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»Wiesel.« Wies’ Stimme knallte wie eine Peitsche. Sie sah gar nicht, aus welcher Richtung er kam, plötzlich stand er einfach vor ihr. »Gib her. Du hast lange genug gebraucht.« Er riss ihr das Schwert aus der Hand und versetzte ihr einen Schlag mit dem Handrücken. »Nächstes Mal machst du ein bisschen schneller.«

Einen Augenblick lang war sie wieder ein Wolf gewesen, doch Wies’ Ohrfeige machte alles zunichte und hinterließ nur den Geschmack ihres eigenen Blutes in ihrem Mund. Sie hatte sich auf die Zunge gebissen. Dafür hasste sie ihn.

»Willst du noch eine?«, wollte Wies wissen. »Kannst du haben. Solche unverschämten Blicke will ich von dir nicht sehen. Geh runter ins Brauhaus und sag Gerstenkorn, ich hätte zwei Dutzend Fässer für ihn, aber er soll seine Burschen schnell schicken, sonst finde ich jemanden, der sie dringender braucht.« Arya rannte davon, doch nicht schnell genug für Wies. »Lauf schneller, wenn du heute Abend etwas zu essen haben willst«, schrie er und hatte schon vergessen, dass er ihr ein Stück knusprigen Kapauns versprochen hatte. »Und verirr dich nicht wieder, sonst schlag ich dich windelweich, das schwöre ich.«

Das wirst du nicht tun, dachte Arya. Nie wieder. Doch sie rannte. Die alten Götter des Nordens mussten ihre Schritte gelenkt haben. Auf halbem Weg zum Brauhaus, als sie gerade unter der Brücke zwischen dem Witwenturm und dem Königsbrandturm war, hörte sie lautes grölendes Gelächter. Rorge kam mit drei anderen Männern um die Ecke. Der Mantikor von Ser Amory war über ihren Herzen aufgestickt. Als er sie bemerkte, blieb er stehen und grinste, wobei er seine schiefen braunen Zähne zeigte. Über der Nase trug er einen Lederflicken, um das Loch in seinem Gesicht zu verbergen. »Yorens kleine Möse«, nannte er sie. »Schätze, wir wissen, wozu dieser schwarze Bastard dich auf der Mauer haben wollte, was?« Er lachte erneut, und die anderen fielen mit ein. »Na, wo hast du jetzt deinen Stock?«, wollte Rorge plötzlich wissen, und das Lächeln war so rasch verschwunden, wie es erschienen war. »Habe ich dir nicht versprochen, dich damit zu vögeln?« Er trat einen Schritt auf sie zu. Arya wich zurück. »Ach, jetzt wo ich keine Ketten mehr trage, bist du nicht mehr so mutig, was?«

»Ich habe dich gerettet.« Sie hielt einen guten Meter Abstand zwischen sich und ihm und machte sich bereit, schnell wie eine Schlange davonzurennen, wenn er nach ihr greifen sollte.

»Dafür hast du dir ein zweites Mal Vögeln verdient, was? Hat Yoren deine kleine Muschi bedient, oder gefiel ihm dein enges kleines Arschloch besser?«

»Ich suche nach Jaqen«, antwortete sie. »Ich habe eine Nachricht für ihn.«

Rorge zögerte. Seine Augen flackerten … hatte er Angst vor Jaqen H’ghar? »Im Badehaus. Geh mir aus dem Weg.«

Arya wirbelte herum und rannte los, rasch wie ein Reh, und ihre Füße flogen über das Pflaster, während sie zum Badehaus eilte. Sie fand Jaqen in einer Wanne, und eine Dampfwolke stieg um ihn auf, als ein Dienstmädchen ihm heißes Wasser über den Kopf goss. Sein langes Haar, rot auf der einen Seite, weiß auf der anderen, fiel ihm nass und schwer über die Schultern.

Sie stahl sich leise wie ein Schatten an ihn heran, trotzdem öffnete er die Augen. »Schleicht sich auf leisen Mäusefüßen an, aber der Mann hört es doch«, sagte er. Warum hat er mich gehört?, fragte sie sich, und scheinbar hatte er die Frage ebenfalls verstanden. »Das Leder deiner Schuhe singt laut wie Kriegshörner, wenn der Mann nur die Ohren aufsperrt. Kluge Mädchen gehen barfuß.«

»Ich habe eine Nachricht.« Arya beobachtete die Magd unsicher. Da sie offensichtlich nicht die Absicht hegte zu gehen, beugte sich Arya vor, bis ihr Mund fast seine Ohren berührte. »Wies«, flüsterte sie.

Jaqen H’ghar schloss abermals die Augen und schwebte träge und halb schlafend im Wasser. »Sag seiner Lordschaft, der Mann werde ihm bei Gelegenheit zu Diensten sein.« Plötzlich bewegte er die Hand und spritzte heißes Wasser nach Arya, und sie musste hastig zur Seite springen, um nicht nass zu werden.

Als sie Gerstenkorn die Nachricht von Wies überbrachte, fluchte der Brauer laut. »Sag Wies, meine Jungs hätten schon genug zu tun, und sag ihm dazu, er sei ein pockennarbiger Bastard und eher würden die Sieben Höllen zufrieren, als dass er noch ein einziges Horn Bier von mir bekommt. Entweder habe ich die Fässer innerhalb einer Stunde hier, oder Lord Tywin wird von der Geschichte erfahren, das wollen wir doch mal sehen.«

Wies fluchte genauso, als Arya mit der Antwort kam, obwohl sie den Teil mit dem pockennarbigen Bastard ausließ. Er rauchte vor Zorn und stieß wilde Drohungen aus, doch am Ende trieb er sechs Männer auf und schickte sie knurrend los, die Fässer ins Brauhaus zu bringen.

Das Essen an diesem Abend bestand aus Eintopf mit Gerste, Zwiebeln und Karotten, dazu gab es einen Kanten alten braunen Brotes. Eine der Frauen hatte begonnen, in Wies’ Bett zu schlafen, und sie bekam ein Stück reifen blauen Käse dazu und einen Flügel von dem Kapaun, von dem Wies am Morgen gesprochen hatte. Den Rest aß er ganz allein, wobei ihm das Fett glänzend zwischen den Furunkeln in seinen Mundwinkeln hinunterlief. Der Vogel war beinahe schon verspeist, als er von seinem Teller aufsah und Aryas Starren bemerkte. »Wiesel, komm her.«

Ein wenig dunkles Fleisch hing noch an dem einen Schenkel. Er hat’s vergessen, aber jetzt ist es ihm wieder eingefallen, dachte Arya. Schon hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie Jaqen aufgetragen hatte, ihn zu töten. Sie erhob sich von der Bank und ging zum Kopf des Tisches.

»Ich habe gesehen, wie du mich angestarrt hast.« Wies wischte sich die Finger an ihrer Schürze ab. Dann packte er sie mit einer Hand an der Kehle und schlug ihr mit der anderen ins Gesicht. »Was habe ich euch gesagt?« Er schlug abermals zu, diesmal mit dem Handrücken. »Haltet die Augen schön gesenkt, oder ich reiße euch eins heraus und verfüttere es an meine Hündin.« Er stieß sie fort, und sie landete auf dem Boden. Der Saum ihres Kleids verfing sich an einem Nagel der hölzernen Bank und zerriss. »Das wirst du flicken, ehe du schlafen gehst«, befahl Wies und stopfte sich das letzte Fleisch des Kapauns in den Mund. Nachdem er fertig war, leckte er sich lautstark die Finger ab und warf die Knochen dem hässlichen gefleckten Hund zu.

»Wies«, flüsterte Arya in dieser Nacht, während sie sich über den Riss in ihrem Kleid beugte, »Dunsen, Polliver, Raff der Liebling«, sagte sie und zählte für jeden Stich mit der Knochennadel durch die ungefärbte Wolle einen Namen auf. »Der Kitzler und der Bluthund. Ser Gregor, Ser Amory, Ser Ilyn, Ser Meryn, König Joffrey, Königin Cersei.« Sie fragte sich, wie oft sie wohl Wies noch in ihr Gebet einschließen musste, und schlief mit dem Gedanken ein, dass er morgen, wenn sie erwachte, womöglich bereits tot sein würde.

Doch es war der harte Tritt von Wies’ Stiefelspitze, der sie wie immer weckte. Heute würde der Hauptteil von Lord Tywins Heer aufbrechen, erklärte er ihnen, während sie ihre Haferkekse zum Frühstück aßen. »Glaubt ja nicht, ihr könntet faul herumsitzen, wenn M’lord Lennister ins Feld gezogen ist«, warnte er. »Die Burg wird dadurch nicht kleiner, das verspreche ich euch, es werden nur weniger Leute da sein, um die Arbeit zu erledigen. Jetzt werdet ihr Faulpelze endlich lernen, was richtige Arbeit ist.«

Aber du wirst es uns nicht beibringen. Arya nahm ihren Haferkeks. Wies starrte sie stirnrunzelnd an, als habe er ihr Geheimnis gerochen. Rasch senkte sie den Blick auf ihr Essen und wagte nicht, ihn noch einmal zu heben.

Bleiches Licht erhellte den Hof, als Lord Tywin Harrenhal verließ. Arya sah von einem Bogenfenster in der Mitte des Klageturms aus zu. Sein Streitross trug eine Decke aus emaillierten purpurroten Schuppen und einen vergoldeten Kopfschutz, während Lord Tywin selbst einen dicken Hermelinmantel angelegt hatte. Sein Bruder Ser Kevan sah beinahe genauso prächtig aus. Nicht weniger als vier Standartenträger marschierten vor ihnen her und trugen die riesigen purpurroten Banner mit dem goldenen Löwen. Hinter den Lennisters folgten ihre höchsten Lords und Hauptleute. Ihre Banner wehten und knatterten im Wind und boten dem Auge ein Schauspiel bunter Farben: roter Ochse und goldener Berg, purpurfarbenes Einhorn und Zwerghahn, gestromter Eber und Dachs, silbernes Frettchen und Jongleur in Karos, Sterne und Sonnen, Pfau und Panter, Winkel und Dolch, schwarze Haube und blauer Käfer und grüner Pfeil.