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Torian seufzte, griff nach seinem Schwert und stemmte sich hoch. »Vergiß es«, knurrte er. Im Grunde konnte er Garth nicht einmal wirklich böse sein – es war tatsächlich alles sehr schnell gegangen:

Von Garth’ Warnung bis jetzt hatte alles keine halbe Minute gedauert. Und ohne seine Warnung wäre er jetzt wahrscheinlich tot. Er schob sein Schwert in den Gürtel zurück, betrachtete den Toten stirnrunzelnd und sah sich um. »Wo ist der Kerl überhaupt hergekommen?«

Garth zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich sowenig wie du«, antwortete er. »Er war einfach da.«

»Ach?« spottete Torian. »Seit wann erscheinen Krieger einfach aus der Luft?«

»Vielleicht, seit Treppen und Türen verschwinden«, erwiderte Garth. Torian schenkte ihm einen weiteren finsteren Blick, ließ sich neben dem Toten in die Hocke sinken und drehte ihn ächzend auf den Rücken. Seine Rüstung klirrte. Die rasiermesserscharfen Dornen kratzten scharrend über den Boden und hinterließen millimetertiefe Scharten im Stein. Torian griff nach seinem Helm, löste die dünnen Lederriemen, die ihn mit den Schulterstücken seiner Rüstung verbanden, und zog ihn ab.

Er war beinahe erleichtert, als unter dem schwarzen Visier ein menschliches Gesicht zum Vorschein kam.

Der Mann war nur wenig älter als er, und sein Gesicht zeigte eine Weichheit, die in krassem Gegensatz zu seiner martialischen Rüstung stand. In seinen weit aufgerissenen, gebrochenen Augen stand ein überraschter, ungläubiger Ausdruck, als hätte er die Möglichkeit, bei dem Kampf der Unterlegene zu sein, nicht einmal in Betracht gezogen. Es war kein Krieger.

Torian blickte ihn einen Herzschlag lang an, hob dann – einer Regung folgend, die er selbst nicht ganz verstand – die Hand und drückte behutsam seine Augenlider zu.

»Ich möchte gern wissen, wer er war«, murmelte er. »Und warum er uns angegriffen hat.«

»Vielleicht jemand wie wir«, mutmaßte Garth unsicher. »Möglicherweise ist er genauso hierhergeraten wie wir und hielt uns für die Geister dieser Stadt.« Aber seine Stimme klang nicht so, als wäre er von seinen eigenen Worten überzeugt.

Torian schüttelte den Kopf. »Ich habe nie eine Rüstung wie diese gesehen«, sagte er nachdenklich. »Und es gibt kaum ein Heer, in dem ich noch nicht gedient hätte. Vielleicht«, fügte er nach kurzem Überlegen hinzu, »war er nichts anderes als ein Räuber.« Er deutete auf Garth’ prachtvollen Umhang und den goldbesetzten Waffengurt, den er selbst um die Hüften geschlungen hatte. »Denk an den Toten, den wir draußen gefunden haben. Zwei wie wir dürften als Beute äußerst verlockend erscheinen. Wir sollten uns unauffälligere Kleider verschaffen.«

Garth schüttelte entschieden den Kopf.

»Unmöglich«, entgegnete er überzeugt.

»Und wieso?« Torian spürte eine rasche, heiße Welle von Zorn in sich aufsteigen. Er wußte im Grunde sehr gut, daß Garth recht hatte; aber allein sein Widerspruch reizte ihn.

»Wenn er tatsächlich ein Räuber gewesen war, dann der dämlichste, der mir je untergekommen ist«, antwortete Garth. »Er hätte zehn bessere Gelegenheiten gehabt, uns unschädlich zu machen, und weniger riskante dazu. Außerdem«, fügte er nach kurzem Zögern hinzu, hätte er wohl erst versuchen müssen, mich unschädlich zu machen. Er konnte nichts von meiner Verletzung wissen, und unter normalen Umständen wäre ich der gefährlichere Gegner.«

»Ach?« schnappte Torian gereizt. »Bist du sicher?«

Garth erwiderte seinen Blick kühl. »Willst du es ausprobieren, Kleiner?« fragte er.

Torian spannte sich. Sein Zorn wuchs. Für einen Moment krampfte sich seine Hand so fest um den Schwertgriff, daß es schmerzte. Dann lockerte er mit einem sichtbaren Ruck seinen Griff, schüttelte den Kopf und lachte leise, gekünstelt und nervös. »Wir benehmen uns wie Narren, Garth«, sagte er. »Statt uns gegenseitig an die Kehlen zu gehen, sollten wir versuchen, herauszubekommen, wie dieser Kerl so plötzlich hinter mir aus dem Nichts auftauchen konnte.« Er seufzte, kniete noch einmal neben dem Toten nieder, löste seinen Brustpanzer und warf ihn achtlos zur Seite. Darunter kam ein schwarzes, seidig schimmerndes Wams zum Vorschein, das sich bei näherem Hinsehen als eine Art Kettenhemd erwies, das aus unglaublich feinen, ovalen Metallösen gewoben war. »Was ist das?« fragte Garth, der sich neugierig über Torians Schulter gebeugt hatte. »Ich habe so etwas noch nie gesehen.«

Torian antwortete nicht. Sein Blick glitt über die nackten Oberarme des Toten. Seine Haut war hell, fast weiß, gar nicht wie die eines Mannes, der die hitzezerkochte Staubwüste durchquert oder gar lange Zeit hier gelebt hatte. Und auf beiden Oberarmen prangte eine dunkle, in leuchtenden Violett- und Rottönen gehaltene Tätowierung. Es war nicht auszumachen, was sie darstellen sollte—die ineinander verschlungenen Linien konnten alles oder nichts bedeuten, Blume, Monster, Gott – vielleicht nur eine willkürliche Anordnung von Strichen und Linien...

Torian schauderte.

Er wußte nicht, was die Tätowierung zu bedeuten hatte, aber er wußte, wo er Muster wie diese schon gesehen hatte. Das Muster auf den Armen des Toten ähnelte zum Verwechseln der verblaßten Bemalung unten im Gang.

Garth schien seinen Schrecken zu bemerken. »Was hast du?« wollte er wissen.

»Die... Tätowierung«, murmelte Torian. »Sieh sie dir an, Garth.«

Garth gehorchte, aber der fragende Ausdruck auf seinen Zügen änderte sich nicht. »Was meinst du?« fragte er.

»Das Bild«, flüsterte Torian. Unwillkürlich senkte er die Stimme. »Die Bemalung unten... unten im Gang.«

Garth blickte ihn stirnrunzelnd an. »Ich verstehe immer noch nicht«, sagte er. »Aber ich bin sicher, du wirst mich aufklären, sobald du lange genug den Geheimnisvollen gespielt hast.«

Torian schluckte. Garth’ Worte versetzten ihn schon wieder in Rage, eine Wut, die er sich selbst nicht mehr erklären konnte und die ihn erschreckte. Er war nicht mehr Herr seiner selbst. Nicht mehr bei Sinnen. Es fiel ihm sogar schwer, wenigstens äußerlich Ruhe zu bewahren. »Es ist... nichts.«

»Nichts?« Garth runzelte die Stirn und sah abwechselnd den Toten und ihn zweifelnd an. »Du siehst aus, als hättest du soeben ein Gespenst gesehen, Kleiner.«

»Vielleicht habe ich das«, entgegnete Torian. Rasch erhob er sich, trat an Garth vorbei und zog sein Schwert wieder aus dem Gürtel. Seine Hände zitterten. »Irgendwo muß dieser Kerl schließlich hergekommen sein«, fuhr er laut und mit deutlich veränderter Stimme fort. »Wir durchsuchen die Halle – ich nehme den südlichen Teil, du den anderen. Los.«

Garth rührte sich nicht. »Und wonach suchen wir?«

»Nach einer Geheimtür, einer Treppe, einer Klappe im Boden, einer Falltür... was weiß ich«, schnappte Torian gereizt. »Nun mach schon.«

»Wir haben eine Nacht und einen halben Tag hier drinnen zugebracht, Torian«, gab Garth zu bedenken. »Zweihundertneunzig Mann! Wenn es hier drinnen auch nur ein Mauseloch gäbe, wüßte ich davon.«

»Dann geh doch schon mal raus und sattle die Pferde!« brüllte Torian. »Ich komme dann nach, wenn du mich rufst!«

Seine Worte taten ihm fast sofort wieder leid, aber es war zu spät, sie rückgängig zu machen. Garth preßte die Lippen zusammen, sog hörbar die Luft ein und drehte sich mit einem wütenden Ruck um. Torian starrte ihm nach. Er wollte sich entschuldigen, aber irgend etwas hinderte ihn daran – das gleiche, aberwitzige Gefühl der Furcht, das ihn zu seinen unbedachten Worten geführt hatte und wohl auch für seine Gereiztheit verantwortlich war.

Schließlich wandte auch er sich um und ging in den rückwärtigen Teil des Saales hinüber, um den Boden abzusuchen.

Es war keine einfache Aufgabe. Der Boden war zwar mit einer fingertiefen Schicht von Staub und Sand bedeckt, aber sie war von dem Tremonischen Heer, das hier gelagert hatte, zertrampelt und aufgewühlt; es war schier unmöglich, im nachhinein auch nur die Spur einer Spur zu finden. Torian ging zu der Stelle zurück, an welcher der heimtückische Angriff erfolgt war, drehte sich einmal im Kreis und versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, wie er gestanden hatte, bevor Garth ihn warnte. Wenn der Angreifer in gerader Linie auf ihn zugekommen war – was er unter Garantie getan hatte –, dann mußte er nur einen knapp zehn Schritte durchmessenden Viertelkreis des Bodens absuchen, um -ja, um was eigentlich zu finden? dachte er finster. Eine Geheimtür? Eine Klappe, die sich auf Fingerdruck öffnete und ihnen den Weg in die Freiheit gewährte? Bisher hatte er sich nur an die Vorstellung eines geheimen Einganges geklammert, um sich nicht mit dem anderen, bedrückenderen Gedanken abfinden zu müssen – nämlich dem, daß der Fremde wirklich aus dem Nichts aufgetaucht war. Aber nach allem, was sie bisher erlebt hatten, erschien ihm diese Vorstellung gar nicht mehr so abwegig—