bei den guten Göttern, er muss etwas gesehen oder gehört haben, deshalb wollten sie ihn in seinem Bett töten.«

Verwirrt und müde überließ sich Catelyn Stark ihren Göttern. Sie kniete vor dem Schmied, der Dinge, die zerbrochen waren, richtete, und bat ihn um Schutz für ihren süßen Bran. Sie ging zur Jungfrau und bat sie, Arya und Sansa mit Mut zu segnen und sie in ihrer Unschuld zu behüten. Den Vater betete sie um Gerechtigkeit an, um die Stärke, danach zu suchen, und die Weisheit, sie zu erkennen, und den Krieger bat sie darum, Robbs Stärke zu erhalten und ihn in seinen Schlachten zu beschützen. Zum Schluss wandte sie sich an das Alte Weib, dessen Statuen es oft mit einer Laterne in der Hand zeigten. »Führe mich, weise Dame«, betete sie. »Weise mir den Weg, den ich gehen muss, und lass mich an den dunklen Orten, die vor mir liegen, nicht stolpern.«

Schließlich hörte sie Schritte hinter sich und ein Geräusch an der Tür. »Mylady«, rief Ser Robar leise, »verzeiht, aber die Zeit ist um. Wir müssen zurück sein, ehe der Morgen graut.«

Catelyn erhob sich steif. Ihre Knie schmerzten, und sie hätte viel für ein Federbett und ein Kissen gegeben. »Danke, Ser. Ich bin bereit.«

Schweigend ritten sie durch das offene Waldland, dessen Bäume sich wie betrunken in die vom Meer abgewandte Richtung neigten. Das nervöse Wiehern von Pferden und das Scheppern von Stahl führten sie zurück zu Renlys Lager. Die langen Reihen von Mann und Pferd waren in Finsternis gerüstet, so schwarz, als habe der Schmied selbst sie in der Nacht aus Stahl getrieben. Zur Rechten und Linken sah sie Banner, doch wegen der Dunkelheit kurz vor dem Morgengrauen konnte sie weder Farben noch Wappen erkennen. Eine graue Armee, dachte Catelyn. Graue Männer auf grauen Pferden unter grauen Bannern. Während Renlys Schattenritter warteten, hielten sie ihre Lanzen aufrecht, sodass Catelyn durch einen Wald hoher, kahler Bäume ritt, der seiner Blätter und seines Lebens beraubt war. Wo Sturmkap stand, sah sie nur tiefere Finsternis, eine Wand aus Schwärze, die kein Stern erhellte; doch dort, wo Lord Stannis sein Lager aufgeschlagen hatte, bemerkte sie Fackeln, die sich hin und her bewegten.

Die Kerzen in Renlys Pavillon ließen die schimmernden Seidenwände glühen und verwandelten das große Zelt in eine magische Burg aus smaragdgrünem Licht. Zwei Männer der Regenbogengarde hielten Wache vor dem Eingang. Das grüne Licht verlieh den Purpurpflaumen auf Ser Parmens Mantel einen eigentümlichen Farbton und den Sonnenblumen, die jeden Zentimeter von Ser Emmons emaillierter gelber Rüstung bedeckten, ein kränkliches Aussehen. Die langen seidigen Federbüsche hingen von ihren Helmen, und ihre Regenbogenumhänge hatten sie um die Schultern geworfen.

Im Inneren traf Catelyn Brienne an, die ihren König für die Schlacht rüstete, während dieser sich mit den Lords Tarly und Esch über Taktik und Schlachtaufstellung unterhielt. Es war angenehm warm hier, da in einem Dutzend kleiner eiserner Becken Kohlen glühten. »Ich muss mit Euch sprechen, Euer Gnaden«, sagte sie und gewährte ihm dies eine Mal den Titel eines Königs, alles, solange er ihr nur Gehör schenkte.

»Einen Augenblick, Lady Catelyn«, erwiderte Renly. Brienne verband gerade Rücken- und Brustpanzer über seinem gesteppten Wams miteinander. Des Königs Rüstung war dunkelgrün wie das Laub in einem Sommerwald, so dunkel, dass sie das Licht der Kerzen verschluckte. Golden glitzerten Intarsien und Schnallen wie ferne Feuer in diesem Wald und flackerten jedes Mal, wenn er sich bewegte. »Bitte fahrt fort, Lord Mathis.«

»Euer Gnaden«, sagte Mathis Esch und warf Catelyn einen Seitenblick zu, »wie ich gerade sagte, ist unsere Streitmacht bereit. Warum sollen wir bis Tagesanbruch warten? Lasst zum Vormarsch blasen!«

»Um mir hinterher nachsagen zu lassen, ich hätte durch Verrat gewonnen, durch einen unritterlichen Angriff? Die Dämmerung war die gewählte Stunde.«

»Von Stannis gewählt«, wandte Randyll Tarly ein. »Er will, dass wir gegen die aufgehende Sonne angreifen. Wir werden halb blind sein.«

»Nur bis zum ersten Zusammenprall«, entgegnete Renly zuversichtlich. »Ser Loras wird die Reihen aufbrechen, und danach wird das reinste Chaos herrschen.« Brienne zog grüne Lederriemen straff und schloss goldene Schnallen. »Wenn mein Bruder fällt, sorgt dafür, dass seine Leiche nicht geschändet wird. Er ist von meinem Blut, deshalb wünsche ich seinen Kopf nicht auf einem Speer zu sehen.«

»Und wenn er sich ergibt?«, fragte Lord Tarly.

»Ergibt?« Lord Esch lachte. »Als Maes Tyrell Sturmkap belagerte, hat Stannis lieber Ratten gefressen, als ihm die Tore zu öffnen.«

»Daran erinnere ich mich noch.« Renly hob das Kinn, damit Brienne die Halsberge befestigen konnte. »Kurz vor dem Ende haben Ser Gawen Wyld und drei seiner Ritter versucht, sich durch ein Seitentor hinauszuschleichen, um sich zu ergeben. Stannis hat sie erwischt und hat befohlen, sie mit Katapulten von der Mauer hinausschießen zu lassen. Ich sehe noch Gawens Gesicht vor mir, als sie ihn fesselten. Er war unser Waffenmeister.«