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An ihrer Spitze ritt ein sehr großer, stockdürrer Mann mit ausgemergeltem Gesicht, das durch den zotteligen langen schwarzen Bart, der vom spitzen Kinn bis fast zur Hüfte reichte, noch länger wirkte. Der Helm, der am Sattelknauf hing, war aus schwarzem Stahl geschmiedet und wie ein Ziegenkopf geformt. Um den Hals trug er eine Kette, die aus vielen Münzen unterschiedlicher Größen, Formen und Metalle bestand, und sein Pferd war auch eines dieser seltsamen Schwarzweißen.

»Mit diesem Haufen willst du bestimmt nichts zu tun bekommen, Wiesel«, sagte Wies, als er bemerkte, dass sie den Mann mit dem Ziegenhelm beobachtete. Zwei seiner Trinkkumpane standen bei ihm, Waffenbrüder in Diensten von Lord Leffert.

»Wer ist das?«, fragte sie.

Einer der Soldaten lachte. »Das sind die Fußmänner, Mädchen. Die Zehen der Ziege. Lord Tywins Blutiger Mummenschanz. «

»Erbsen statt Hirn. Wenn sie die Haut abgezogen kriegt, kannst du die verdammten Treppen an ihrer Stelle schrubben«, sagte Wies. »Das sind Söldner, Wieselmädchen. Nennen sich die Tapferen Kameraden. Wag es nicht, sie bei diesem anderen Namen zu nennen, wenn sie in der Nähe sind, sonst ergeht’s dir übel. Der Ziegenhelm ist ihr Hauptmann, Lord Vargo Hoat.«

»Der ist kein verfickter Lord«, widersprach der zweite Soldat. »Ich habe gehört, wie Ser Amory das gesagt hat. Er ist bloß ein Söldner mit einem sabbernden Maul und einer zu hohen Meinung von sich selbst.«

»Klar«, meinte Wies, »aber sie sollte ihn besser Lord nennen, wenn sie in einem Stück bleiben will.«

Arya betrachtete Vargo Hoat erneut. Wie viele Ungeheuer hat Lord Tywin denn noch?

Die Tapferen Kameraden wurden im Witwenturm untergebracht, daher brauchte Arya sie nicht zu bedienen. Darüber war sie froh; in der Nacht ihrer Ankunft brach ein Streit zwischen den Söldnern und einigen Männern der Lennisters aus. Ser Harys Swyfts Knappe wurde dabei erstochen, und zwei vom Blutigen Mummenschanz trugen Verletzungen davon. Am nächsten Morgen ließ Lord Tywin beide zusammen mit einem von Lord Lyddens Bogenschützen an der Torhausmauer aufhängen. Wies erzählte, der Bogenschütze habe den Streit angefangen, weil er die Söldner mit Beric Dondarrion aufgezogen habe. Nachdem die Gehängten nicht mehr zappelten, umarmten sich Vargo Hoat und Ser Harys und küssten sich und schworen sich brüderliche Liebe, während Lord Tywin zusah. Arya fand Vargo Hoats Lispeln und Sabbern komisch, hütete sich jedoch zu lachen.

Der Blutige Mummenschanz blieb nicht lange in Harrenhal, doch ehe die Söldner wieder hinausritten, hörte Arya einen von ihnen sagen, eine Armee im Norden unter Roose Bolton habe bei der Rubinfurt am Trident Stellung bezogen. »Wenn er sie überquert, wird Lord Tywin ihn erneut zermalmen, wie am Grünen Arm«, erwiderte einer der Lennister-Bogenschützen, und seine Gefährten brüllten ihn nieder. »Bolton wird den Fluss niemals überqueren, nicht bis der Junge Wolf sich mit seinen wilden Nordmännern und den Wölfen von Schnellwasser aus in Marsch gesetzt hat.«

Dass ihr Bruder so nah war, hatte Arya nicht gewusst. Schnellwasser war wesentlich näher als Winterfell, obwohl sie keine Ahnung hatte, in welcher Richtung es von Harrenhal aus gesehen lag. Das könnte ich herausfinden, bestimmt, wenn ich nur irgendwie fliehen könnte. Beim Gedanken, Robb wiederzusehen, musste sie sich auf die Lippe beißen. Und Jon will ich sehen, und Bran und Rickon und Mutter. Sogar Sansa … ich werde sie küssen und sie wie eine richtige Dame um Verzeihung bitten. Das wird ihr gefallen.

Durch den Klatsch auf dem Hof erfuhr sie auch von den drei Dutzend Gefangenen im Turm der Angst, die während einer Schlacht am Grünen Arm des Trident gemacht worden waren. Die meisten durften sich in der Burg frei bewegen, nachdem sie geschworen hatten, nicht zu fliehen. Sie haben geschworen, nicht zu fliehen, dachte Arya, aber nicht, mir nicht bei der Flucht zu helfen.

Die Gefangenen aßen an ihrem eigenen Tisch in der Halle der Hundert Kamine und waren oft auf dem Hof zu sehen. Vier Brüder übten sich jeden Tag im Kampf, fochten mit Stangen und Holzschilden im Fließsteinhof. Drei von ihnen waren Freys vom Kreuzweg, der Vierte ihr Bastardbruder. Sie waren jedoch nur kurze Zeit da; eines Morgens trafen zwei weitere Brüder unter dem Banner des Waffenstillstands ein und brachten Truhen mit Gold, um die Ritter auszuzahlen, die sie gefangen genommen hatten. Die sechs Freys ritten gemeinsam zum Tor hinaus.

Niemand zahlte das Lösegeld für die Nordmannen. Ein fetter kleiner Lord triebe sich immer in der Küche herum, erzählte Heiße Pastete ihr, und sei auf kleine Häppchen aus. Sein Schnurrbart war so buschig, dass er den ganzen Mund bedeckte, und seine Mantelschnalle war ein Dreizack aus Silber und Saphiren. Er gehörte Lord Tywin, der grimmige, bärtige junge Mann hingegen, der so gern auf den Wehrgängen spazieren ging und einen schwarzen Mantel mit weißen Sonnen trug, war von einem Heckenritter gefangen genommen worden, der an ihm Geld verdienen wollte. Sansa hätte gewusst, wer er und auch der Fette waren, doch Arya hatte sich nie viel aus Titeln und Wappen gemacht. Wann immer Septa Mordane sich über die Geschichte dieses oder jenes Hauses ausgelassen hatte, hatte sie nur verträumt aus dem Fenster geschaut und das Ende der Stunde herbeigesehnt.

Allerdings erinnerte sie sich an Lord Cerwyn. Seine Ländereien lagen nahe bei Winterfell, deshalb hatten er und sein Sohn Cley sie oft besucht. Doch wie das Schicksal es wollte, war er der einzige Gefangene, der sich nie blicken ließ; er lag in einer Zelle des Turms im Bett und erholte sich von einer Verletzung. Tagelang überlegte Arya, wie sie sich an den Türwachen vorbeistehlen könnte, um ihn zu sehen. Wenn er sie erkannte, wäre er durch seine Ehre verpflichtet, ihr zu helfen. Ein Lord würde bestimmt Gold haben, das hatten sie alle; vielleicht würde er ein paar von Lord Tywins eigenen Söldnern bestechen, um sie nach Schnellwasser zu bringen. Vater hatte immer gesagt, für genügend Gold würden die meisten Söldner selbst ihre Mutter verkaufen.

Dann erblickte sie eines Morgens drei Frauen in den grauen Roben der Schweigenden Schwestern. Sie luden gerade einen Leichnam auf ihren Wagen. Der Tote war in einen Umhang aus feinster Seide gehüllt, der das Wappen der Streitaxt trug. Auf ihre Frage hin, wer das sei, erklärte eine der Wachen ihr, Lord Cerwyn sei gestorben. Die Worte trafen sie wie ein Tritt in den Bauch. Er hätte dir sowieso nicht helfen können, dachte sie, während die Schwestern den Wagen durch das Tor zogen. Er hätte dir nicht helfen können, du dumme Maus.

Danach hieß es wieder schrubben und umherhuschen und an Türen lauschen. Bald werde Lord Tywin nach Schnellwasser marschieren, hörte sie. Oder er werde in südlicher Richtung nach Rosengarten aufbrechen, was niemand erwartete. Nein, er müsse Königsmund verteidigen, denn Stannis stelle die größte Bedrohung dar. Er habe Gregor Clegane und Vargo Hoat ausgeschickt, um Roose Bolton zu vernichten und so die Gefahr in seinem Rücken zu bannen. Er habe Raben nach Hohenehr geschickt, weil er Lady Lysa Arryn ehelichen wolle und auf diese Weise das Grüne Tal zu gewinnen gedenke. Er habe eine Tonne Silber gekauft, aus dem magische Schwerter geschmiedet werden sollten, mit denen er die Warge der Starks niedermetzeln wolle. Nein, er habe Lady Stark vorgeschlagen, Frieden zu schließen, und der Königsmörder werde bald freigelassen.

Obwohl den ganzen Tag Raben eintrafen und abflogen, verbrachte Lord Tywin seine Zeit überwiegend hinter verschlossenen Türen beim Kriegsrat. Arya erhaschte manchmal einen Blick auf ihn, doch stets nur aus der Ferne – einmal ging er in Begleitung von drei Maestern und des dicken Gefangenen mit dem buschigen Schnurrbart auf der Mauer entlang, ein andermal ritt er mit seinen Gefolgsleuten hinaus, um die Lager zu inspizieren, doch meist stand er in einem Bogen der überdachten Galerie und beobachtete die Männer im Hof bei den Waffenübungen. Er stand einfach da und hielt die Hände über dem goldenen Heft seines Langschwerts gefaltet. Man sagte, Lord Tywin liebe Gold über alles; er scheiße sogar Gold, hörte sie einen Knappen scherzen. Der Lennister sah kräftig aus für einen alten Mann, seine goldenen Barthaare waren borstig, sein Kopf kahl. Etwas in seinem Gesicht erinnerte Arya an ihren Vater, obwohl die beiden sich ansonsten überhaupt nicht ähnelten. Er hat das Gesicht eines Lords, das ist alles, redete sie sich ein.