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»Vielleicht wollen sie das gar nicht. Sie sind Tausende, und wir sind höchstens dreihundert, wenn Halbhand uns erreicht. « Ser Mallador nahm einen Becher von Jon entgegen.

»Sollte es zur Schlacht kommen, kann ich mir keinen besseren Ort vorstellen als diesen«, verkündete Mormont. »Wir werden die Verteidigungsanlagen verstärken. Palisaden aus Gruben und Pfählen, Fußangeln auf den Hängen, jede Bresche wird wieder in Stand gesetzt. Jarman, Eure Männer mit den besten Augen sollen Ausschau halten. Postiert sie im Kreis um uns herum und entlang dem Fluss, damit sich uns niemand unentdeckt nähern kann. Versteckt sie in den Bäumen. Und wir sollten auch Wasser heranholen, mehr als wir brauchen. Wir graben Zisternen. Erstens haben die Männer dann etwas zu tun, und zweitens kann das später vielleicht sehr nützlich sein.«

»Meine Grenzer …«, setzte Thoren Kleinwald an.

»Eure Grenzer werden nur auf dieser Seite des Flusses ausschwärmen, bis Halbhand uns erreicht hat. Danach sehen wir weiter. Ich will nicht noch mehr Männer verlieren.«

»Manke Rayder könnte sein Heer einen Tagesritt von hier entfernt versammeln, und wir würden es nie erfahren«, wandte Kleinwald ein.

»Wir wissen, wo die Wildlinge sich versammeln«, entgegnete Mormont. »Craster hat es uns erzählt. Der Mann gefällt mir zwar nicht, aber ich glaube, er hat uns nicht belogen.«

»Wie Ihr meint.« Kleinwald verließ grußlos die Runde. Die anderen tranken ihren Wein aus und verabschiedeten sich ein wenig höflicher.

»Soll ich Euch das Abendessen bringen, Mylord?«, fragte Jon.

»Korn«, rief der Rabe. Mormont antwortete nicht sofort. Schließlich wollte er wissen: »Hat dein Wolf heute Wild gefunden? «

»Er ist noch nicht zurück.«

»Frisches Fleisch könnten wir gut gebrauchen.« Mormont griff in einen kleinen Sack und bot seinem Raben eine Hand voll Korn an. »Glaubst du, es ist falsch, die Grenzer in der Nähe zu behalten?«

»Eine Antwort darauf steht mir nicht zu, Mylord.«

»Wenn ich dich frage, schon.«

»Solange die Grenzer in Sichtweite der Faust bleiben, kann ich mir nicht vorstellen, wie sie meinen Onkel finden sollen«, räumte Jon ein.

»Das werden sie wohl auch nicht tun.« Der Rabe pickte das Getreide aus der Hand des Alten Bären. »Zweihundert Mann oder zehntausend, dieses Land ist zu groß.« Nachdem das Korn verspeist war, drehte Mormont die Hand um.

»Ihr wollt die Suche doch trotzdem nicht aufgeben?«

»Maester Aemon hält dich für einen klugen Jungen.« Mormont setzte den Raben auf seine Schulter. Der Vogel neigte den Kopf zur Seite, die kleinen Augen funkelten.

Die Antwort war klar. »Es … Es erscheint mir leichter möglich, dass ein Mann zweihundert findet als zweihundert Mann einen.«

Der Rabe kreischte keckernd, doch der Alte Bär verzog den grauen Bart zu einem Lächeln. »So viele Männer hinterlassen eine Spur, der selbst Aemon folgen könnte. Von diesem Berg aus sollten unsere Feuer bis in die Ausläufer der Frostfänge zu sehen sein. Falls Ben Stark noch lebt und frei ist, wird er ohne Zweifel zu uns kommen.«

»Ja«, erwiderte Jon, »aber … was ist, wenn …«

»… wenn er tot ist?«, fragte Mormont nicht unfreundlich.

Jon nickte widerwillig.

»Tot«, krächzte der Rabe, »tot. Tot.«

»Dann könnte er trotzdem zu uns kommen«, sagte der Alte Bär. »So wie Othor und Jafer Blumen. Davor habe ich nicht weniger große Angst als du, Jon, doch wir müssen diese Möglichkeit in Betracht ziehen.«

»Tot«, schrie der Rabe und sträubte das Gefieder. Seine Stimme wurde lauter und schriller. »Tot.«

Mormont strich dem Vogel über die schwarzen Federn und verbarg ein Gähnen hinter vorgehaltener Hand. »Ich verzichte heute aufs Essen, glaube ich. Schlaf wäre besser für mich. Weck mich beim ersten Tageslicht.«

»Schlaft gut, Mylord.« Jon sammelte die leeren Becher ein und trat nach draußen. Aus einiger Entfernung hörte er Gelächter und wehmütige Dudelsackklänge. Ein großes Feuer knisterte in der Mitte des Lagers, und er roch den Eintopf, der gekocht wurde. Der Alte Bär war vielleicht nicht hungrig, Jon hingegen schon. Er ging hinüber.

Dywen hatte das Wort ergriffen und fuchtelte mit seinem Löffel herum. »Ich kenne diesen Wald wie jeder andere, und ich sag euch, ich würde es nicht wagen, heute Nacht allein da hindurchzureiten. Riecht ihr das?«

Grenn starrte ihn mit großen Augen an, doch der Schwermütige Edd erwiderte: »Was ich rieche, ist die Scheiße von zweihundert Pferden. Und den Eintopf. Der einen ganz ähnlichen Geruch hat, jetzt, wo ich’s recht bedenke.«

»Ich habe deinen ähnlichen Geruch hier.« Hake tätschelte seinen Dolch. Knurrend füllte er Jons Schüssel aus dem Topf.

Der Eintopf bestand größtenteils aus Gerste, Karotten und Zwiebeln, mit denen ein paar Stückchen Salzfleisch weich gekocht worden waren.

»Was hast du denn gerochen, Dywen?«, fragte Grenn.

Der Waldläufer lutschte an seinem Löffel herum. Er hatte seine Zähne herausgenommen. Sein Gesicht war lederig und runzlig, seine Hände knorrig wie alte Wurzeln. »Es riecht nach … nun … Kälte.«

»Dein Kopf ist genauso aus Holz wie deine Zähne«, wies ihn Hake zurecht. »Kälte hat keinen Geruch.«

Doch, hat sie, dachte Jon und erinnerte sich an die Nacht im Zimmer des Lord Kommandanten. Sie riecht wie der Tod. Plötzlich war ihm der Appetit vergangen. Er reichte sein Essen Grenn, der aussah, als könne er eine zusätzliche Portion gut gebrauchen, um die Kälte der Nacht zu überstehen.

Der Wind wehte heftig, als er das Feuer verließ. Am Morgen würde Reif den Boden bedecken, und die Zeltleinen würden steif gefroren sein. Ein Rest gewürzter Wein war noch im Topf. Jon legte Holz nach und wärmte ihn wieder auf. Während er wartete, spreizte er die Finger und ballte sie wieder zur Faust, bis die Hand kribbelte. Die erste Wache hatte ihre Posten rund um das Lager eingenommen. Entlang der Ringmauer flackerten Fackeln. Es war eine mondlose Nacht, doch über Jon strahlten tausend Sterne.

Aus der Ferne hörte er das leise, doch unverkennbare Heulen von Wölfen. Ihre Stimmen hoben und senkten sich zu einem kalten und einsamen Lied. Jons Nackenhaare stellten sich auf. Jenseits des Feuers starrten ihn zwei rote Augen aus dem Schatten an. Das Licht der Flammen ließ sie glühen.

»Geist«, hauchte Jon überrascht. »Bist du doch noch reingekommen, he?« Oft jagte der weiße Wolf die ganze Nacht lang; Jon hatte ihn nicht vor Tagesanbruch erwartet. »War die Jagd so schlecht?«, fragte er. »Hierher. Zu mir, Geist.«

Der Schattenwolf umkreiste das Feuer, schnüffelte an Jon, schnüffelte am Wind, kam jedoch nicht zur Ruhe. Er schien nicht unbedingt auf Fleisch aus zu sein. Als die Toten auferstanden, hat Geist es gewusst. Er hat mich geweckt und gewarnt. Erschrocken stand er auf. »Ist dort draußen etwas? Geist, hast du etwas gewittert?« Dywen hatte gesagt, er rieche Kälte.

Der Schattenwolf sprang davon, blieb stehen, blickte sich um. Ich soll ihm folgen. Jon zog sich die Kapuze über und verließ die Zelte und die Wärme seines Feuers. Er ging an den Reihen der kleinen zähen Pferde entlang. Eines der Tiere wieherte nervös, als Geist vorbeitrottete. Jon besänftigte es mit einem Wort und streichelte ihm kurz das Maul. Er konnte den Wind hören, der durch die Spalten in den Steinen pfiff, während sie sich der Ringmauer näherten. Eine Stimme rief ihn an. Jon trat ins Licht der Fackel. »Ich soll Wasser für den Lord Kommandanten holen.«

»Dann geh schon«, sagte die Wache, »und beeil dich.« Der Mann hatte sich wegen des Windes tief in seinen schwarzen Umhang gehüllt und sah gar nicht erst nach, ob Jon einen Eimer hatte.

Jon schlüpfte seitlich zwischen zwei gespitzten Pfählen hindurch, während Geist unter ihnen hindurchkroch. Jemand hatte eine Fackel in den Mauerspalt gesteckt, deren Flammen wie orangefarbene Banner wehten, wenn ein Windstoß sie erfasste. Jon zog sie heraus und stieg durch die Lücke zwischen den Steinen. Geist schoss den Hügel hinunter. Langsamer folgte ihm Jon und hielt die Fackel vor sich. Die Geräusche des Lagers blieben hinter ihm zurück. Die Nacht war schwarz, der Hang steil, steinig und uneben. Ein Moment der Unachtsamkeit konnte ihm einen gebrochenen Knöchel oder einen gebrochenen Hals … bescheren. Was mache ich hier eigentlich?, fragte er sich, als er sich den Weg nach unten ertastete.