»Ja, aber nachdem die Burg gefallen ist, wird Lord Tywin keine sichere Zuflucht mehr haben. Meine eigenen Truppen werden die Furten des Roten Arms gegen ihn verteidigen und ihm so das Überqueren unmöglich machen. Falls er über den Fluss hinweg angreifen will, wird er so enden wie Rhaegar, als er den Trident überqueren wollte. Hält er sich jedoch zurück, sitzt er zwischen Schnellwasser und Harrenhal fest, und wenn Robb aus dem Westen zurückkommt, können wir ihn ein für alle Mal besiegen.«
Ihr Bruder steckte so erschreckend voller Zuversicht, doch Catelyn wünschte plötzlich, Robb hätte ihren Onkel Brynden nicht mit nach Westen genommen. Der Schwarzfisch war ein Veteran, der bereits ein halbes Hundert Schlachten hinter sich hatte; Edmure hingegen hatte erst eine erlebt, und die hatte er verloren.
»Der Plan ist gut«, schloss er. »Lord Tytos meint das ebenfalls und Lord Jonos auch. Und wann haben Schwarzhain und Bracken einander je zugestimmt, frage ich dich?«
»Sei es, wie es will.« Mit einem Mal fühlte sie sich sehr müde. Vielleicht hatte sie nicht das Recht, ihm zu widersprechen. Möglicherweise war es ein hervorragender Plan, und ihre Bedenken lediglich weibliche Furcht. Wenn doch nur Ned hier wäre oder ihr Onkel Brynden oder … »Hast du Vater nach seiner Meinung gefragt?«
»Vaters Zustand erlaubt es ihm nicht, Strategien zu beurteilen. Vor zwei Tagen hat er beschlossen, dich mit Brandon Stark zu vermählen! Besuch ihn selbst, wenn du mir nicht glaubst. Mein Plan wird trotzdem gelingen, Cat, du wirst es schon sehen.«
»Das hoffe ich, Edmure. Ganz bestimmt hoffe ich das.« Sie küsste ihn auf die Wange, damit er wusste, dass sie es auch meinte, dann machte sie sich auf den Weg zu ihrem Vater.
Lord Hoster Tully befand sich noch immer in dem gleichen Zimmer, in dem sie ihn beim letzten Mal verlassen hatte – hager, bleich und mit schweißfeuchter Haut lag er im Bett. Es roch nach Krankheit, ein schwerer Geruch nach abgestandenem Schweiß und Medizin. Als sie die Vorhänge zurückzog, stöhnte ihr Vater leise und schlug die Augen auf. Seine Lider flatterten. Er starrte sie an und schien nicht zu begreifen, wer sie war oder was sie wollte.
»Vater.« Sie küsste ihn. »Ich bin zurück.«
Jetzt erkannte er sie offenbar. »Du bist gekommen«, flüsterte er schwach, und seine Lippen bewegten sich kaum.
»Ja«, antwortete sie. »Robb hat mich nach Süden geschickt, aber ich bin so schnell wie möglich zurückgekehrt.«
»Nach Süden … wo … Liegt die Ehr im Süden, Liebes? Ich erinnere mich nicht … oh, teures Kind, ich hatte Angst … Hast du mir vergeben, Kind?« Tränen rannen ihm über die Wangen.
»Ihr habt nichts getan, was ich Euch vergeben müsste, Vater. « Sie strich ihm über das schlaffe weiße Haar und fühlte seine Stirn. Trotz der Tränke des Maesters glühte er immer noch vom Fieber.
»Es war das Beste«, flüsterte ihr Vater. »Jon ist ein guter Mann, gut … stark, freundlich … Er wird für dich sorgen … das wird er … und hochgeboren, hör auf mich, das musst du, ich bin dein Vater … dein Vater … Du wirst ihn ehelichen, wenn sich Cat ebenfalls vermählt, ja, das wirst du …«
Er hält mich für Lysa, erkannte Catelyn. Bei den guten Göttern, er redet, als wären wir beide noch nicht verheiratet.
Ihr Vater umklammerte mit zitternden Händen die ihren. »Dieses Jüngelchen … elender Bursche … sprich seinen Namen nicht in meiner Gegenwart aus … deine Pflicht … deine Mutter, sie würde …« Lord Hoster schrie, während er sich vor Schmerz wand. »Oh, Götter, vergebt mir, vergebt mir, vergebt mir. Meine Medizin …«
Und dann war Maester Vyman da und hielt ihm einen Becher an die Lippen. Lord Hoster sog an dem dicken weißen Trunk wie ein Säugling an der Mutterbrust, und danach breitete sich wieder Frieden auf seinen Zügen aus. »Er wird jetzt schlafen, Mylady«, sagte der Maester, nachdem der Becher geleert war. Der Mohnblumensaft hatte einen weißen Film um den Mund ihres Vaters hinterlassen. Maester Vyman wischte ihn mit dem Ärmel ab.
Catelyn konnte nicht länger zuschauen. Hoster Tully war ein starker Mann gewesen, ein stolzer Mann. Es schmerzte sie, ihn nun so zu sehen. Sie ging hinaus auf die Terrasse. Der Hof unten war von Flüchtlingen bevölkert, Lärm schallte herauf, doch jenseits der Mauern flossen die Flüsse still und rein und endlos dahin. Dies sind seine Flüsse, und bald wird er zur letzten Reise zu ihnen zurückkehren.
Maester Vyman war ihr nach draußen gefolgt. »Mylady«, sagte er leise, »ich kann das Ende nicht viel länger hinauszögern. Wir sollten einen Reiter zu seinem Bruder schicken. Ser Brynden würde bestimmt gern hier sein.«
»Ja«, erwiderte Catelyn mit belegter Stimme.
»Und Lady Lysa möglicherweise auch.«
»Lysa wird nicht kommen.«
»Wenn Ihr vielleicht persönlich schreiben würdet …«
»Wenn Ihr wollt, werde ich ihr ein paar Zeilen schreiben, gewiss.« Sie fragte sich, wer wohl Lysas »elendes Jüngelchen« gewesen war. Ein junger Knappe oder ein Ritter von niederem Stand … obwohl, bei der Vehemenz, die Lord Hosters Worte ausgedrückt hatten, konnte es sich auch um den Sohn eine Kaufmanns oder einen Handwerkslehrling handeln, vielleicht sogar um einen Sänger. Lysa hat stets eine Vorliebe für Sänger gehabt. Da kann ich ihr keinen Vorwurf machen. Jon Arryn war zwanzig Jahre älter als unser Vater, ganz gleich, von welch edler Geburt er war.
Der Turm, den ihr Bruder ihr als Quartier überlassen hatte, war der gleiche, in dem sie und Lysa als Mädchen gewohnt hatten. Es würde ihr gut tun, wieder unter einem Federbett zu schlafen, wieder ein warmes Feuer im Kamin zu haben; nachdem sie sich ausgeruht hätte, würde ihr die Welt auch nicht mehr so trostlos erscheinen.
Doch vor ihren Gemächern wartete Utherydes Wayn mit zwei Frauen in grauen Gewändern, deren Gesichter bis auf die Augen verhüllt waren. Catelyn wusste sofort, aus welchem Grund sie hier waren. »Ned?«
Die Schwestern senkten den Blick. Utherydes sagte: »Ser Cleos hat ihn von Königsmund mitgebracht, Mylady.«
»Führt mich zu ihm«, befahl sie.
Sie hatten ihn auf einem Tisch aufgebahrt und mit einem Banner bedeckt, dem weißen Banner des Hauses Stark mit seinem grauen Schattenwolf. »Ich möchte ihn sehen«, verlangte Catelyn.
»Es sind nur die Gebeine geblieben, Mylady.«
»Ich möchte ihn trotzdem sehen«, wiederholte sie.
Eine der Schweigenden Schwestern zog das Banner herunter.
Knochen, dachte Catelyn. Das ist nicht Ned, das ist nicht der Mann, den ich geliebt habe, der Vater meiner Kinder. Die Hände waren über der Brust gefaltet, die Knochenfinger um den Griff eines Langschwerts geschlungen, doch es waren nicht Neds Hände, die so stark und voller Leben gewesen waren. Sie hatten das Skelett in Neds Überwurf gehüllt, in den feinen weißen Samt mit dem Schattenwolf über dem Herzen, doch von dem warmen Fleisch, auf dem ihr Kopf so oft geruht hatte, von den Armen, die sie gehalten hatten, war nichts geblieben. Der Kopf war mit einem feinen Silberdraht wieder am Hals befestigt worden, doch ein Schädel sah aus wie der andere, und in den leeren Höhlen fand sie keine Spur mehr von den dunkelgrauen Augen ihres Lords, diesen Augen, die weich wie Nebel und hart wie Stein sein konnten. Die Augen haben sie den Krähen gegeben, erinnerte sie sich.
Catelyn wandte sich ab. »Das ist nicht sein Schwert.«
»Eis wurde uns nicht übergeben, Mylady«, sagte Utherydes. »Nur Lord Eddards Gebeine.«
»Ich nehme an, selbst dafür muss ich der Königin dankbar sein.«
»Dankt dem Gnom, Mylady. Es war sein Werk.«
Eines Tages werde ich ihnen allen danken. »Ich bin dankbar für Eure Dienste, Schwestern«, sagte Catelyn, »leider jedoch muss ich Euch eine weitere Aufgabe auferlegen. Lord Eddard war ein Stark, und seine Gebeine müssen unter Winterfell bestattet werden.« Sie werden eine Statue von ihm anfertigen, ein steinernes Abbild, das mit einem Schattenwolf zu Füßen und einem Schwert über den Knien in der Dunkelheit sitzen wird. »Utherydes, beschafft den Schwestern frische Pferde und alles Weitere, was sie für die Reise brauchen«, trug sie dem Haushofmeister auf. »Hal Mollen wird sie nach Winterfell geleiten. Das ist seine Aufgabe als Hauptmann der Wache.« Sie warf einen Blick auf die Knochen, die alles waren, was von ihrem Lord und ihrer Liebe geblieben war. »Jetzt verlasst mich bitte. Ich möchte heute Nacht mit Ned allein sein.«