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Torian verzichtete auf eine Antwort. Einige Minuten lang saßen sie schweigend nebeneinander, dann ergriff Ayla erneut das Wort. »Du bist seltsam«, murmelte sie.

Verwundert hob er den Kopf. »Was meinst du damit?«

»Nun, seltsam eben. Anstatt dein Leben zu genießen, grübelst du ständig über alles mögliche nach und ziehst dich in dich selbst zurück. Manchmal glaube ich fast, du bist überhaupt kein richtiger Mensch, sondern...« Sie überlegte einen Moment und suchte nach einem passenden Wort, dann machte sie eine hilflose Geste.

»Ein Gott?« schlug Torian mit mildem Spott vor.

Ayla schüttelte den Kopf. »Das meine ich nicht. Ich weiß, daß du kein Gott bist, und so haben wir uns unseren Erretter auch nie vorgestellt. Aber manchmal kommst du mir fast wie ... wie eine Puppe vor, nicht wie ein Wesen aus Fleisch und Blut. Du kapselst dich ab und läßt niemanden an dich herankommen. Es ist, als ob du eine Mauer um dich herum gebaut hättest, hinter der keine Gefühle, sondern nur klare, nüchterne Überlegungen Platz finden.«

Torian schwieg. Sie deutete zu Shyleen und Garth hinüber, die immer noch im Wasser umhertollten. »Was sind die beiden für dich? Nur flüchtige Bekannte? Jedenfalls scheint es so. Selbst mit ihnen sprichst du kaum noch. Seid ihr nur zusammen gereist, oder bedeuten sie dir mehr?«

Immer noch schwieg Torian verbissen und kniff die Lippen noch ein wenig fester zusammen. Ayla schien auch keine Antwort erwartet zu haben, denn sie sprach von allem weiter, ohne ihm überhaupt Zeit für eine Erwiderung zu lassen. »Ist ja egal und geht mich auch nichts an. Aber sie sind so anders als du. Zumindest Garth. Er lacht und feiert und lebt einfach so in den Tag hinein; er spricht und scherzt mit jedem, während ich dich in der ganzen Zeit kein einziges Mal wirklich fröhlich gesehen habe. Irgendetwas bedrückt dich. Warum stehst du dir selbst und deiner Umwelt so feindselig gegenüber?« fragte sie sanft.

»Das stimmt nicht«, erwiderte Torian ohne rechte Überzeugung. In Wahrheit sprach sie nur aus, was ihm selbst seit langer Zeit im Kopf herumspukte. »Vielleicht ist Garth offener als ich, aber er hat auch einen Grund, sich zu freuen und glücklich zu sein.«

»Shyleen?«

Er nickte. Seit sie bei den Laa waren, und der Tempel der verbotenen Träume in greifbare Nähe gerückt war, hatte sich Shyleens Verhalten gegenüber dem Dieb geändert. Sie waren fast unzertrennlich geworden und bewohnten auch eine gemeinsame Hütte. Seit sie seine Liebe erwiderte, zumindest aber nicht mehr verschmähte, verströmte Garth eine dermaßen gute Laune, als ob er für das Lachen bezahlt würde. Torian gönnte ihm die Freude, aber gerade das Glück der beiden führte ihm seine eigene Einsamkeit mit schmerzlicher Deutlichkeit vor Augen. Immer stärker begann er sich wie ein fünftes Rad an der Kutsche zu fühlen.

»Die beiden lieben sich, doch du scheinst kalt und hart wie ein Stein zu sein«, fuhr Ayla fort.

Er erinnerte sich, daß er noch vor kurzem genau das über Shyleen gedacht hatte. »Worauf willst du hinaus?« fragte er mit einer Heftigkeit, die ihn selbst ein wenig überraschte.

Anstelle einer Antwort legte sie ihm die Hand auf den Arm. Er erschauerte unter der Berührung. Eine kribbelnde Wärme ging von ihren Fingerspitzen aus. Einem ersten Impuls folgend, wollte er ihre Hand zurückstoßen, entspannte sich dann aber sofort wieder. Sie hatte ihn überrumpelt, hatte seinen Schutzpanzer mit dieser winzigen Geste durchbrochen und ihn an einer Stelle getroffen, an der er sich für unverwundbar gehalten hatte. Ihre Nähe erregte ihn plötzlich auf eine unbekannte, irritierende Art. Sie weckte etwas in ihm, das er bereits für alle Zeiten vergessen geglaubt hatte. Unsicher musterte er sie, und zum ersten Mal, seit er sie getroffen hatte, sah er nicht das kleine Mädchen, sondern sah sie als die junge Frau, die sie in Wahrheit schon war.

Ihre Hand tastete sanft über seinen Arm und ließ eine Gänsehaut über seinen Rücken kriechen. Wieder sträubte sich etwas in ihm gegen die Berührung, und wieder unterdrückte er dieses Gefühl. Er war ein erwachsener Mann und niemandem für seine Empfindungen und Gedanken Rechenschaft schuldig – auch nicht seiner Erinnerung an Lyn, wie er fälschlicherweise so lange geglaubt hatte.

Aylas Hand erreichte seine Schulter, seinen Hals, tastete über sein Gesicht. Seine Haut schien zu brennen, wo ihre Finger sie berührte. Ihr warmer Atem traf seine Wange.

Ein fast schmerzhaftes Verlangen erwachte in ihm und spülte auch den Rest seines Widerstandes fort. Er preßte sie an sich und küßte sie; hart und besitzergreifend. Seine Finger glitten über ihren heißen Körper, streichelten ihre Brüste, glitten tiefer.

Sie löste sich aus seiner Umarmung, stand auf und griff nach seiner Hand.

»Komm«, sagte sie und führte ihn zu seiner Hütte.

Torian wehrte sich nicht. Die Schatten der Abenddämmerung tanzten im Inneren der kleinen Hütte, nisteten in den Ecken, aus denen sie das Kerzenlicht nicht zu vertreiben vermochte, und erfüllten sie mit düsterem Leben, aber zum ersten Mal seit langer Zeit fürchtete sich Torian nicht vor ihnen. Ayla war an seiner Schulter eingeschlafen. Ihr Kopf ruhte auf seinem Arm, ließ ihn schwer und taub werden, doch er zog ihn nicht weg, um sie nicht aufzuwecken.

Auch Torian fühlte sich müde und auf eine wohlige Art erschöpft. Abgesehen von einem kurzen Spaziergang um die Mittagsstunde hatten sie die Hütte den ganzen Tag nicht mehr verlassen. Sie hatten sich geliebt; anfangs mit einer fast ekstatischen Leidenschaft, später zärtlich und liebevoll. Ayla war keine Jungfrau mehr, aber noch ziemlich unerfahren gewesen; sie kannte nicht die zahlreichen Varianten und Tricks der Dirnen, mit denen er in den letzten Jahren das Bett geteilt hatte, aber sie war die erste gewesen, die nicht nur sein körperliches Verlangen hatte stillen können, sondern auch die brennende Gier in seinem Inneren. Anders als all die anderen Male zuvor waren seine Empfindungen nach dem Geschlechtsakt nicht in Schuldgefühle und Verachtung gegen seine Gespielin und sich selbst umgeschlagen. Im Gegenteil. Ayla hatte die Sehnsucht nach mehr in ihm geweckt.

Sie schlief nicht sehr fest, von Zeit zu Zeit murmelte sie leise, unverständliche Worte, die ihn an das behagliche Schnurren einer Katze erinnerten. Er ließ seinen Blick liebevoll über ihren Körper schweifen. Ihre Haut war weich und sonnengebräunt. Das dunkle Haar fiel ihr wie ein Schleier über das Gesicht, konnte aber nicht verbergen, daß sie noch im Schlaf lächelte.

Ganz vorsichtig bewegte er den Arm, trotzdem spürte Ayla die Bewegung und schlug die Augen auf.

»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht aufwecken.«

»Und ich wollte gar nicht einschlafen.« Sie gähnte. »Es ist spät geworden. Haben wir noch etwas Wein?«

Torian griff nach dem Tonkrug, dann schüttelte er den Kopf. »Leer.«

Sie stand auf, griff nach ihrem Gewand und streifte es in einer anmutigen Bewegung über. »Ich hole neuen. Und etwas Braten.«

Torian nickte und stemmte sich halb auf die Ellenbogen hoch. Wortlos sah er zu, wie Ayla die Hütte verließ, aber er blickte selbst dann noch zum Ausgang, als ihre Schritte schon längst draußen verklungen waren. Er fühlte sich ... sonderbar; auf eine Art, die er kaum in Gedanken, geschweige denn in Worte fassen konnte. Aber es war eine angenehme Art von Verwirrung, mit der ihn die Geschehnisse des letzten Tages erfüllten. Sicherlich war es nicht die große Liebe, die Aylas Küsse in ihm entfacht hatten, da machte er sich nichts vor, und sie bestimmt auch nicht. Aber er verspürte in der Nähe des Mädchens etwas, das fast ebenso wichtig war; vielleicht wichtiger: Geborgenheit. Geborgenheit und Freundschaft, ein Wort, das so simpel klang und doch so unendlich weh tat, wenn es fehlte.

Torian lächelte still in sich hinein, schlug die dünne Decke zur Seite und schlüpfte ebenfalls in seine Kleider.

Fast ziellos verließ er die Hütte und sah sich auf dem Dorfplatz um. Nach allem, was in den letzten Tagen hier geschehen war, bot die Siedlung der Laa einen fast absurd friedlichen Anblick; die wenigen Menschen, denen er überhaupt begegnete, verrichteten ihre Arbeiten ohne Hast und mit guter Laune – Torian hörte Lachen, Scherzworte flogen hin und her, nicht weit von Aylas Hütte spielten zwei Kinder am Boden, aus der Ferne und diskret beobachtet von einer jungen Frau, die Torians Blick mit einem Heben der Hand und einem herzlichen Lächehl beantwortete. Ein paar Männer kamen von der Jagd oder beladen mit hohen Körben voller Früchte vom Feld. Es war sehr warm, aber die Hitze hatte noch nicht jenes Maß erreicht, ab dem man sie als störend empfand. Das Sonnenlicht brannte nicht in seinen Augen, sondern war zwar sehr hell, aber trotzdem mild. Vielleicht war es das erste Mal seit... Ja, seit Jahren, überlegte Torian, daß er sich wirklich zufrieden fühlte. Nicht glücklich, wenn man damit jene überschwengliche Art von Glück meinte, die Verliebte manchmal spüren und die rasch und unversehens zu einem verzehrenden Feuer werden konnte; aber zufrieden. Vielleicht war das mehr, denn dies war ein Zustand, der durchaus dauerhaft anhalten konnte.