Arya lief ihre geschrubbten Treppen hinauf. Niemand zollte ihr Beachtung, als sie eintrat. Chiswyck saß mit einem Horn Bier in der Hand am Feuer und erzählte eine seiner lustigen Geschichten. Sie wagte es nicht, ihn zu unterbrechen, denn damit würde sie nur eine blutige Lippe ernten.
»Nach dem Turnier der Hand, das war, bevor der Krieg begann«, sagte Chiswyck gerade, »waren wir auf dem Rückweg nach Westen, wir sieben und Ser Gregor. Raff war dabei, und der junge Joss Stillwald, der beim Turnier der Knappe des Sers gewesen war. Nun, wir sind an diesen Pissfluss gekommen, der wegen des Regenwetters Hochwasser führte. Die Furt war nicht zu passieren, aber in der Nähe lag ein Gasthaus, also sind wir dort eingekehrt. Der Ser hat den Wirt gerufen und ihm gesagt, er solle unsere Hörner immer nachfüllen, bis der Regen aufhört, und ihr hättet die Schweinsäuglein des Mannes beim Anblick des Silbers sehen sollen. Er holt uns also Bier, er und seine Tochter, und das Zeug ist dünn, braune Pisse, die mich nicht glücklich macht, und den Ser auch nicht. Die ganze Zeit redet dieser Wirt daher, er sei froh, weil wir da seien, bei diesem Regen sehe er nicht viele Gäste. Der Narr kann einfach das Maul nicht halten, obwohl der Ser kein Wort sagt und nur an diesen Ritter der Stiefmütterchen denkt, der ihn besiegt hat, und zwar mit einem fiesen Trick. Man sieht richtig, wie er die Lippen aufeinander presst, und ich und die anderen, wir wissen natürlich, dass wir schweigen müssen, aber dieser Wirt will schwatzen, er fragt Mylord sogar, wie es ihm im Turnier ergangen ist. Der Ser wirft ihm nur einen Blick zu.« Chiswyck kicherte, stürzte sein Bier hinunter und wischte sich den Schaum vom Mund. »Inzwischen bringt uns seine Tochter, ein fettes Ding von vielleicht achtzehn Jahren …«
»Eher dreizehn«, meinte Raff der Liebling.
»Mag sein, auf jeden Fall war sie nicht sehr hübsch anzuschauen, aber Eggon hat gesoffen und betätschelt sie, und ich selbst patsche auch ein bisschen an ihr herum. Raff meint zum jungen Stillwald, dass er das Mädchen mit nach oben nehmen soll, damit er endlich zum Mann wird, und ermutigt den Jungen nach Kräften. Schließlich greift Joss ihr unter den Rock, und sie schreit und lässt den Krug fallen und rennt in die Küche. Also, hier wäre die Geschichte eigentlich zu Ende, aber der alte Narr von Wirt geht doch glatt zu unserem Ser und bittet ihn, dafür zu sorgen, dass wir das Mädchen in Ruhe lassen, wo er doch ein gesalbter Ritter sei.
Ser Gregor hat unsere Späße bisher gar nicht beachtet, aber jetzt setzt er diesen Blick auf, den kennt ihr alle, und er befiehlt, dass das Mädchen zu ihm gebracht werden soll. Der alte Mann muss sie also aus der Küche zu uns hereinzerren und kann nur sich selbst die Schuld geben. Der Ser betrachtet sie und meint: ›Das ist also die Hure, um die du dir solche Sorgen machst‹, und dieser vertrottelte Dummkopf sagt: ›Meine Layna ist keine Hure, Ser‹, und zwar Gregor mitten ins Gesicht. Der Ser blinzelt nicht einmal und sagt nur: ›Ab jetzt schon‹, wirft dem Wirt ein Silberstück zu, reißt dem Mädel das Kleid vom Leib und nimmt sie mitten auf dem Tisch, vor den Augen ihres Vaters. Sie zappelt und schreit und windet sich wie ein Kaninchen. Den Blick des alten Wirtes müsst ihr euch vorstellen, ich habe gelacht, dass mir das Bier aus der Nase kam. Dann hört dieser Junge den Lärm, der Sohn, nehme ich an, und kommt aus dem Keller raufgerannt, also muss Raff ihm mit dem Dolch ein bisschen in den Bauch pieken. Inzwischen ist der Ser fertig und trinkt weiter, und wir anderen kommen an die Reihe. Tobbot, ihr kennt ihn ja, der dreht sie auf den Bauch und nimmt sie durch den Hintereingang. Als ich endlich dran bin, hat das Mädchen aufgehört, sich zu wehren, vielleicht hat sie ja am Ende noch Spaß dran gefunden, obwohl mich ein bisschen Zappeln nicht gestört hätte, um die Wahrheit zu sagen. Und jetzt kommt das Beste … nachdem wir alle durch sind, sagt der Ser dem alten Mann, er wolle sein Wechselgeld haben. Das Mädchen sei kein Silberstück wert gewesen … und verflucht, der Alte holt tatsächlich eine Hand voll Kupferstücke, bittet Mylord um Verzeihung, und dankt ihm für die Ehre.«
Die Männer brüllten und johlten, und Chiswyck lachte am lautesten über seine eigene Geschichte, bis ihm der Rotz aus der Nase in den verfilzten grauen Bart lief. Arya stand im Schatten des Treppenhauses und beobachtete ihn durch die offene Tür. Sie schlich zurück in den Keller, ohne ein Wort zu sagen. Als Wies herausfand, dass sie seinen Auftrag nicht ausgeführt hatte, zog er ihr die Hosen herunter und prügelte sie, bis ihr das Blut an den Beinen herunterlief, doch Arya schloss die Augen und dachte an das, was Syrio sie gelehrt hatte, und so spürte sie die Schläge kaum.
Zwei Nächte später schickte er sie in die Halle der Kaserne, um an den Tischen zu bedienen. Sie trug gerade einen Krug Wein herum und schenkte ein, als sie Jaqen H’ghar bemerkte, der auf der anderen Seite des Gangs beim Essen saß. Arya biss sich auf die Unterlippe und schaute sich vorsichtig um, ob Wies in der Nähe sei. Angst schneidet tiefer als ein Schwert, sprach sie sich selbst Mut zu.
Sie machte einen Schritt und noch einen, und mit jedem fühlte sie sich weniger wie eine Maus. Sie arbeitete sich die ganze Bank hinunter vor und füllte Weinbecher. Rorge saß rechts neben Jaqen; er war sturzbetrunken und nahm sie nicht zur Kenntnis. Arya beugte sich vor und flüsterte Jaqen ins Ohr: »Chiswyck.« Der Mann aus Lorath ließ sich nicht anmerken, ob er etwas gehört hatte.
Als ihr Krug leer war, eilte Arya hinunter in den Keller, um ihn am Fass neu zu füllen, und kehrte rasch nach oben zurück. Niemand war in der Zwischenzeit an Durst gestorben oder hatte ihre kurze Abwesenheit auch nur bemerkt.
Am nächsten Tag geschah nichts, und auch am darauffolgenden nicht, doch am dritten Tag ging Arya mit Wies zur Küche, um das Essen zu holen. »Einer der Männer des Reitenden Bergs ist gestern Nacht vom Wehrgang gefallen und hat sich das Genick gebrochen«, erzählte Wies einer der Köchinnen.
»War er betrunken?«, fragte die Frau.
»Nicht mehr als sonst. Manche sagen, es sei Harrens Geist gewesen, der ihn hinuntergestoßen hat.« Er schnaubte und deutete damit an, was er von solchen Bemerkungen hielt.
Harren war es nicht, hätte Arya am liebsten geschrien, ich war es. Sie hatte Chiswyck mit einem Flüstern getötet, und sie würde noch zwei weitere Männer umbringen, ehe sie fertig war. Ich bin der Geist von Harrenhal, dachte sie. Und an diesem Abend gab es einen Namen weniger zu hassen.
CATELYN
Der Treffpunkt war eine Wiese, die von bleichen grauen Pilzen und den rauen Stümpfen gefällter Bäume übersät war.
»Wir sind die Ersten, Mylady«, sagte Hallis Mollen und zügelte sein Pferd inmitten der Stümpfe, wo sie sich ganz allein zwischen den Armeen befanden. Das Schattenwolfbanner des Hauses Stark flatterte an der Lanze, die er hielt. Catelyn konnte das Meer zwar von hier aus nicht sehen, doch sie spürte, wie nah es war. Der Wind trug den schweren Geruch von Salz aus dem Osten heran.
Stannis Baratheons Männer hatten den Wald abgeholzt, um Belagerungstürme und Katapulte zu bauen. Catelyn fragte sich, wie alt die Bäume gewesen waren und ob Ned hier wohl gerastet hatte, als er sein Heer nach Süden geführt hatte, um die letzte Belagerung von Sturmkap zu beenden. An jenem Tag hatte er einen großen Sieg errungen, umso größer, da er unblutig gewonnen worden war.
Mögen die Götter geben, dass mir das Gleiche gelingt, betete Catelyn. Ihre Lehnsmänner glaubten, sie sei verrückt geworden, weil sie überhaupt hier erschien. »Dieser Kampf ist nicht der unsere, Mylady«, hatte Ser Wendel Manderly gesagt. »Ich weiß, der König würde nicht wünschen, dass sich seine Mutter einer solchen Gefahr aussetzt.«