Выбрать главу

Aber das war nur der erste Eindruck, und er hielt auch nur eine Sekunde an. Was er für Fels gehalten hatte, war keiner.

Und im gleichen Augenblick begriff er, in welch eine hinterhältige Falle sie getappt waren!

Er schrie auf und taumelte wie unter einem Hieb zurück. »Weg hier!« brüllte er mit überschnappender Stimme. Der unsichtbare Fels rings um ihn herum warf seine Worte verzerrt zurück und ließ sie zu monotonem Hohngelächter zersplittern. Er taumelte los. Torian kam nicht einmal drei Schritte weit. Die Finsternis um ihn herum erwachte zu schrecklichem, peitschendem Leben. Der Boden unter seinen Füßen verwandelte sich, wurde zu einem Ding, das sich wie ein hauchdünner dunkler Film über den Boden, die Wände und sogar die Decke gebreitet hatte, einem Wald zuckender, peitschender Wurzelfäden, wie kleine gierige Schlangen. Der gerade noch harte Untergrund, den er fälschlicherweise für Stein gehalten hatte, wurde von einem Augenblick zum anderen zu einer zähflüssigen, sirupartigen Masse, die nach seinen Stiefeln griff und sich langsam an seinen Beinen höher tastete, einem Gewirr schwarzer und grauer, widerhakenbesetzter Pflanzenstengel, jeder einzelne von widerlichem, pulsierendem Eigenleben erfüllt.

Torian schrie, sah eine Bewegung aus den Augenwinkeln und schlug blindlings mit dem Schwert um sich. Er traf – ein lianenartiges, schwarzes Ding mit gebogenen Dornen und kleinen, schnappenden Mündern, das zerschnitten zu Boden fiel und in der ungeheuerlichen Pflanzenmasse verschwand. Aber es war nur eines von unzähligen, die wie ein ganzer Wald schwarzer Schlangen vor ihm emporwuchsen. Das flackernde Licht der Fackeln verlieh dem wogenden Licht der Pflanzenmasse zusätzlich etwas Unheimliches, ließ ihre Bewegungen abgehackter und noch widernatürlicher erscheinen, als sie ohnehin waren.

Ein harter Schlag traf Torian zwischen die Schulterblätter und ließ ihn nach vorne stolpern. Mit Mühe konnte er einen Sturz verhindern und sprang zurück. Etwas wickelte sich um seine Taille und begann sich zusammenzuziehen, Tausende winziger nadelspitzer Dornen bohrten sich in seine Haut. Torian zerschnitt den Pflanzenstengel und hieb verzweifelt weiter um sich. Hinter ihm gellte ein entsetzter Schrei auf. Torian fuhr herum, duckte sich unter einer peitschenden schwarzen Wurzel hindurch und schlug nach einer anderen, die nach seinen Beinen griff. Dann hatte er Garth erreicht.

»Hau ab!« schrie Garth mit überschnappender Stimme. »Rette dich!« Er war zu Boden gegangen und bereits bis zu den Hüften von der wogenden schwarzen Masse verschlungen. Und trotz seiner verzweifelten Gegenwehr wanden sich immer mehr die züngelnden Schlangenarme um seinen Körper. Ein Strang glitt über sein Gesicht und tastete nach seinen Augen. Garth riß ihn ab. Wo die Wurzel seine Stirn berührt hatte, blieb eine Reihe kleiner, blutiger Wunden zurück; wie Nadelstiche.

Torian packte das Schwert mit beiden Händen und ließ es mit aller Kraft niedersausen. Sein Hieb durchtrennte ein halbes Dutzend Fangarme, die Garth hielten. Er schlug sofort noch einmal zu, und noch einmal, wieder und wieder und immer wieder, und er hörte auch nicht auf, als er Garth längst befreit hatte.

»Danke!« keuchte Garth. Er hieb mit der Axt nach einem Tentakel, der von oben auf ihn herabstieß. In der gleichen Bewegung schwang er die Fackel gegen einen weiteren Fangarm, der blitzschnell zurückzuckte.

Auch Torian schlug blindlings um sich. So dicht, daß sie fast schon wie eine massive Mauer aussah, wuchs die Wurzelmasse vor ihnen in die Höhe und versperrte ihnen den Fluchtweg. Für einen Moment drohte Panik Torian zu übermannen, als ihm klar wurde, daß sie eingeschlossen waren. Torian dachte in diesem Moment nicht mehr – er handelte einfach, blind, seinen Instinkten gehorchend, und einem verzweifelten Plan, der seinem Unterbewußtsein entsprang und den Umweg über sein Denken erst gar nicht machte.

»Springt!« schrie er, stieß sich gleichzeitig mit aller Kraft vom Boden ab — und sprang mitten in die peitschende Pflanzenmasse hinein! Wie rasend hieb er mit dem Schwert um sich.

Und das schier Unmögliche gelang! Dicht neben Garth kam er auf, wurde von seinem eigenen Schwung weiter nach vorne geschleudert und rollte sich ungeschickt ab. Sekundenlang blieb er liegen und rang nach Luft, schwindelnd vor Anstrengung, dann riß ihn Garth auf die Beine und versetzte ihm einen Stoß, der ihn weiter vorwärts taumeln ließ.

»Shyleen«, keuchte Torian. »Wo ist Shyleen?«

Statt einer Antwort versetzte ihm Garth einen weiteren Stoß. Sie rannten den Stollen entlang, bis sie nach einigen Dutzend Metern eine große Höhle erreichten. Torian lief noch ein paar Schritte weiter, bevor er schweratmend stehenblieb. Im Stollen hinter ihnen war nichts zu entdecken, das formlose Ding folgte ihnen offensichtlich nicht, sondern gab sich zumindest für den Augenblick mit seinem Opfer zufrieden.

Erst als er wieder einigermaßen zu Atem gekommen war und sich genauer umsah, begriff Torian, daß die Höhlenwände nicht leer waren.

Garth stieß ein ersticktes Krächzen aus, doch Torian nahm es kaum wahr. Fassungslos starrte er auf die zahllosen nischenartigen Vertiefungen, die wie riesige leere Augenhöhlen in den Felsen gähnten. Dann, als er genauer hinsah, erkannte er seinen Irrtum: Der allergrößte Teil der Nischen war nicht leer – aber im ersten Moment weigerte er sich fast, zu glauben, was sich ihm da darbot. Langsam, wie gegen einen unsichtbaren zähen Widerstand ankämpfend, trat er näher, immer noch hoffend, daß der flackernde Schein der Fackeln und das dämmerige Licht, das durch kleine Öffnungen in der Decke hereinfiel, seinen Augen einen Streich gespielt hatten.

Aber es war keine Täuschung.

In den Vertiefungen standen Tote, säuberlich aufgereiht wie Statuen, eine neben der anderen, eine endlose Reihe bleicher, erstarrter Gesichter mit toten Augen, die Garth und ihn blicklos anglotzten. Es mußten Hunderte sein, und nur bei den wenigsten handelte es sich um Menschen, oder auch nur menschenähnliche Wesen. Es gab insektenartige Kadaver mit Körperpanzern aus Chitin, andere besaßen ein Federkleid wie absurd große, humanoide Vögel, und gewaltige Schwingen, wieder andere dichtes Fell. Einige waren Kreaturen, die ganz aus glasartigem Kristall zu bestehen schienen, etwas sah aus wie eine riesige Larve, daneben befand sich ein Wurm mit überraschend geschickt aussehenden Händen und großen, klugen Augen, und darüber hinaus waren unzählige Lebensformen zu erkennen, die sich mit nichts mehr vergleichen ließen, was Torian je gesehen hatte. Nur eines hatten all die Geschöpfe gemeinsam: den Ausdruck namenlosen Entsetzens, der sich im Augenblick ihres Todes in ihre Gesichter eingegraben hatte. Und keiner von ihnen war verwest, dachte Torian schaudernd. Es war, als hätte hier zwar nicht der Tod, wohl aber der Zerfall seine Macht verloren.

Erst als er dicht an die Nischen herangetreten war, entdeckte Torian den hauchdünnen, durchsichtigen Film, der sich über die Leichen spannte, wie eine zweite, durchsichtige Haut, die jeden Zoll ihrer Körper bedeckte und sie vermutlich luftdicht konservierte.

Mit wachsendem Entsetzen lief Torian an der Phalanx der Toten entlang. Schließlich entdeckte er wieder einige Gestalten, die unzweifelhaft Menschen waren: vier Männer und eine Frau. Sie waren in fremdartige Gewänder gehüllt, und auch in ihren Gesichtern war fassungsloses Grauen eingefroren.

»Sag mir, daß ich träume«, flüsterte Garth hinter ihm. Sein Gesicht sah grau und ungesund aus; wächsern. Seine Lippen zitterten. Sein Blick flackerte unstet. »Was sind das für Kreaturen?«

»Wahrscheinlich die Besitzer der Waffen, die wir gefunden haben. Jetzt wissen wir, was aus ihnen geworden ist«, murmelte Torian. Er dachte daran, in welchem Zustand sich einige der Waffen befunden hatten, und versuchte sich vorzustellen, wie lange die Toten schon hier stehen mußten. Das Ergebnis ließ ihn schaudern.