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Shyleen begann schallend zu lachen, und auch Garth strahlte über das ganze Gesicht. »Sieht so aus, als hätten wir endlich mal ein ganz dickes Ende vom Glück zu fassen bekommen«, rief er fröhlich.

Nur Torian schaute sich unbehaglich um. Neun Tage, dachte er. Neun Tage, in denen sie zur Untätigkeit verurteilt waren. Eine lächerlich kurze Zeit, aber er war sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob das, was Ayla gesagt hatte, wirklich so eine gute Nachricht war. Torian saß auf einem Felsen am Ufer und starrte lächelnd auf den kleinen See in der Nähe des Dorfes hinaus. Shyleen und Garth und einige Laa tollten wie Kinder im Wasser herum. Es war noch früh, doch die Kühle der Morgendämmerung war bereits verflogen und hatte der angenehmen Wärme des Tages Platz gemacht. Dem Kalender nach war es Herbst, aber der Rhythmus der Jahreszeiten schien hier ohne Bedeutung zu sein: Es hatte nicht einen einzigen regnerischen oder kühlen Tag gegeben, seit sie in dieses Tal gekommen waren, sowenig, wie es einmal wirklich heiß geworden war. Acht Tage waren mittlerweile seit dem Überfall der Echsen vergangen, ohne daß es zu einem neuen Angriff gekommen war. Bereits am zweiten Tag hatten die Laa ihr altes Dorf verlassen und einen halben Tagesmarsch entfernt ein neues errichtet, in der Hoffnung, daß die Echsen sie hier wenigstens für eine Weile nicht finden würden. Mittlerweile kam Torian die Erinnerung an den Kampf und alles, was davor geschehen war, beinahe nur noch wie ein böser Traum vor. Er hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt und nach all der Hetze und den Gefahren der vergangenen Wochen endlich wieder so etwas wie Ruhe und Frieden gefunden.

Die Laa faszinierten ihn immer mehr, denn ein Volk wie sie hatte er noch nie erlebt. Sie führten ein einfaches Leben, ernährten sich von der Jagd und dem Ackerbau. Die Felder waren dank des Flusses überaus fruchtbar, und zahlreiche Tiere lebten im Wald. Daß er zuvor keins zu Gesicht bekommen hatte, lag daran, daß die meisten scheu waren und bei Annäherung eines Menschen sofort flohen, so daß man sie fast nur in Fallen fangen konnte. Abgesehen von den halbintelligenten Echsen gab es keine Raubtiere.

Jeder Tag war für die Laa ein Fest der Lebensfreude. Sie besaßen keinen Herrscher, alle Entscheidungen wurden nach gemeinsamen Diskussionen durch Mehrheitsbeschluß gefällt. Im Grunde waren sie ein friedliches Volk, was wohl daran lag, daß sie seit Urzeiten in dem Tal weitgehend von der Außenwelt abgeschirmt waren, und es hier alles zum Leben Notwendige im Überfluß gab. Bis zum Auftauchen der Echsen war ihnen Krieg weitgehend unbekannt gewesen. Aber auch seither bestand ihr Dasein weniger aus Kampf, als vielmehr aus Flucht. Sie blieben selten länger als ein paar Monate an einem Ort, sondern suchten sich stets neue Verstecke im Wald. Von Zeit zu Zeit verwüsteten die Echsen ihre Felder, doch da ihre Hauptaufgabe im Bewachen des Tempels bestand, verließen sie die unmittelbare Umgebung der Stadt nur selten. Ohne die Bedrohung durch sie hätte das Leben der Laa paradiesisch sein können. Torian konnte gut verstehen, warum sie so inbrünstig hofften, daß er ihnen den Frieden bringen würde.

Aber was wäre das für ein Frieden, der nur durch die Vernichtung des Feindes errungen wurde? dachte er bitter. Im Grunde wäre es nicht mehr, als ein gewaltsam errungener Sieg, selbst wenn die Echsen den Krieg begonnen hatten und durch ihren Auftrag ein friedliches Nebeneinander der beiden Völker unmöglich wurde. Nicht gerade die beste Grundlage, um eine friedliche Zukunft darauf zu errichten. Aber wie er selbst erlebte, stellten die Laa einen Unsicherheitsfaktor im System der Fallen um den Tempel der verbotenen Träume dar; die Echsen mußten versuchen, sie zu vertreiben oder auszurotten.

Tief im Inneren verabscheute sich Torian selbst für das, was er tun wollte. Im Gegensatz zu den Echsen waren die Laa Menschen, und sie hatten diesen Krieg nicht gewollt, aber das gab ihnen nicht automatisch das Recht, die Angreifer nun ihrerseits zu vernichten. Und vor allem durfte er ihnen nicht dabei helfen. Es war nicht mehr als ein Zufall, daß er und sie das gleiche Ziel verfolgten, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Wenn er zum Tempel ging und die Kristallfürstin zu erwecken versuchte, bestand die Möglichkeit, daß er eine unbekannte Gefahr aus der Vergangenheit auf die Menschen losließ, aber wenn er es nicht tat, würde Shyleen sterben, und das Morden in diesem Tal weitergehen. Auch wenn er nicht wirklich daran glaubte, hoffte er insgeheim, daß es noch eine andere Möglichkeit gab, daß alles vielleicht ganz anders verlaufen würde, wenn er den Tempel erreichte. Konnte es wirklich sein, daß alles, was er tat, falsch war, daß sein Handeln nur neues Grauen heraufbeschwören würde, egal, wie er sich entschied?

Er hatte sich in den vergangenen Wochen und gerade in den letzten Tagen mehr verändert, als ihm selbst bislang bewußt geworden war. Die Zeit, da er Söldner im scroothischen Heer gewesen war und für Geld fast bedenkenlos getötet hatte, schien Jahrzehnte zurückzuliegen. Er wollte nicht mehr töten; weder eigenhändig noch durch seine Entscheidungen. Vielleicht würde er bei den Laa bleiben, wenn alles vorbei war und es noch so etwas wie ein Später für ihn gab. Ein friedliches Leben als Bauer und Jäger führen, endlich die Ruhe mit sich und seiner Umwelt finden, die er sein Leben lang gesucht hatte. Der Gedanke ließ ihn lächeln, erschien ihm aber längst nicht mehr so lächerlich, wie noch vor ein paar Tagen.

»Woran denkst du?« riß ihn Aylas Stimme aus seinen Grübeleien. Torian hatte sie nicht herankommen hören, aber sie mußte schon seit einiger Zeit neben ihm stehen und ihn beobachten, so wie sie seit seiner Ankunft kaum jemals von seiner Seite gewichen war, sobald er seine Hütte verließ. Durch ihre ständige Anwesenheit fühlte er sich längst nicht mehr so belästigt wie zu Beginn. Es war schwer, sich in einem so kleinen Dorf aus dem Weg zu gehen und irgendwo ungestört zu sein. Auch das hatte er erst lernen müssen. Mittlerweile empfand er es als etwas völlig Normales.

»An nichts Bestimmtes«, antwortete er. »Mich würde interessieren, ob es eigentlich einen Ausgang aus diesem Tal gibt.«

»Schließlich seid ihr ja auch hereingekommen.«

»Ja, aber diesen Weg gibt es nicht mehr.«

Sie zögerte kurz. »Am Ende des Tals gibt es einen schmalen Paß zwischen zwei Bergen«, erklärte sie dann. »Ich weiß nicht, ob er begehbar ist, aber ich glaube schon.« Jähes Mißtrauen flackerte in ihren Augen auf. »Warum fragst du? Du willst doch nicht –«

»Nein, ich werde nicht weggehen«, beruhigte er sie. »Aber ich verstehe nicht, warum ihr das Tal nicht irgendwann einfach verlassen habt, statt jahrtausendelang gegen die Echsen zu kämpfen. Hängt ihr so sehr an diesem Stück Land?«

Wieder zögerte sie eine Weile, und erst als Torian schon glaubte, sie wolle ihm nicht antworten, brach sie ihr Schweigen.

»Wir leben in diesem Tal, so lange die Geschichte unseres Volkes zurückreicht, und haben jeden Fußbreit Boden mit Blut bezahlt. Das Land ist fruchtbar und gibt uns alles, was wir brauchen. Natürlich lieben wir es und hängen daran, doch das ist es nicht allein. So grausam manches hier ist, beschützen die Berge uns doch auch vor der Welt, die hinter ihnen liegt und die kaum weniger grausam ist, nach allem, was wir darüber gehört haben.«

»Gehört? Von wem?«

Ayla lachte leise. »Ihr seid nicht die ersten Fremden, die zu uns kommen.«

»Und was ist mit den anderen geschehen?«

»Sie wurden von den Echsen getötet. Aber sie haben uns erzählt, wie es jenseits dieses Tals aussieht, daß es auch dort Haß und Kriege gibt. Warum sollten wir von hier fortgehen? Wir haben immer gehofft, daß eines Tages jemand kommen würde, der uns vor den Echsen rettet. Und nun bist du da.«