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»Du warst auch nicht gerade sanft zu mir«, gab Torian trocken zurück. »Du hättest mir fast die Schulter gebrochen. Eine Minute mehr, und wir hätten uns gegenseitig umgebracht. Wenn ich das Schwert noch gehabt hätte ...«

Garths Gesicht wurde noch eine Spur blasser, aber er sagte nichts.

Ein absurder Gedanke schoß Torian durch den Kopf. Erst im nachhinein begriff er, was er unbewußt mit seinen Worten angedeutet hatte: daß die Schuppenwesen ihnen durch den Raub des Schwertes wirklich das Leben gerettet hatten. Aber er verwarf diese Idee gleich darauf wieder. Wenn die gepanzerten Wesen eines nicht gemacht hatten, dann den Eindruck, ihnen besonders wohlgesonnen zu sein.

»Die Träume der schlafenden Göttin«, murmelte Shyleen. »Wir dürfen uns nicht...«

Torian sah auf. »Was hast du gesagt?«

Sie zuckte erschrocken zusammen, fast schuldbewußt. »Nichts«, antwortete sie, ebenso hastig wie wenig überzeugend. »Ich habe nur laut gedacht. Wir dürfen uns von den Trugbildern hier nicht beirren lassen, sonst sind wir verloren. In diesem Nebel muß etwas sein, das unsere Sinne narrt. Vielleicht ein Gas.«

»Ich will wissen was du gemeint hast«, wiederholte Torian scharf und packte ihren Arm. »Was hat das Gerede von Träumen und einer schlafenden Göttin zu bedeuten? Antworte!«

Shyleen sträubte sich gegen seinen Griff und versuchte erfolglos, sich zu befreien. »Verdammt, laß mich los!« schrie sie. »Du tust mir weh.«

»He!« mischte sich Garth ein und streckte die Hand nach ihm aus. Torian versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, der ihn meterweit zurücktaumeln ließ und funkelte Shyleen an. »Ich werde dir noch wesentlich mehr weh tun, wenn du uns nicht endlich alles sagst, was du weißt«, knurrte er. »Allmählich habe ich das Gefühl, daß du uns eine ganze Menge verschwiegen hast.«

Einige Sekunden lang starrten sie sich gegenseitig feindselig an. Etwas Schwarzes, Pelziges war plötzlich in Shyleens Mund. Dünne, haarige Beine tasteten über ihre Lippen, dann kroch eine Spinne aus ihrem Mund. Torian blinzelte, kämpfte gegen das Trugbild an, und die Spinne löste sich in nichts auf. Er krampfte seine Hand noch fester um Shyleens Arm. Erst als sie vor Schmerz aufschrie, lockerte er erschrocken seinen Griff.

Shyleen duckte sich unter ihm hindurch. Im nächsten Moment fühlte er sich gepackt und über ihre Schulter gewirbelt. Unsanft landete er erneut im Schlamm. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er sich aufrichtete und benommen den Modder aus dem Gesicht wischte. Verblüfft sah er zu Shyleen hoch.

»Tu das nie wieder«, fauchte sie. »Greif mich nie wieder an. Beim nächsten Mal kratze ich dir die Augen aus!« Ihr Blick sprühte vor Zorn und ließ keinen Zweifel daran, daß sie ihre Drohung – zumindest im Augenblick – todernst meinte. Ihre Hand lag in einer ganz und gar nicht zufälligen Geste auf dem Gürtel, dort, wo normalerweise ihr Schwert hing.

»Das werden wir ja sehen!« gab Torian wütend zurück. Ohne ihre Warnung zu beachten, wollte er sich sofort wieder auf sie stürzen, doch Garth vertrat ihm rasch den Weg.

»Wer ist jetzt hier verrückt geworden?« rief er. »Kommt endlich zur Besinnung. Wir müssen hier weg!«

Torians Wut verrauchte so schnell, wie sie gekommen war. Entsetzt bemerkte er, daß sie wirklich drauf und dran waren, sich gegenseitig umzubringen. Auch Shyleen schüttelte benommen den Kopf, dann machte der Zorn in ihrem Blick Betroffenheit und Verwirrung Platz.

Übertrieben hastig wandte sie sich um und begann zu laufen. Torian und Garth folgten ihr.

Die Nebelschwaden vor ihnen lichteten sich zusehends und blieben schließlich ganz hinter ihnen zurück. Torian atmete erleichtert auf, warf einen letzten Blick auf die milchige Brühe und sah rasch wieder nach vorne.

»Machen wir eine kurze Rast«, schlug er vor, als sie eine weitere Meile zurückgelegt hatten und seine Kleidung in der Sonnenhitze getrocknet war. Bleigewichte schienen an seinen Beinen zu hängen. Das Gehen im nachgiebigen Morast war anstrengend, und abgesehen von ein paar Stunden Schlaf in der vergangenen Nacht hatte er seit Tagen kaum geruht. Er suchte eine möglichst trockene Stelle und setzte sich.

Garth nickte zustimmend, klopfte sich den halb eingetrockneten Schlamm von den Beinen und ließ sich neben ihm zu Boden sinken.

Nur Shyleen protestierte heftig. »Laßt uns lieber zusehen, daß wir einen Übergang finden. Ausruhen können wir uns später.«

»Nein«, entschied Torian. »Ich will endlich wissen, was du uns verschwiegen hast. Vorher mache ich keinen Schritt mehr.«

»Dieser verdammte Nebel hat mich nervös gemacht«, wich Shyleen aus. »Was ich gesagt habe, hat nichts zu bedeuten.«

»Keine Ausflüchte mehr«, warnte Garth mit für ihn ungewöhnlicher Härte in der Stimme. »Wenn wir schon den Kopf für dich riskieren, dann haben wir wohl wenigstens ein Recht auf die Wahrheit.«

»Ihr habt überhaupt kein Recht, irgend etwas zu fordern«, erwiderte Shyleen gereizt. »Ich habe euch nicht gebeten, mich zu begleiten.« Sie erkannte im gleichen Moment, daß sie damit zu weit gegangen war. »Entschuldigt«, murmelte sie, fuhr sich verlegen mit der Hand durch das Haar und setzte sich nach kurzem Zögern ebenfalls. »Also schön, ich habe einige Legenden gehört, aber das ist auch alles. Dummes Gerede.«

»Ich liebe Legenden«, hakte Torian ein. »Besonders, wenn sie von einer schlafenden Göttin und ihren Träumen handeln. Was hat sie mit dem Tempel der verbotenen Träume zu tun?«

»Er wurde ihretwegen erbaut«, erklärte Shyleen widerstrebend. »Niemand kennt ihren wahren Namen. Sie wurde nur Kristallfürstin genannt. Vor Urzeiten war sie eine mächtige Herrscherin, bis sie ihren Feinden zu mächtig wurde und diese sich gegen sie zusammenschlössen. Sie konnten die Kristallfürstin zwar nicht töten, aber sie versetzten sie in einen magischen Schlaf. Angeblich soll sie immer noch im Tempel der verbotenen Träume ruhen. Sie kennt das Geheimnis der Unsterblichkeit. Von ihr werden wir es erfahren. Das ist alles, was ich gehört habe, und wahrscheinlich stimmt nur ein Bruchteil davon.«

»Möglich«, gab Torian nach kurzem Nachdenken zu. »Aber was hat diese Kristallfürstin mit dem Nebel zu tun?«

»Ihre Macht war die der Illusion. Es scheint, als ob sie ihre Kräfte selbst im Schlaf noch zu entfesseln vermag.«

»Ziemlich unwahrscheinlich«, brummte Garth. »Eher dürfte es eine Falle ihrer Gegner sein, die verhindern wollen, daß irgend jemand sie erreicht und aus ihrem Schlaf erweckt. Ich verstehe nur nicht, warum du uns das unbedingt verschweigen wolltest. Und jetzt sag nicht, weil du es für unwichtig gehalten hast.«

Shyleen raffte sich zu einem Lächeln auf. »Nein«, erwiderte sie. »Ich habe aus einem anderen Grund nichts davon erwähnt. Nehmen wir an, die Legenden stimmen, und es gelingt uns, die Kristallfürstin zu erwecken.« Sie sah Garth und Torian abwechselnd an, als erwarte sie eine ganz bestimmte Reaktion auf diese Worte. »Nehmen wir an, sie ist wirklich so mächtig und grausam, wie es heißt. Ich glaube nicht, daß sie sich freiwillig wieder schlafenlegt, nachdem wir von ihr erfahren haben, was wir wissen wollen.« Sie fanden die Brücke am späten Nachmittag. Bereits seit einiger Zeit war der Boden unter ihren Füßen felsiger geworden, und das Ufer stieg beiderseits des Flusses sanft, aber beständig an, so daß dazwischen eine mehrere Meter tiefe Schlucht entstanden war, an deren Grund das Wasser dahinschoß.

Die Brücke war bereits von weitem zu sehen, doch zumindest Torians erste Freude war beim Näherkommen rasch einer Ernüchterung gewichen. Zweifelnd betrachtete er den aus Seilen und grob behauenen Brettern gefertigten Steg, der einen alles andere als vertrauenerweckenden Eindruck machte. Die Seile, welche die ganze Konstruktion trugen, ließen befürchten, daß sie bei der geringsten Belastung reißen würden; die dazwischengelegten Bretter waren zum größten Teil morsch und verrottet. Viele fehlten ganz, so daß Lücken wie klaffende Wunden im Skelett der Brücke entstanden waren.