Выбрать главу

Wie Garth zuvor, führte er das Schwert nun beidhändig und hieb mit aller Kraft um sich. Es klirrte, wenn er die schmalen Gräser traf, und gelegentlich sprühten sogar Funken auf. Die Klinge war mit Scharten übersät und wurde mit jedem Hieb stumpfer. Wo vorher ein einziger Schlag genügt hatte, eine halbmeterbreite Bresche zu mähen, brauchte er nun drei oder vier. Seine Muskeln sandten bei jeder Bewegung neue Wellen von Schmerz durch seinen Körper. Er hatte das Gefühl, glühende Lava zu atmen. Schweiß rann über sein Gesicht und brannte in den Augen.

Verzweifelt schaute Torian zum Waldrand hinüber. Die Bäume schienen während der letzten Minuten keinen Deut nähergekommen zu sein, als wiche der Wald im gleichen Maße vor ihnen zurück, wie sie vorwärtsdrangen. Für einen Sekundenbruchteil war Torian abgelenkt, und sofort schnitten ein halbes Dutzend Grashalme in seinen Schwertarm und ließen ihn erneut vor Schmerz aufschreien.

Die Welt um ihn herum versank in Nebel. Er konzentrierte sich mit aller Energie auf die Schwerthiebe. Nichts anderes als die Klinge und die peitschenden Gräser existierten mehr für ihn. Und irgendwann, nach Stunden wie es ihm schien, legte ihm Shyleen die Hand auf den Arm. Verwirrt blickte Torian auf und sah, daß er nur noch auf Gestrüpp und niedrig hängende Äste einschlug. Aber es dauerte noch einige Sekunden, bis er begriff, daß sie den Wald erreicht hatten.

Die Schwäche sprang ihn an wie ein Raubtier. Das Schwert schien mit einem Mal Tonnen zu wiegen und entglitt seinen kraftlosen Händen. Es klirrte, als schlüge Stahl auf Stahl, als die Waffe zu Boden fiel. Torian seufzte erleichtert und versuchte zu lächeln, aber selbst dafür war er schon zu schwach. Er stürzte dicht an Shyleens hilfreich ausgestreckten Armen vorbei und verlor das Bewußtsein, noch bevor er auf dem Boden aufschlug. Ein Alptraum: Er erinnerte sich an den Lauf durch eine Hölle aus Schmerz und Blut und funkelnden, lebenden Messern. Er erinnerte sich, wie das Leben aus unzähligen kleinen Wunden aus seinem Körper hinausgeströmt war, wie die metallischen Gräser ihn bei lebendigem Leibe fast gehäutet hatten, und er erinnerte sich, etwas wie ein lautloses Hohnlachen zu hören, das bösartige Kichern des Dinges, dem sie im Berg entkommen waren, nur, um tiefer in sein Netz hineinzulaufen, sich tiefer in den Maschen seines unsichtbaren Gespinstes zu verstricken, mit dem es dieses Tal, vielleicht dieses Land, vielleicht schon die ganze Welt eingesponnen hatte. Von dieser Stelle an wurde der Traum verwirrend; seine Handlung geriet vollends zu der irrealen, sinn- und reglosen Choreographie eines Alptraumes: Er sah sich – wie durch die Augen eines unbeteiligten Beobachters –weiter durch die peitschenden Grashalme taumeln, blutüberströmt, längst tot, ein zerfetztes Etwas, das kaum mehr Ähnlichkeit mit einem menschlichen Wesen hatte, wurde gewahr, wie die Gräser höher wurden, wuchsen, bis sich schließlich einzelne Halme aus dem Boden lösten und mit schwerfälligen Bewegungen zur Seite kippten. Im Traum schaffte er es irgendwie, obwohl längst tot, ein blutiges Etwas ohne Gesicht, ohne Fleisch und ohne Augen, in den Wald zu kommen, auf die Knie zu fallen und weiterzukriechen, aber das nutzte nichts, denn das Gras folgte ihm; die Halme lösten sich aus dem Boden, krochen und zuckten wie grüne schneidende Schlangen hinter ihm her, und—

Torian erwachte. Der letzte Ton eines Schreis verhallte in seinen Ohren, eines Schreies, den er selbst ausgestoßen und der ihn vermutlich auch geweckt hatte. Instinktiv fühlte er, daß etwas nicht so war, wie es sein sollte. Er sah sich um.

Aber es dauerte eine ganze Weile, bis er begriff.

Er war nicht verletzt.

Aber das ist doch unmöglich! dachte er. Seine Arme, seine Brust, sein Hals und sein Gesicht waren eine einzige entsetzliche Wunde gewesen! Aber er spürte – nichts!

Alles, was er überhaupt fühlte, war der gewaltigste Muskelkater seines Lebens.

Fassungslos hob er die Hand vors Gesicht und betrachtete sie. Einige wenige Schnittwunden, die von dunklem Schorf bedeckt waren, außerdem eine Reihe winziger, kaum noch sichtbarer Stiche. Es war, als hätte er tage-, wenn nicht gar wochenlang geruht, um seine Verletzungen auszukurieren. Aber er wußte, daß es nicht so war. Sein Gefühl sagte ihm, daß er nicht mehr als ein paar Stunden ohne Bewußtsein gewesen war.

»Das ... das gibt es nicht«, murmelte er.

»So?« fragte Shyleen. Sie saß einige Schritte von ihm entfernt und musterte ihn. Der Spott in ihrer Stimme konnte nicht völlig über ihre Unsicherheit hinwegtäuschen.

Torian starrte sie an. »Wie ... hast du das gemacht?«

Shyleen zuckte mit den Schultern. Die Bewegung war in dem herrschenden Zwielicht mehr zu erahnen als zu sehen. »Ich habe nichts damit zu tun«, versicherte sie. »Aber es ist ja nicht das erste Mal. Die Gegend scheint hier außerordentlich gesund zu sein. Wenn wir einen Weg hinaus finden, können wir eine Menge Geld verdienen, wenn wir Kranke oder Verletzte hierherbringen – natürlich nur die, welche zu zahlen in der Lage sind. Allerdings«, ergänzte sie und machte eine kurze Pause, als müsse sie nachdenken, »müßte erst mal jemand das Unkraut da hinten ausreißen.«

»Hör auf mit dem Unsinn«, erboste sich Torian. Aber er versuchte vergeblich, wirklichen Zorn zu empfinden. Alles, was er spürte, war Verwirrung. »Mir ist absolut nicht nach dummen Spaßen zumute. Ich will wissen, was das zu bedeuten hat.«

»Ich auch«, erwiderte Shyleen, plötzlich sehr ernst. »Ich habe nämlich wirklich keine Ahnung. Unsere Wunden scheinen einfach schneller zu heilen. Deine Verletzungen haben nach ein paar Augenblicken zu bluten aufgehört.« Hilflos zuckte sie abermals mit den Schultern. »Ich bin sicher, daß bis zum Morgengrauen höchstens noch ein paar Narben übrig sind. Wenn überhaupt. Aber frag mich bitte nicht, wieso.«

Torian schüttelte fassungslos den Kopf und schwieg einige Minuten lang. Er wußte nicht recht, ob er lachen oder weinen – oder schlichtweg den Verstand verlieren sollte. Trotzdem fragte er sich, welchen Sinn es hatte, sie in dieses System mörderischer Fallen zu locken und gleichzeitig dafür zu sorgen, daß sie keine dauerhaften Verletzungen davontrugen.

Shyleen blickte ihn eine Weile stumm und sehr nachdenklich an. »Da ist noch etwas«, nahm sie zögernd das Gespräch wieder auf. »Ich altere auch nicht mehr, seit wir hier sind. Zumindest glaube ich es. Seit wir aus dem Tor kamen, und ich so plötzlich wieder jung war, bin ich es geblieben. Keine Falte, nichts.«

»Wenn das stimmt und wir den Tempel nicht finden sollten, würde es also reichen, wenn du hierbliebest«, führte er den Gedanken weiter und schüttelte dann den Kopf. »Aber das nützt nichts, denn du wärest für immer hier gefangen. Lassen wir das also. Wie lange war ich bewußtlos?«

»Ein paar Stunden. Ich weiß es nicht genau – ich habe selbst geschlafen. Ich war erschöpft und die Schmerzen wurden zu schlimm«, fügte sie entschuldigend hinzu.

»Und Garth?« Er sah zu dem reglos Daliegenden hinüber.

»Schläft immer noch. Aber seine Wunden sind ebenfalls verheilt.«

Torian stand auf, schlenkerte mit den Armen und ließ sie langsam kreisen, um die verkrampften Muskeln zu lockern. Durch die Bresche, die sie ins Unterholz geschlagen hatten, konnte er die Wiese sehen, über die sie bis hierher vorgedrungen waren, eine im Mondlicht silbern glänzende Fläche. Die Pflanzen waren wieder zur Ruhe gekommen, wogten nur noch wie vom Wind bewegt sanft hin und her. Nichts deutete mehr auf die tödliche Gefahr hin, die sich hinter dem harmlosen Anblick verbarg.