Das war das Werk des Gnoms, vermutete Catelyn; es roch nach genau jener Art von Hinterlist, die er bereits auf der Ehr an den Tag gelegt hatte. Einst hätte sie Tyrion als das am wenigsten gefährliche Familienmitglied der Lennisters bezeichnet. Heute war sie sich dessen nicht mehr so sicher. »Wie hast du sie dann erwischt?«
»Ach, zufällig befand ich mich gerade nicht in der Burg. Ich hatte den Trommelstein überquert, um … äh …«
»Entweder warst du bei einer Hure oder einer Magd. Fahr fort.«
Edmures Wangen flammten auf und nahmen das Rot seines Bartes an. »Es war ungefähr eine Stunde vor dem Morgengrauen, und ich kam gerade zurück. Als der Lange Leo mein Boot sah und mich erkannte, kam er schließlich doch noch auf die Idee, sich zu fragen, wer denn wohl da unten im Hof stand und Befehle brüllte. Daraufhin hat er Alarm geschlagen.«
»Sag mir, dass der Königsmörder wieder gefangen wurde.«
»Ja, und das war nicht ganz so einfach. Jaime hat ein Schwert in die Hand bekommen und Paul Pimfurt und Ser Desmonds Knappen Myl erschlagen, und Delp so schwer verwundet, dass Maester Vyman um sein Leben fürchtet. Es war eine ziemlich blutige Angelegenheit. Als sie das Klirren des Stahls gehört haben, gesellten sich ein paar der anderen Rotröcke zu ihm, wenn auch ohne Waffen. Die habe ich neben die vier gehängt, die ihn befreit haben, und den Rest in den Kerker geworfen. Jaime ebenfalls. Der wird jedenfalls nicht noch einmal fliehen. Diesmal sitzt er im tiefsten Verlies und ist mit Händen und Füßen an die Wand gekettet.«
»Und Cleos Frey?«
»Er schwört, von dem Komplott nichts gewusst zu haben. Wer weiß? Der Mann ist ein halber Lennister, ein halber Frey und ein ganzer Lügner. Ich habe ihm Jaimes alte Zelle im Turm gegeben.«
»Du hast gesagt, er habe Bedingungen für einen Frieden gebracht?«
»Falls man es so nennen darf. Dir werden sie nicht besser gefallen als mir, das verspreche ich dir.«
»Können wir auf Hilfe aus dem Süden hoffen, Lady Stark?«, fragte Utherydes Wayn, der Haushofmeister ihres Vaters. »Dieser Vorwurf des Inzests … Lord Tywin nimmt solche Herabsetzungen nicht auf die leichte Schulter. Er wird alles tun, um den Namen seiner Tochter von diesem Makel reinzuwaschen, und zwar mit dem Blut des Anklägers. Lord Stannis muss das begreifen. Er hat keine andere Wahl, als sich mit uns zu verbünden.«
Stannis hat sich mit einer größeren und dunkleren Macht als uns verbündet. »Besprechen wir diese Angelegenheit später. « Catelyn trieb ihr Pferd im Trab über die Zugbrücke und ließ die grausige Reihe der toten Lennisters hinter sich. Ihr Bruder blieb an ihrer Seite. Als sie in den oberen Hof von Schnellwasser einritten, rannte ihr ein nacktes Kleinkind vors Pferd. Catelyn riss an den Zügeln, um ihm auszuweichen, und blickte sich bestürzt um. Hunderten von Bauern und Pächtern war Zutritt zur Burg gewährt worden, und sie hatten einfache Hütten entlang der Mauer errichtet. Die Kinder liefen überall herum, und der Hof war voller Kühe, Schafe und Hühner. »Was ist das für Volk?«
»Mein Volk«, antwortete Edmure. »Sie haben Angst.«
Nur mein süßer Bruder würde all diese nutzlosen Mäuler in einer Burg unterbringen, die in Kürze unter Belagerung stehen könnte. Catelyn wusste, dass Edmure ein weiches Herz hatte; manchmal jedoch hatte sie den Eindruck, sein Kopf sei noch weicher. Dafür liebte sie ihn zwar, nichtsdestotrotz …
»Kann man Robb durch einen Raben erreichen?«
»Er ist im Felde, Mylady«, antwortete Ser Desmond. »Der Vogel würde ihn nicht finden.«
Utherydes hüstelte. »Ehe er aufbrach, hat der junge König uns aufgetragen, Euch bei Eurer Rückkehr zu den Zwillingen zu schicken, Lady Stark. Er lässt Euch bitten, mehr über Lord Walders Töchter in Erfahrung zu bringen, damit Ihr ihm bei der Wahl seiner Braut helfen könnt, wenn die Zeit gekommen ist.«
»Wir werden dir natürlich frische Pferde und Proviant geben«, versprach ihr Bruder. »Und gewiss willst du dich zuvor erfrischen.«
»Ich werde hierbleiben«, sagte Catelyn und stieg ab. Sie trug sich nicht mit der Absicht, Schnellwasser und ihren sterbenden Vater zu verlassen, um für Robb eine Braut zu suchen. Robb will mich in Sicherheit wissen, das kann ich ihm nicht verdenken, aber sein Vorwand wird langsam ein wenig fadenscheinig. »Bursche«, rief sie, und ein Bediensteter aus dem Stall lief herbei und nahm ihr die Zügel ihres Pferdes ab.
Edmure schwang sich aus dem Sattel. Er war einen Kopf größer als sie, trotzdem würde er stets ihr kleiner Bruder sein. »Cat«, sagte er unglücklich. »Lord Tywin ist im Anmarsch …«
»Er ist auf dem Weg nach Westen, wo er sein eigenes Land verteidigen will. Wenn wir die Tore schließen und uns hinter diesen Mauern verschanzen, können wir ihm beim Vorbeiziehen zuschauen.«
»Dieses Land gehört den Tullys«, erklärte Edmure. »Falls Tywin Lennister glaubt, es ohne Blutvergießen durchqueren zu können, so beabsichtige ich, ihm eine Lektion zu erteilen.«
Die gleiche Lektion, die du seinem Sohn erteilt hast? Ihr Bruder konnte so stur sein wie ein Felsen im Fluss, wenn es um seinen Stolz ging, doch keiner von beiden hatte vergessen, wie Ser Jaime damals Edmures Heer in blutige Stücke gerissen hatte, als sie das letzte Mal in der Schlacht aufeinandergestoßen waren. »Wir haben nichts zu gewinnen und alles zu verlieren, wenn wir gegen Lord Tywin in die Schlacht ziehen«, sagte Catelyn taktvoll.
»Der Hof ist nicht der rechte Ort, meine Kriegspläne zu besprechen.«
»Wie du wünschst. Wohin sollen wir also gehen?«
Die Miene ihres Bruders verdüsterte sich. Einen Augenblick lang fürchtete sie, er würde die Beherrschung verlieren, doch schließlich knurrte er nur: »In den Götterhain. Wenn du darauf bestehst.«
Sie folgte ihm über die Galerie zum Tor des Götterhains. Edmure hatte schon immer gern geschmollt. Catelyn tat es leid, dass sie ihn verletzt hatte, aber die Angelegenheit war zu wichtig, um dabei Rücksicht auf seinen Stolz zu nehmen. Dann waren sie unter den Bäumen allein, und Edmure wandte sich ihr zu.
»Du hast nicht genug Männer, um gegen die Lennisters zu ziehen«, sagte sie frei heraus.
»Wenn ich alle meine Soldaten zusammenziehe, werden es achttausend Fußsoldaten und dreitausend Reiter sein«, entgegnete Edmure.
»Somit hätte Lord Tywin fast die doppelte Anzahl.«
»Robb hat seine Schlachten schon gegen eine größere Übermacht gewonnen«, gab Edmure zurück. »Und ich habe einen Plan. Du hast Roose Bolton vergessen. Lord Tywin hat ihn am Grünen Arm besiegt, ihn jedoch nicht weiter verfolgt. Als Lord Tywin nach Harrenhal gegangen ist, hat Bolton die Furt durch den Roten Arm genommen und ist bis zur Kreuzung gezogen. Er hat zehntausend Mann. Ich habe Helman Tallhart benachrichtigt, dass er sich mit der Truppe bei ihm einfinden soll, die Robb bei den Zwillingen zurückgelassen hat …«
»Edmure, Robb hat diese Männer bei den Zwillingen gelassen, damit sie die Stellung halten und dafür sorgen, dass Lord Walder uns nicht im Stich lässt.«
»Das hat er nicht getan«, sagte Edmure stur. »Die Freys haben tapfer im Wisperwald gekämpft, und der alte Ser Stevron ist bei Ochsenfurt gefallen, wie wir hörten. Ser Ryman und der Schwarze Walder und der Rest sind mit Robb nach Westen gezogen, Martyn hat gute Dienste als Kundschafter geleistet, und Ser Perwyn hat dich sicher zu Renly begleitet. Bei den guten Göttern, wie viel mehr können wir noch von ihnen verlangen? Robb ist mit einer der Töchter von Lord Walder verlobt, und Roose Bolton hat eine weitere geheiratet, erzählt man sich. Und hast du nicht zwei seiner Enkel als Mündel nach Winterfell geholt?«
»Ein Mündel wird leicht zur Geisel.« Von Ser Stevrons Tod und Boltons Heirat hatte sie noch nichts gewusst.
»Wenn wir zwei Geiseln haben, wird Lord Walder erst recht nicht wagen, ein falsches Spiel mit uns zu treiben. Bolton braucht die Männer der Freys und Ser Helmans ebenfalls. Ich habe ihm befohlen, Harrenhal zurückzuerobern.«
»Das wird eine blutige Unternehmung werden.«