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»Sie hätten mich töten können, wenn es ihnen darauf angekommen wäre«, gab Torian zurück, allerdings nicht, ohne zuvor einen sichernden Blick zu Shyleen geworfen und sich davon überzeugt zu haben, daß sie seine Worte nicht verstehen konnte. »Also haben sie etwas anderes vor.«

»Oder sie hatten einfach Angst«, wandte Garth ein. »Wir haben nur eines dieser Wesen zu Gesicht bekommen. Vielleicht wollte es uns nur beobachten. Möglicherwiese weiß es nicht einmal, was Menschen sind.«

Torian antwortete nicht, aber Garth schien Gefallen an seiner eigenen Theorie zu finden, denn er spann den Faden nach einer Weile weiter: »Oder es hat verdammten Respekt vor uns. Da wir den Wächter des Tores und das mörderische Gras überwunden haben, müssen sie wohl annehmen, daß wir nicht so harmlos sind, wie wir vielleicht aussehen.«

»Wer sieht hier harmlos aus?« fragte Torian.

Garth schenkte ihm einen bösen Blick. »Sie könnten magische Kräfte fürchten. Deshalb wollen sie sichergehen und holen erst Verstärkung«, sinnierte er.

»Möglich.« Torian zuckte die Achseln. »Oder auch nicht.« Er lächelte matt. »Ich glaube nicht, daß die Erklärung ganz so einfach ist. Höchstwahrscheinlich steckt da noch etwas ganz anderes dahinter.«

»Jedenfalls scheinst du von ihrer Friedfertigkeit auch nicht überzeugt zu sein«, sagte Garth und deutete mit einem amüsierten Grinsen auf den Knüppel. »Falls diese Wesen wirklich mit solchen Schuppen gepanzert sind, tust du dir höchstens selbst weh, wenn du mit dem Zahnstocher zuschlägst.«

»Kann sein. Trotzdem fühle ich mich mit dem Zahnstocher wohler.«

»Meinetwegen. Trag das Ding ruhig spazieren, wenn es dir Spaß macht.« Garth schüttelte den Kopf, schwieg einen Moment und wechselte übergangslos das Thema. »Was hast du eigentlich mit Shyleen angestellt? Seit heute nacht ist sie nicht mehr besonders gut auf dich zu sprechen. Sie macht den Eindruck, als ob sie dich am liebsten auf der Stelle fressen würde.«

»Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit«, gab Torian zögernd zu. »Nichts Ernstes.«

»Und nichts, was mich etwas anginge, wie?« hakte der Dieb nach, als Torian nicht von allein weitersprach. »Es hatte wohl nicht zufällig etwas mit mir zu tun?«

»Du nimmst dich ein wenig zu wichtig, mein Lieber«, hielt Torian ihm lächelnd vor. »Nein, wir haben nur darüber gestritten, ob man mir ein Gespräch aufzwingen sollte, wenn ich es nicht will, oder ob man es besser bleiben läßt. Ich habe gewonnen.«

»Schon gut. Ich habe verstanden«, knurrte Garth beleidigt. »Von mir aus spiel ruhig weiter den Geheimnisvollen.«

Er wollte schneller gehen, doch Tonan hielt ihn am Arm zurück. »So war das nicht gemeint. Das war keine Spitzfindigkeit, sondern das war wirklich unser Problem. Shyleen wollte mit mir reden, aber nachdem wir gerade den Pflanzen entkommen waren, war ich wirklich nicht in der Stimmung, mir ihre Probleme anzuhören. Also habe ich mich stur gestellt und ein paar dumme Bemerkungen gemacht, die sie mir wohl übel nimmt.«

»Sie wollte über ihre Probleme reden?« Garth schluckte hörbar. »Und ausgerechnet so ein Jahrhundertereignis muß ich verschlafen.« Von einem Moment zum anderen wurde er wieder ernst. »Das war nicht gerade eine Heldentat. Du weißt, wie sie ist. Es muß sie eine gehörige Portion Überwindung gekostet haben, überhaupt zuzugeben, so etwas wie Probleme zu haben. Vor zwei Wochen hat sie noch behauptet, dieses Wort nicht einmal zu kennen.«

»Verdammt, das ist mir auch klar«, gab Torian gereizt zurück. »Ich weiß selbst nicht, was in mich gefahren ist. Es tut mir ja schon leid, wie ich mich verhalten habe. Aber soll ich mich vielleicht bei ihr entschuldigen?«

»Nein«, entgegnete Garth ruhig. »Das ist ein Wort, das nicht zu deinem Sprachschatz gehört, ich weiß. Trotzdem wäre es vielleicht nicht die schlechteste Idee. Aber wie ich deinen verdammten Dickkopf kenne, würdest du dir wohl lieber die Zunge abbeißen.« Er machte eine kurze Pause. »Es ist ja nicht so, daß ich neugierig wäre — aber was für Probleme hat sie denn?«

»Es ist ja nicht so, daß ich geschwätzig wäre«, erwiderte Torian im gleichen Tonfall. »Aber es geht um ihr Alter. Eine Art Generationskonflikt, wenn du so willst. Hast du schon mal darüber nachgedacht, was du machst, wenn wir den Tempel wirklich erreichen und ebenfalls die Möglichkeit haben, unsterblich zu werden?«

Garth runzelte die Stirn und sah ihn fragend an. Diesmal war seine Verblüffung nicht gespielt. »Wie kommst du jetzt darauf?«

»Sie hat ein paar Schwierigkeiten, sich mit gewöhnlichen Sterblichen abzugeben, weißt du? Ich bin sicher, als Unsterblicher würdest du viel mehr Eindruck auf sie machen. Und jetzt laß mich in Ruhe. Ich habe keine Lust, noch mal eins über den Kopf gehauen zu bekommen, weil du mit deinem Gerede alle Geräusche überstimmst.«

Aber seine Vorsicht war unnötig. Ohne noch einmal angegriffen zu werden, erreichten sie um die Mittagsstunde den breiten, sandigen Uferstreifen des Flusses, der den Wald in zwei Teile zerschnitt.

»Nein«, stöhnte Garth laut auf. Er mußte fast schreien, um das Donnern der Wassermassen zu übertönen. »Sag mir jemand, daß ich träume. Das kann doch nur ein Alptraum sein.«

Torian tat ihm den Gefallen nicht. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, den Fluß anzustarren.

Er war fast eine viertel Meile breit. Was aus der Ferne schmal und wie ein ruhig dahinplätscherndes Gewässer ausgesehen hatte, so harmlos, daß sie anfänglich glaubten, mühelos hindurch-waten zu können, erwies sich aus der Nähe als fast unüberwindliches Hindernis. In Wahrheit strömten die Fluten mit der Wucht und Geschwindigkeit eines Sturzbaches dahin, brachen sich tosend an den überall im Flußbett verstreuten Felsbrocken und bildeten tödliche Strudel, so viele er sich nur wünschen konnte, und noch ein paar mehr. Es sah aus, als koche das Wasser. Hochsprühende Gischt hing wie ein brodelnder weißer Schleier über dem Fluß und spritzte noch meterweit ans Ufer. Der Wald auf der gegenüberliegenden Seite war nur schemenhaft zu erkennen.

Minutenlang starrten sie schweigend auf den reißenden Strom, der ein schier unüberwindliches Hindernis bildete und jeden Gedanken, hindurchzuwaten oder auch zu schwimmen, von vornherein ausschloß. Selbst wenn sie Werkzeug hätten, sich ein Boot oder wenigstens ein Floß zu bauen, würde es unweigerlich an den Stromschnellen zerschellen.

Shyleen überwand ihre Erstarrung als erste.

»Soviel zum Thema Schwimmen«, sagte sie. »Wer fliegen kann, hebe bitte die Hand. Den anderen würde ich vorschlagen, mit mir am Ufer entlangzugehen, bis wir eine Furt oder möglichst einen Übergang finden.«

»Oder verhungern, wenn niemand so freundlich war, einen Weg für uns zu schaffen«, ergänzte Garth grimmig und stapfte los. »Worauf warten wir noch?« Sie waren seit zwei Stunden unterwegs, ohne daß sich das Bild sonderlich geändert hatte. Es lagen nicht mehr ganz so viele Felsbrocken im Wasser, aber dafür schoß der Fluß nur noch schneller dahin. Obwohl sie sich dicht am Waldrand hielten, waren sie längst bis auf die Knochen durchnäßt, denn die hoch aufspritzende Gischt tränkte nicht nur den Ufersand, sondern auch die Luft mit Feuchtigkeit, so daß nach einer Weile selbst das Atmen mühsam wurde. Der Ufersand hatte sich schon seit Urzeiten in Morast verwandelt, in den sie bei jedem Schritt bis an die Knöchel versanken, so daß jeder Schritt ein winziges bißchen mühsamer war als der vorhergehende, und manchmal wurde der Dunst so dicht, daß sie kaum noch sahen, wohin sie gingen.

Als wäre dies alles noch nicht genug, kam am frühen Nachmittag Nebel auf; zuerst nur dünne, treibende Schwaden, die durchsichtigen Fingern gleich vom Fluß heraufkrochen und sich wie eine Decke über den Uferschlamm breiteten. Dann aber verdichteten sie sich immer rascher zu grauweißen, wattigen Wolken, so daß man meinen konnte, der Himmel wäre zur Erde herabgesunken.