Lord Esch war verwirrt. »Da wurden keine Männer von den Mauern geschleudert. Daran könnte ich mich erinnern. «
»Maester Cressen hat Stannis erklärt, dass wir möglicherweise gezwungen sein würden, unsere Toten zu essen, und es liege kein Gewinn darin, gutes Fleisch zu verschwenden.« Renly strich sich das Haar zurück. Brienne band es mit einem Samtband zusammen und zog ihm die gepolsterte Kappe über die Ohren, die das Gewicht des Helms dämpfen sollte. »Dank des Zwiebelritters mussten wir niemals Leichen essen, aber es war eine knappe Angelegenheit. Zu knapp für Ser Gawen, der in seiner Zelle gestorben ist.«
»Euer Gnaden.« Catelyn hatte geduldig gewartet, doch die Zeit verstrich. »Ihr habt mir eine Unterredung versprochen. «
Renly nickte. »Trefft die letzten Vorbereitungen für die Schlacht, Mylords … ach, und falls Barristan Selmy bei meinem Bruder ist, so soll er verschont werden.«
»Von Ser Barristan hat man nichts mehr gehört, seit Joffrey ihn verbannt hat«, wandte Lord Esch ein.
»Ich kenne diesen alten Mann. Er braucht einen König, den er beschützen kann. Das ist sein ganzer Lebensinhalt. Allerdings hat er sich nie bei mir gemeldet, und Lady Catelyn sagt, auch bei Robb Stark auf Schnellwasser sei er nicht. Wo sollte er also sonst sein, wenn nicht bei Stannis?«
»Wie Ihr befehlt, Euer Gnaden. Ihm soll kein Leid zugefügt werden.« Die Lords verneigten sich und gingen hinaus.
»Was möchtet Ihr, Lady Stark?«, fragte Renly. Brienne legte ihm den Umhang über die breiten Schultern. Er war aus echtem Goldtuch, sehr schwer und mit dem schwarzen gekrönten Hirsch der Baratheons in Jettsplittern bestickt.
»Die Lennisters haben versucht, meinen Sohn Bran zu töten. Tausend Mal habe ich mich gefragt, aus welchem Grund. Euer Bruder hat mir die Antwort gegeben. An dem Tag, an dem er abstürzte, wurde eine Jagd veranstaltet. Robert, Ned und die meisten anderen Männer haben Keiler gejagt, nur Jaime Lennister ist in Winterfell geblieben und die Königin ebenso.«
Renly erfasste die Bedeutung ihrer Worte sofort. »Ihr glaubt also, der Junge habe die beiden bei ihrem Inzest …«
»Ich bitte Euch, Mylord, gewährt mir, zu Eurem Bruder Stannis zu gehen und ihm zu berichten, was ich vermute. «
»Aus welchem Grund?«
»Robb wird seine Krone absetzen, wenn Ihr und Euer Bruder das Gleiche tun«, sagte sie und hoffte, es entspräche der Wahrheit. Sie würde es durchsetzen, wenn es sein musste; Robb würde auf sie hören, selbst wenn seine Lords sich ihrem Rat verweigerten. »Beruft zu dritt einen Großen Rat ein, wie ihn das Reich seit hundert Jahren nicht mehr gesehen hat. Wir werden nach Winterfell schicken, damit Bran seine Geschichte erzählen kann und alle erfahren, dass die Lennisters die wahren Thronräuber sind. Mögen die versammelten Lords der Sieben Königslande entscheiden, wer sie regieren soll.«
Renly lachte. »Sagt mir, Mylady, wählen Schattenwölfe denjenigen, der das Rudel führen soll?« Brienne brachte die Handschuhe des Königs und den großen Helm, der mit einem goldenen Geweih verziert war und seinen Träger einen halben Meter größer machte. »Die Zeit des Redens ist vorbei. Jetzt wollen wir sehen, wer stärker ist.« Renly zog einen der gepanzerten grüngoldenen Handschuhe über die linke Hand, während Brienne sich hinkniete und ihm den schweren Gürtel umschnallte, an dem Langschwert und Dolch hingen.
»Im Namen der Mutter, ich flehe Euch an«, begann Catelyn, als plötzlich eine Bö die Tür des Zeltes aufstieß. Sie glaubte, eine Bewegung wahrzunehmen, doch als sie den Kopf wandte, war es nur der Schatten des Königs auf den Seidenwänden. Sie hörte Renly, der mit einem Scherz antworten wollte, während sich sein Schatten bewegte, sein Schwert hob, Schwarz auf grüner Seide. Die Kerzen flackerten, zitterten, irgendetwas war seltsam, falsch, und dann sah sie es: Renlys Schwert steckte noch in der Scheide, doch das Schattenschwert …
»Kalt«, sagte Renly mit leiser, verwirrter Stimme, einen Herzschlag, bevor sich der Stahl seiner Halsberge wie morscher Stoff unter dem Schatten der Klinge teilte, die gar nicht da war. Er hatte gerade noch Zeit, gurgelnd zu stöhnen, ehe das Blut aus seiner Kehle spritzte.
»Euer Gn- nein!«, schrie Brienne die Blaue, als sie den tödlichen Strom bemerkte, und sie klang wie ein verängstigtes kleines Mädchen. Der König taumelte in ihre Arme, ein Blutschwall rann über seine Rüstung, eine dunkelrote Flut, die das Grün und das Gold überschwemmte. Weitere Kerzen erloschen. Renly versuchte zu sprechen, würgte jedoch an seinem eigenen Blut. Seine Beine gaben nach, und allein Briennes Kraft hielt ihn noch aufrecht. Sie warf den Kopf in den Nacken und schrie, ein wortloser Laut der Pein.
Der Schatten. Etwas Düsteres und Böses war hier geschehen, das wusste sie, etwas, das sie nicht verstehen konnte. Renly hat diesen Schatten nicht geworfen. Der Tod ist zur Tür hereingekommen und hat sein Leben ausgeblasen wie der Wind die Kerzen.
Robar Rois und Emmon Cuy stürmten nur wenige Augenblicke später herein, obwohl es Catelyn vorkam wie die halbe Nacht. Zwei Soldaten folgten ihnen mit Fackeln. Als sie Renly in Briennes Armen sahen, die über und über mit dem Blut des Königs besudelt war, stieß Ser Robar einen entsetzten Schrei aus. »Verfluchtes Weibstück!«, brüllte Ser Emmon mit dem Sonnenblumenstahl. »Fort von ihm, abscheuliches Geschöpf!«
»Bei den guten Göttern, Brienne, warum?«, fragte Ser Robar.
Brienne blickte von der Leiche ihres Königs auf. Der Regenbogenumhang, der ihr von den Schultern hing, hatte sich rot gefärbt, wo er das Blut des Königs aufgesogen hatte. »Ich … ich …«
»Dafür wirst du sterben.« Ser Emmon ergriff eine Streitaxt von dem Waffenstapel nahe am Eingang. »Für das Leben des Königs wirst du mit deinem eigenen bezahlen!«
»NEIN!«, schrie Catelyn gellend, nachdem sie endlich ihre Stimme wiedergefunden hatte, doch es war zu spät. Der Blutrausch hatte die Männer übermannt, und sie stürzten mit Gebrüll vor, das ihre schwache Stimme übertönte.
Brienne bewegte sich schneller, als Catelyn hätte glauben mögen. Ihr eigenes Schwert hatte sie nicht zur Hand, daher zog sie Renlys aus der Scheide und hob es, um Emmons Axthieb abzuwehren. Ein blauweißer Funke blitzte auf, als Stahl klirrend auf Stahl traf, und Brienne sprang auf und stieß den Leichnam des Königs zur Seite. Ser Emmon stolperte über den Toten, und Briennes Klinge durchtrennte den hölzernen Schaft der Axt, deren Kopf davonflog. Ein zweiter Mann stieß Brienne eine brennende Fackel in den Rücken, doch der Regenbogenumhang war nass vom Blut und fing kein Feuer. Brienne fuhr herum und schlug zu, und Hand und Fackel flogen durch die Luft. Die Flammen krochen über den Teppich. Der verstümmelte Mann brüllte auf. Ser Emmon ließ den Axtschaft fallen und griff nach seinem Schwert. Der zweite Soldat griff an, Brienne parierte, und die Schwerter tanzten und klangen. Als Emmon Cuy sich dazugesellte, war Brienne zum Rückzug gezwungen, trotzdem hielt sie beide in Schach. Auf dem Boden fiel Renlys Kopf zur Seite, und ein zweiter Mund klaffte in seinem Hals, aus dem das Blut nun in langsamen Stößen quoll.
Ser Robar hatte unsicher gezögert, doch jetzt griff er nach dem Heft seines Schwertes. »Robar, nein, hört zu!« Catelyn packte seinen Arm. »Ihr tut ihr Unrecht, sie war es nicht. Helft Ihr! Hört mich an, es war Stannis.« Der Name war ihr über die Lippen gegangen, ehe sie darüber nachdenken konnte, doch indem sie ihn aussprach, wusste sie, es stimmte. »Ich schwöre es, Ihr kennt mich, es war Stannis, der ihn getötet hat.«
Der junge Regenbogenritter starrte die Verrückte, die vor ihm stand, mit weit aufgerissenen Augen an. »Stannis? Wie?«