»Glied um Glied wird sie länger. Wir sollten den Göttern danken, dass Ser Cortnay Fünfrosen so ein sturer Kerl ist. Stannis wird niemals nach Norden marschieren, solange ihm Sturmkap uneingenommen im Rücken liegt.«
»Tyrion, ich weiß, was die Politik angeht, sind wir uns nicht immer einig, aber mir scheint, ich habe mich in dir getäuscht. Du bist doch kein so großer Narr, wie ich dachte. In Wahrheit bist du sogar eine große Hilfe. Dafür danke ich dir. Du musst mir verzeihen, wenn ich in der Vergangenheit oft sehr barsch mit dir gesprochen habe.«
»Muss ich?« Er zuckte die Achseln und lächelte sie an. »Süße Schwester, du hast nichts gesagt, was ich dir verzeihen müsste.«
»Heute, meinst du?« Sie lachten beide … und Cersei beugte sich vor und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Stirn.
Zu erstaunt, um darauf etwas zu erwidern, blickte ihr Tyrion nach, als sie mit Ser Preston an der Seite davonschritt. »Habe ich den Verstand verloren, oder hat meine Schwester mich gerade geküsst?«, fragte er Bronn, nachdem sie verschwunden war.
»War es ein so süßer Kuss?«
»Eher … unerwartet.« Cersei benahm sich in jüngster Zeit eigenartig. Tyrion fand das überaus beunruhigend. »Ich kann mich kaum mehr erinnern, wann sie mich zum letzten Mal geküsst hat. Da war ich kaum älter als sechs oder sieben. Jaime hat sie geneckt, sie würde sich nicht trauen.«
»Die Frau ist schließlich doch noch Eurem Charme erlegen. «
»Nein«, entgegnete Tyrion. »Nein, die Frau heckt etwas aus. Wir sollten herausfinden, was es ist, Bronn. Du weißt, wie sehr ich Überraschungen hasse.«
THEON
Theon wischte sich den Speichel mit dem Handrücken von der Wange. »Robb wird Euch den Bauch aufschlitzen, Graufreud«, schrie Benfred Tallhart. »Euer abtrünniges Herz wird er an seinen Wolf verfüttern, Ihr Stück Schafsmist.«
Aeron Feuchthaars Stimme schnitt die Beleidigungen ab wie ein Schwert, das durch Käse gleitet. »Jetzt musst du ihn töten.«
»Zuerst muss ich ihm ein paar Fragen stellen«, entgegnete Theon.
»Die Anderen sollen Eure Fragen holen.« Blutend und hilflos hing Benfred zwischen Stygg und Werlag. »Eher werdet Ihr an ihnen ersticken, als dass Ihr von mir eine Antwort hört, Feigling. Abtrünniger.«
Onkel Aeron kannte kein Erbarmen. »Wenn er dich anspuckt, spuckt er uns alle an. Er spuckt den Ertrunkenen Gott an. Er muss sterben.«
»Mein Vater hat mir das Kommando gegeben, Onkel.«
»Und mich hat er mitgeschickt, um dich zu beraten.«
Und mich zu beobachten. Theon wagte es nicht, den Streit mit seinem Onkel zu weit zu treiben. Ja, er hatte die Befehlsgewalt, doch die Männer vertrauten dem Ertrunkenen Gott mehr als ihm, und sie fürchteten sich vor Aeron Feuchthaar. Das kann ich ihnen nicht einmal verdenken.
»Dafür werdet Ihr Euren Kopf verlieren, Graufreud. Die Krähen werden Eure Augen fressen.« Erneut versuchte Benfred zu spucken, brachte jedoch nur ein wenig Blut hervor. »Die Anderen sollen Euren feuchten Gott holen.«
Tallhart, Ihr habt Euch gerade um Euer Leben gespuckt, dachte Theon. »Stygg, bring ihn zum Schweigen.«
Sie drückten Benfred auf die Knie. Werlag riss das Kaninchenfell vom Gürtel des Gefangenen und stopfte es ihm zwischen die Zähne, um seine Schreie zu ersticken. Stygg löste seine Axt.
»Nein«, rief Aeron Feuchthaar. »Er muss dem Gott geopfert werden. Auf die alte Weise.«
Was ändert das schon? Tot ist tot. »Dann nehmt ihn, Onkel. «
»Du kommst mit. Du hast hier den Befehl. Das Opfer sollte von dir stammen.«
Das war mehr, als Theon ertragen konnte. »Onkel, Ihr seid der Priester, und die Götter überlasse ich Euch. Gewährt mir die gleiche Freundlichkeit und überlasst mir die Schlachten.« Auf seine Geste hin zerrten Werlag und Stygg den Gefangenen zum Ufer. Aeron Feuchthaar warf seinem Neffen einen vorwurfsvollen Blick zu und folgte ihnen dann. Sie würden hinunter zum Kiesstrand gehen und Benfred Tallhart in Salzwasser ertränken. Auf die alte Weise.
Vielleicht ist es ja eine Gnade, redete sich Theon ein, während er in die andere Richtung davonstampfte. Stygg war alles andere als ein erfahrener Henker, und Benfred hatte einen Hals wie ein Eber, voller Muskeln und Fett. Früher habe ich ihn deswegen immer verspottet, nur um zu sehen, wie sehr ich ihn reizen kann, erinnerte er sich. Das war vor drei Jahren gewesen. Ned Stark war nach Torrhenschanze geritten, um Ser Helman zu treffen, und Theon hatte ihn begleitet und vierzehn Tage in Benfreds Gesellschaft verbracht.
Er hörte das raue Siegesgeschrei von der Biegung der Straße her, wo die Schlacht stattgefunden hatte … wenn man es denn überhaupt eine Schlacht nennen konnte. Es war eher wie Schafe schlachten gewesen, um bei der Wahrheit zu bleiben. In Stahl gehüllte Schafe, aber nichtsdestotrotz Schafe.
Während er über einen Haufen Felsstücke kletterte, schaute Theon hinunter auf die Toten und die sterbenden Pferde. Die Tiere hatten Besseres verdient. Tymor und seine Brüder hatten alle Pferde, die im Kampf nicht verletzt worden waren, zusammengetrieben, während Urzen und der Schwarze Lorren jene Tiere töteten, die zu schwer verwundet waren. Der Rest der Männer plünderte die Leichen. Gevin Harlau kniete auf der Brust eines Toten und sägte ihm den Finger ab, um an den Ring zu kommen. Den eisernen Preis bezahlen. Mein Hoher Vater würde das begrüßen. Theon überlegte, ob er die Leichen der beiden Männer, die er erschlagen hatte, nach Edelsteinen durchsuchen sollte, doch schon bei dem Gedanken daran bekam er einen bitteren Geschmack im Mund. Er konnte sich vorstellen, was Eddard Stark gesagt hätte. Das stachelte seine Wut nur noch mehr an. Stark ist tot und verrottet, und was schert er mich?
Der alte Botlin, den sie Fischbart nannten, hockte mit finsterem Blick neben seinem Haufen Plündergut, während seine drei Söhne weitere Beute brachten. Einer von ihnen befand sich in einem hitzigen Streit mit einem Kerl namens Todric, der mit einem Horn Bier in der einen und einer Axt in der anderen zwischen den Erschlagenen herumtorkelte. Gekleidet war er in einen Mantel aus weißem Fuchsfell, der nur leicht mit dem Blut seines Vorbesitzers befleckt war. Betrunken, entschied Theon, während er ihnen beim Streiten zusah. Es hieß, die Eisenmänner der alten Zeiten hätten sich in der Schlacht am Blut berauscht, bis sie keinen Schmerz und keine Angst mehr verspürten, Todric hingegen hatte seinen Rausch vom Bier.
»Wex, meinen Bogen und meinen Köcher.« Der Junge rannte los und holte die Waffen. Theon spannte die Sehne ein, derweil Todric den Botlinjungen zu Boden stieß und ihm Bier in die Augen goss. Fischbart sprang auf und fluchte, doch Theon war schneller. Er zielte auf die Hand mit dem Trinkhorn und wollte einen Schuss zum Besten geben, den sie nicht vergessen würden, doch Todric verdarb es ihm, weil er sich gerade in dem Augenblick, in dem Theon den Pfeil losließ, zur Seite drehte. Der Pfeil traf ihn in den Bauch.
Die Plünderer hielten inne und starrten. Theon senkte den Bogen. »Keine Betrunkenen, habe ich gesagt, und keinen Streit wegen der Beute.« Todric war in die Knie gegangen und starb geräuschvoll. »Botlin, bring ihn zum Schweigen.« Fischbart und seine Söhne gehorchten rasch. Sie schlitzten Todric die Kehle auf, während der noch schwach um sich trat, und Ring und Mantel und Waffen hatten sie ihm abgenommen, ehe er wirklich tot war.
Jetzt wissen sie, dass ich meine, was ich sage. Lord Balon hatte ihm zwar den Befehl übergeben, doch Theon wusste, dass seine Männer in ihm einen weichen Jungen aus den grünen Landen sahen. »Hat noch jemand Durst?« Niemand antwortete. »Gut.« Er trat nach Benfreds gefallenem Banner, das noch immer von der starren Hand des Knappen umklammert wurde, der es getragen hatte. Unter der Flagge war ein Kaninchenfell befestigt. Warum Kaninchenfelle?, hatte er fragen wollen, doch da er angespuckt wurde, hatte er vergessen, sich danach zu erkundigen. Er warf seinen Bogen Wex zu, schritt davon und erinnerte sich an die freudige Erregung nach der Schlacht im Wisperwald. Warum hatte dieser Kampf keinen so süßen Nachgeschmack? Tallhart, du verdammter überstolzer Narr, du hast nicht einmal Kundschafter ausgeschickt.