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Unbehaglich sah sich Torian um. Alles, was weiter als sieben, allerhöchstens acht Schritte entfernt lag, verschwand in milchigem Dunst, und das donnernde Tosen des Flusses verschluckte jeden anderen Laut. Es war längst unmöglich geworden, sich anders als durch Zeichen und Grimassen zu verständigen. Wenn sie wirklich noch verfolgt wurden, gab es für ihre Gegner keine günstigere Möglichkeit, sich unbemerkt anzuschleichen, dachte er nervös. Dazu kam, daß sie eine deutliche Spur hinterließen; bei jedem Schritt blieben kleine Löcher im Boden zurück, die sich rasch mit nachsickerndem Wasser füllten und ihren Weg wie eine sechsfache Kette kleiner, blitzender Spiegelscherben markierten.

Aber das war nicht der einzige Grund für Torians Unruhe. Der Nebel roch sonderbar, schien den Geruch von Gefahr und Tod mit sich zu führen, ohne daß Torian sagen konnte, was dieses Gefühl in ihm auslöste. Unbewußt ging er noch ein wenig schneller als bisher. Etwas Körperloses, Finsteres schien sich in den treibenden Schwaden zu verbergen, aber es waren nicht die Schuppenwesen.

Nein, korrigierte sich Torian gleich darauf selbst. Wenn es eine Bedrohung gab, so lauerte sie nicht im Nebel. Es war der Nebel selbst – und das, was seine Phantasie aus den ineinander verschlungenen Schwaden machte. Er glaubte, dämonische Fratzen zu sehen, unförmig aufgeblähte Riesenquallen, geifernde Alptraumwölfe, die mit Mäulern voller fingerlanger Reißzähne nach ihnen schnappten und ...

Mit Gewalt verdrängte Torian die Vorstellung. Er blinzelte ein paarmal, und die angstmachenden Trugbilder wurden wieder zu dem, was sie in Wirklichkeit waren: harmlose Nebelschwaden.

Er wandte sich zu Garth um, der nur als schemenhafter Umriß zu erkennen war, und trat ein paar Schritte auf ihn zu. Der hünenhafte Körper des Diebes schälte sich aus den Schwaden, war nun deutlicher zu erkennen.

Mit einem gellenden Schrei sprang Torian zurück.

Die Gestalt vor ihm war nicht Garth.

Sie war nicht einmal ein Mensch, sondern ein mißgestaltetes Monstrum mit drei Beinen und mindestens einem halben Dutzend Armen zuviel. Und darüber—

Torian sah das Gesicht einer nur vage menschenähnlichen Mißgeburt, die aller Logik nach überhaupt nicht leben dürfte. Der Kopf war auf schreckliche Weise deformiert, in sich verdreht. Während die eine Wange fett und aufgequollen war, sah die andere eingefallen aus, trockene, pergamentartige Haut spannte sich über den Knochen. Der Mund mit den schwülstig aufgeworfenen Lippen verlief auf eine unmöglich anmutende Art schräg durchs Gesicht, so daß er vom Kinn bis fast zu einem der froschartigen Augen reichte. Das andere Auge war zu einer widerlichen, weißlichen Masse zusammengesunken. Die Kreatur öffnete den Mund. Zwei Reihen nadelspitzer Zähne kamen darunter zum Vorschein. Mit einem leisen Knistern riß die pergamentartige Haut über der rechten Wange. Bleiche, wie Elfenbein schimmernde Knochen kamen darunter zum Vorschein.

Einige Sekunden lang war Torian vor Schrecken unfähig, sich zu rühren. Erst als das Monstrum ihn fast erreicht hatte, gelang es ihm, die Lähmung abzuschütteln. Mit einem entsetzlichen Schrei riß er den Knüppel hoch und schlug zu. Scheinbar mühelos fing das Ungeheuer seinen Hieb ab, schmetterte ihm das Holzstück aus der Hand und schleuderte es achtlos zur Seite. Torian sah den Schlag der Alptraumkreatur kommen, und irgendwie schaffte er es, sich im letzten Moment zur Seite zu werfen. Er nutzte seinen Schwung, um sich abzurollen und sofort wieder auf die Beine zu springen.

Torian sah den Ansatz des nächsten Schlages, und irgendwie konnte er gerade noch rechtzeitig den Kopf zur Seite reißen. Ganz auszuweichen, war nicht mehr möglich, dafür kam der Hieb zu schnell, aber wenigstens verfehlte die klauenartige Hand sein Kinn.

Dafür traf sie ihn an der Schulter. Torian wurde von den Füßen gerissen und zurückgeschleudert. Himmel und Erde führten plötzlich einen rasenden Tanz um ihn herum auf. Obwohl der schlammige Boden seinen Sturz dämpfte, raubte ihm der Aufprall fast das Bewußtsein. Für einige Sekunden wunderte er sich einfach nur darüber, daß er noch am Leben war und sich nicht sämtliche Knochen im Leib gebrochen hatte. Wo der Schlag seine Schulter getroffen hatte, tobte ein pulsierender, klopfender Schmerz, als hätte etwas sein Blut in Lava verwandelt, aber mit zusammengebissenen Zähnen konnte er den Arm noch bewegen.

Unbeirrt kam die Kreatur nähergestapft. Ein höhnisches Grinsen lag auf dem Gesicht des lebenden Toten. Der Riß in seiner Wange hatte sich noch verbreitert. Es war schier unglaublich, daß das Wesen noch lebte, aber offensichtlich kümmerte es sich keinen Deut um menschliche Logik.

Torians Atem ging keuchend und stoßweise. Der Schmerz ließ ihn schwindeln. Er versuchte, die dunklen Schleier vor seinen Augen wegzublinzeln und quälte sich stöhnend wieder auf die Beine, nur um in dem glitschigen Schlamm sofort wieder den Halt zu verlieren und erneut im Matsch zu versinken.

Dieses Mißgeschick rettete ihm das Leben. Er fiel geradezu unter dem nächsten Schlag der Kreatur hindurch und glaubte, noch den Luftzug zu spüren. Instinktiv wälzte er sich zur Seite, als sich der massige Schatten auf ihn stürzte, um ihn allein durch sein Gewicht zu zerquetschen. Der Boden schien zu beben, als das hünenhafte Monstrum dicht neben ihm aufprallte. Torian wollte auf die Beine springen, aber eine Klauenhand bekam seinen Arm zu packen und riß ihn wieder zurück.

Torian schrie auf und versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, aber die halb skelettierte Klaue hielt sein Handgelenk wie ein Schraubstock umklammert. Fauliger, nach Tod stinkender Atem traf sein Gesicht. Blindlings schlug er mit dem freien Arm zu, mitten in die teigige Gesichtshälfte des Monstrums. Von irgendwoher drang eine Stimme an sein Ohr, ohne daß er die Worte verstand. Etwas packte seinen Arm, gleichzeitig wurde die Stimme lauter und eindringlicher.

»Torian, Garth, hört auf! Seid ihr wahnsinnig geworden?«

Er verstand die Worte, aber auch jetzt begriff er ihren Sinn nicht. Eine weitere Kreatur war hinter ihm aufgetaucht, ebenso schrecklich wie die erste. Voller Panik schlug er nach ihr, doch sie wich seinem Hieb aus und versetzte ihm ihrerseits eine schallende Ohrfeige.

Im gleichen Moment zerplatzten die Schleier vor seinen Augen. Aus der Kreatur hinter ihm wurde Shyleen, die gerade die Hand zu einem weiteren Schlag hob, sie aber wieder sinken ließ, als sie seine Verwirrung erkannte.

Auch das zweite Alptraummonster zerfloß binnen eines Herzschlages, wurde zu der vertrauten Gestalt von Garth. Sein linkes Auge begann zuzuschwellen und färbte sich dunkel.

»Bei den Dämonen!« keuchte der Dieb. »Was soll das? Bist du jetzt völlig übergeschnappt?«

Torian stand mühsam auf, half Garth, ebenfalls auf die Beine zu kommen, und massierte seine schmerzende Schulter.

»Habt ihr denn beide den Verstand verloren, so aufeinander loszugehen und euch halbtot zu prügeln?« fauchte Shyleen.

Torian beachtete sie nicht. Der Nebel um sie herum hatte sich etwas gelichtet, war längst nicht mehr so dicht wie zuvor. Die milchigen Schwaden wirbelten stärker durcheinander. Es kam Torian vor, als würden sie einen höhnischen Tanz aufführen. Wieder begann die Umgebung um ihn herum unwirklich zu flimmern, Garth’ rechte Gesichtshälfte schien einzufallen, auszutrocknen...

»Der Nebel...« stieß er gepreßt hervor. »Etwas stimmt nicht damit. Er ... er läßt uns Dinge sehen, die nicht wahr sind.«

»Ich habe geglaubt, ein Ungeheuer vor mir zu haben«, erklärte Garth. Sein Blick flackerte. »Das warst nicht du. Es war...« Er brach ab. Vorsichtig, als fürchte er, durch eine unbedachte Bewegung den Schrecken der vergangenen Augenblicke aufs neue heraufzubeschwören, hob er die Hand, betastete sein verquollenes Auge und zuckte vor Schmerz zusammen. »Verdammt, hättest du nicht etwas weniger hart zuschlagen können?«