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Garth blickte mit ungläubig aufgerissenen Augen in die geöffnete Kiste. Es war nicht mehr genau zu erkennen, was sie einmal enthalten haben mochte. Ihr Boden war bis zur halben Höhe der Wände mit einer schleimigen, braungelbschwarzgrün schillernden, übelriechenden Masse gefüllt.

»Das ist... das ist doch nicht möglich«, ächzte Garth.

»Daß ihr so was gegessen habt?« Torian zuckte mit den Achseln. »Vielleicht sind die Tremoner deshalb so schlechte Krieger.«

»Aber ich habe selbst mitgeholfen, die Kisten zu füllen!« keuchte Garth, Torians schwachen Versuch, einen Scherz zu machen, ignorierend. Es war... Pökelfleisch darin und Brot und... Schinken und Käse.«

Torian sah ihn scharf an. »Du machst keine Scherze mit mir, nein?« fragte er.

»Danach ist mir im Moment wirklich nicht zumute.« Garth sah auf und blickte sich rasch und fast gehetzt um.

Irgend etwas war nicht richtig, dachte Torian. Es waren nicht allein die verdorbenen Lebensmittel, nicht nur das Licht, das so seltsam falsch war. Sie waren allein, und doch hatte er das Gefühl, belauert zu werden. Der Raum war so leer, wie sie ihn vorgefunden hatten, und doch schien außer ihnen noch etwas hier zu sein. Etwas Fremdes und Feindseliges, etwas, das in den Schatten lauerte und immer verschwand, wenn man es genauer ansehen wollte. Es war ein unheimliches Gefühl. Furcht, sicher, aber eine Art von Furcht, die ihm fremd war und die ihm 'vielleicht gerade deshalb besonders zusetzte. Was hatte Garth gesagt, als sie die Stadt betraten? Radars Fluch? Torian begann zu ahnen, daß es mehr als nur eine Legende war.

»Ich verstehe das nicht«, murmelte Garth verstört. »Die Lebensmittel müßten sich Jahre halten, so trocken, wie es hier ist. Ich...«

Er stockte, fuhr sich mit einer raschen, nervösen Geste über Kinn und Mund und sah Torian unsicher an. »Das ist Zauberei«, flüsterte er heiser.

Torian schwieg einen Moment. »Laß uns die anderen Kisten überprüfen«, schlug er vor. »Vielleicht sind die Lebensmittel einfach nur verdorben. Komm!« Ohne Garth’ Antwort abzuwarten, nahm er die Eisenstange auf, ging zu einer der anderen Kisten und zerbrach die Scharniere, wie er es bei der ersten getan hatte. Der Deckel zitterte und rutschte ein kleines Stück zur Seite. Eine handgroße schwarze Spinne krabbelte aus der Öffnung. Torian fluchte, erschlug sie mit der Stange und schleuderte den zerschmetterten Kadaver angewidert davon. Er verzichtete darauf, die Kiste näher zu untersuchen, ging statt dessen zu den beiden anderen und brach sie kurz hintereinander auf.

Das Ergebnis war überall das gleiche.

»Irgend jemand scheint etwas dagegen zu haben, daß das Heer zurück nach Tremon kommt«, murmelte er. »Wenn wir in den anderen Lebensmittellagern nichts finden, sitzen wir ganz schön in der Patsche, Garth.«

Garth schien seine Worte gar nicht gehört zu haben. »Das ist Zauberei«, murmelte er erneut. »Dörrfleisch verfault nicht in drei Tagen. Laß uns verschwinden, Torian.«

»Verschwinden?« Torian schüttelte den Kopf und sah Garth verwirrt an. »Hast du mir nicht gerade noch lang und breit erklärt, daß wir die Wüste nicht am Tage durchqueren können?«

Garth machte eine ungeduldige Handbewegung. »Dann reiten wir eben zurück zum Fluß«, riet er. »Wir können noch immer das Gebirge überschreiten und nach Velan gehen.«

»Ich denke, sie haben dort einen Preis auf deinen Kopf gesetzt?«

»Vor Kopfgeldjägern kann man davonlaufen«, erwiderte Garth nervös. »Vor Geistern nicht.«

Torian wollte widersprechen, aber irgend etwas hinderte ihn daran. Der Saal schien plötzlich von flüsternden Stimmen und unsichtbarer, huschender Bewegung erfüllt, und Torian wußte einfach, daß Garth’ Nervosität nicht von ungefähr kam.

Trotzdem schüttelte er den Kopf. »Unsinn«, sagte er. Der Klang seiner Stimme schien Garth nicht zu überzeugen. Vielleicht hatte er die Worte auch gar nicht gehört.

»Unsinn«, wiederholte er noch einmal. »Es gibt keine Geister, Garth. Weder hier noch anderswo.«

»Und der Tote?« erwiderte Garth hastig. »Und die erschlagenen Späher, die wir am Fluß gefunden haben? Die...«

»Dafür gibt es tausend Erklärungen«, unterbrach ihn Torian. »Wahrscheinlich waren es Räuber. Vielleicht auch ein paar Bauern, denen es nicht paßt, wenn die Söldnerheere ihre Höfe plündern und ihre Frauen vergewaltigen.« Aber das stimmte nicht. Die Worte dienten einzig dem Zweck, ihn selbst zu beruhigen und die immer stärker werdende Furcht in seinem Inneren zu bekämpfen, und Garth spürte es so deutlich wie er. Diese Stadt war alles andere als verlassen. Und er war nicht sehr versessen darauf, ihre Bewohner kennenzulernen.

»Laß uns wenigstens warten, bis die größte Mittagshitze vorüber ist. Die Pferde halten den Weg zurück zum Fluß nicht durch, ohne eine Pause.«

Garth ballte die Fäuste, atmete hörbar ein und starrte ihn sekundenlang aus weit aufgerissenen Augen an. »Du... hast wahrscheinlieh recht«, gab er, mühsam beherrscht, zu. »Aber dann laß uns wenigstens von hier verschwinden. Dieser Turm ist mir unheimlich, Torian. Es gibt genügend andere Häuser, in denen wir Schatten finden.«

Torian nickte. »Gut«, stimmte er zu. »Dann komm.« Er schleuderte die Eisenstange davon, warf einen letzten, angewiderten Blick auf den fauligen Inhalt der Lebensmittelkisten und ging neben Garth auf die Treppe zu, die ins Freie führte. Der Sand knirschte unter ihren Füßen, und durch die Fenster fauchte plötzlich Wind herein und trieb den Fäulnisgestank hinter ihnen her. Geht! flüsterte der Wind. Geht weg von hier!

Torian lief schneller, erreichte die Treppe dicht vor Garth und hetzte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, in den Gang hinunter.

Als er die letzte Stufe erreicht hatte, blieb er stehen; so abrupt, daß Garth die Bewegung nicht mehr rechtzeitig genug registrierte und von hinten gegen ihn prallte.

»Was...« schrie er fast, verstummte aber sofort, als sein Blick an Torians ausgestrecktem Arm nach vorne auf den Ausgang fiel. Oder dorthin, wo er eigentlich sein sollte.

Denn dort, wo vor wenigen Minuten noch die Reste eines einst kunstvoll bemalten Türsturzes gewesen waren, verwehrte ihnen jetzt eine massive Wand den Weg.

»Aber das ist doch nicht möglich!« keuchte Garth. »Das gibt es doch nicht. Bei allen Dämonen der Finsternis, das...« Er stockte, starrte abwechselnd Torian und die massive graue Wand vor ihnen an und schüttelte immer wieder den Kopf. »Das ist doch nicht möglich!« Er ging an Torian vorbei, blieb vor der Mauer stehen und tastete mit den Fingerspitzen über den rauhen Stein. »Wir... müssen uns verirrt haben«, murmelte er. »Wir müssen die falsche Treppe genommen haben, Torian!«

Torian nickte. Garth wußte so gut wie er, daß sie sich nicht geirrt hatten. Es gab nur einen einzigen Ausgang aus dem Saal, und es gab auch nur eine einzige Treppe, nämlich die, welche sie genommen hatten. Trotzdem widersprach er nicht, als Garth mit einer abrupten Bewegung herumfuhr und an ihm vorbei die Treppe hinaufstürmte.

»Schnell! Ich will hier raus, ehe ich vollends den Verstand verliere! Lieber lasse ich mir von der Sonne das Gehirn herausbrennen, ehe ich auch nur noch eine Stunde in dieser Stadt bleibe!«

Torian schluckte die Antwort, die ihm auf der Zunge lag, herunter, hastete hinter Garth die Treppe hinauf und blieb dicht hinter ihm stehen, als sie den Sechsecksaal wieder erreicht hatten. Garth’ Hände zitterten, und seine Stimme hörte sich an, als würde sie jeden Moment umkippen. »Da ist... kein anderer... Ausgang«, krächzte er. Plötzlich fuhr er herum, packte Torian grob bei der Schulter und starrte an ihm vorbei die Treppe hinab. »Das ist... Hexerei«, hechelte er. »Zauberwerk! Wir müssen... der Gang ist... wir...« Er begann zu stammeln, brach schließlich ab und sog hörbar die Luft ein.

Torian löste behutsam Garth’ Hand von seiner Schulter. »Weißt du, Garth«, stieß er gepreßt hervor, »es interessiert mich gar nicht, was es war. Alles, was ich will, ist hier herauskommen.« Er sprach langsam, fast stockend, und betonte jedes einzelne Wort übermäßig, als müsse er sich an die Silben klammern, um nicht den Verstand zu verlieren. »Wir müssen einen anderen Weg hinausfinden.«