Die Krone war das einzige Geschenk, das sie behielt. Den Rest verkaufte sie, um das Geld zu bekommen, das sie dann an die Reingeborenen verschwendet hatte. Xaro hätte auch die Krone verkauft – die Dreizehn würden ihr eine schönere schenken, schwor er, doch Dany verbot es. »Viserys hat die Krone meiner Mutter verkauft, und die Menschen nannten ihn einen Bettler. Ich werde diese behalten, damit die Menschen mich eine Königin nennen.« Und so trug sie die Krone, obwohl ihr von dem Gewicht der Nacken schmerzte.
Wenn auch gekrönt, eine Bettlerin bin ich noch immer, dachte Dany. Ich bin die prächtigste Bettlerin der Welt, und trotzdem nur eine Bettlerin. Sie hasste es genauso, wie ihr Bruder es einst gehasst haben musste. All diese Jahre, in denen wir von Stadt zu Stadt hasteten, um den Meuchlern des Thronräubers stets einen Schritt voraus zu sein, und Archonten und Fürsten und Magister um Hilfe baten und uns das Essen mit Schmeicheleien erkauften. Er muss gewusst haben, wie sehr sie ihn verachteten. Kein Wunder, dass er so wütend und verbittert wurde. Am Ende hatte es ihn in den Wahnsinn getrieben. Mir wird das Gleiche widerfahren, wenn ich es zulasse. Ein Teil von ihr hätte ihr Volk am liebsten zurück nach Vaes Tolorro geführt, um die tote Stadt aufblühen zu lassen. Nein, das würde die Niederlage bedeuten. Ich habe etwas, das Viserys nie besessen hat. Ich habe die Drachen. Die Drachen machen den Unterschied.
Sie streichelte Rhaegal. Der grüne Drache legte die Zähne um das Fleisch ihrer Hand und biss heftig zu. Draußen murmelte und summte die große Stadt, und die Myriaden von Stimmen verschmolzen zu einem tiefen Laut, der an das Donnern der Brandung erinnerte. »Macht Platz, ihr Milchmenschen, macht Platz für die Mutter der Drachen«, rief Jhogo, und die Qartheen wichen zur Seite, wenn auch vielleicht eher wegen der Ochsen als wegen Jhogos Stimme. Durch die schwankenden Vorhänge konnte Dany ihn gelegentlich auf seinem grauen Hengst sehen. Von Zeit zu Zeit versetzte er dem vorderen Ochsen einen Hieb mit der Peitsche, die einen Silbergriff hatte und die sie ihm geschenkt hatte. Aggo bewachte die andere Seite, während Rakharo hinter ihnen ritt und in den Gesichtern der Menge nach Anzeichen von Gefahr suchte. Ser Jorah war heute zu Hause geblieben, um die anderen Drachen zu bewachen; der verbannte Ritter hatte sich diesem närrischen Unternehmen von Anfang an widersetzt. Er misstraut jedem, ging es ihr durch den Kopf, und vermutlich aus gutem Grund.
Als Dany den Kelch hob und Wein trinken wollte, schnüffelte Rhaegal daran, zischte und zog den Kopf zurück. »Euer Drache hat eine feine Nase.« Xaro wischte sich den Mund. »Der Wein ist sehr gewöhnlich. Es heißt, jenseits der Jadesee würde ein goldener Trunk gekeltert, von dem man nur einen Schluck zu trinken braucht, und alle anderen Weine schmecken wie Essig. Lasst uns meine Lustbarke nehmen und nach ihm suchen, Ihr und ich.«
»Der beste Wein der ganzen Welt stammt vom Arbor«, verkündete Dany. Lord Rothweyn hatte für ihren Vater gegen den Thronräuber gekämpft, erinnerte sie sich, einer der wenigen, die bis zuletzt treu geblieben waren. Würde er heute auch für mich kämpfen? Dessen konnte man sich nach all den Jahren nicht sicher sein. »Kommt mit mir zum Arbor, Xaro, und Ihr werdet die feinsten Weine kosten, die Ihr je probiert habt. Aber wir werden ein Kriegsschiff brauchen und keine Lustbarke.«
»Ich besitze keine Kriegsschiffe. Krieg ist schlecht für den Handel. Wie oft habe ich es Euch nun schon gesagt? Xaro Xhoan Daxos ist ein Mann des Friedens.«
Xaro Xhoan Daxos ist ein Mann des Goldes, dachte sie, und mit Gold kann ich alle Schiffe und Schwerter kaufen, die ich brauche. »Ich meinte nicht, dass Ihr selbst das Schwert ergreifen sollt. Wenn Ihr mir nur Eure Schiffe leiht.«
Er lächelte bescheiden. »Handelsschiffe habe ich einige, gewiss. Aber wer kann sagen, wie viele? Eines sinkt vielleicht gerade in diesem Augenblick in einem stürmischen Winkel des Sommermeeres. Und morgen fällt möglicherweise ein anderes Korsaren in die Hände. Am nächsten Tag betrachtet vielleicht einer meiner Kapitäne die Reichtümer im Frachtraum und denkt: Das alles sollte mir gehören. Solcherart sind die Gefahren des Handels. Je länger wir reden, desto weniger Schiffe habe ich wahrscheinlich am Ende. Ich werde von Moment zu Moment ärmer.«
»Gebt mir Schiffe, und ich werde Euch wieder reich machen. «
»Heiratet mich, helles Licht, und bemannt das Schiff meines Herzens. Ich kann keine Nacht mehr schlafen, weil ich stets an Eure Schönheit denken muss.«
Dany lächelte. Xaros blumige Beteuerungen seiner Leidenschaft amüsierten sie, doch sein Verhalten stand im Gegensatz zu seinen Worten. Während Ser Jorah kaum in der Lage gewesen war, den Blick von ihrer nackten Brust abzuwenden, als er ihr in den Palankin half, nahm Xaro kaum Notiz von ihrem Busen, obwohl sie hier sehr nah beieinander saßen. Und sie hatte die hübschen Knaben gesehen, die den Handelsherrn umschwirrten und in hauchdünner Seide durch die Säle seines Palastes wandelten. »Ihr sprecht so süß, Xaro, und dennoch höre ich nur ein weiteres Nein heraus.«
»Dieser Eiserne Thron, von dem Ihr erzählt, erscheint mir fürchterlich kalt und hart. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass die rauen Kanten Eure holde Haut zerschneiden. « Mit den Juwelen in der Nase erinnerte Xago Dany an einen aufgeplusterten bunten Vogel. Mit den langen eleganten Fingern machte er eine wegwerfende Geste. »Lasst dies Euer Königreich sein, auserlesenste aller Königinnen, und lasst mich Euer König sein. Ich werde Euch einen Thron aus Gold schenken, wenn Ihr mögt. Wenn es Euch in Qarth langweilig wird, können wir durch Yi Ti reisen und nach der Träumenden Stadt der Poeten suchen, wo wir aus dem Schädel eines toten Mannes vom Wein der Weisheit trinken.«
»Ich beabsichtige, nach Westeros zu segeln und den Wein der Rache aus dem Schädel des Usurpators zu trinken.« Sie kratzte Rhaegal unter einem Auge, und der kleine Drache entfaltete kurz die jadegrünen Flügel und brachte die bewegungslose Luft im Palankin in Bewegung.
Eine einzelne vollkommene Träne rann Xaro Xhoan Daxos über die Wange. »Kann ich Euch denn mit gar nichts von diesem Wahnsinn abbringen?«
»Nein«, sagte sie und wünschte sich, sie wäre sich dessen so sicher, wie ihre Stimme klang. »Wenn mir jeder der Dreizehn zehn Schiffe leihen würde …«
»Dann hättet Ihr einhundertdreißig Schiffe ohne Mannschaft. Mag Euer Anspruch noch so gerechtfertigt sein, den einfachen Männern von Qarth bedeutet er nichts. Was scheren sich meine Seeleute darum, wer auf dem Thron irgendeines Königreiches am Ende der Welt sitzt?«
»Ich werde sie bezahlen.«
»Mit welchem Geld, süßester Stern an meinem Himmel?«
»Mit dem Gold, das die Sucher bringen.«
»Das könnt Ihr natürlich tun«, bemerkte Xaro, »aber solcher Einsatz wird viel kosten. Ihr müsstet ihnen weitaus mehr bezahlen als ich, und ganz Qarth lacht bereits über meine verschwenderische Großzügigkeit.«
»Wenn die Dreizehn mir nicht helfen, sollte ich mich vielleicht an die Gilde der Gewürzhändler oder die Turmalinbruderschaft wenden?«
Xaro zuckte träge die Schultern. »Von ihnen habt Ihr nichts zu erwarten außer Schmeicheleien und Lügen. Die Gewürzhändler sind Heuchler und Prahler, in der Bruderschaft gibt es sogar Piraten.«