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»Und wenn ich mich weigere?« fragte Torian ruhig.

»Werden wir dich töten«, antwortete Ayla. »Wir werden nicht zulassen, daß du alles zerstörst. Für dich steht nur dein Leben auf dem Spiel, Torian. Für uns die Ewigkeit. Ein Preis, um den zu kämpfen sich lohnt.«

Torian blickte das zerfallene Greisinnengesicht vor sich lange und sehr traurig an. Er verstand Ayla sogar, und er spürte, daß ihre Feindseligkeit nicht gegen ihn gerichtet war. Sie haßte ihn nicht, so wenig, wie sie ihn wirklich liebte. Für sie und diese anderen bedauernswerten Geschöpfe stand einfach zuviel auf dem Spiel. Und von ihrem Standpunkt aus gesehen hatte sie vermutlich sogar recht – schließlich: Wo war der Unterschied, ob man wirklich ein Jahrtausend lebte, oder es sich in einer Nacht erträumte? Beinahe traurig nickte er, trat einen halben Schritt zurück und hob die Fäuste.

»Dann kämpft«, forderte er.

Und das taten sie.

Es war die Hölle. Die Laa waren unbewaffnet, und nicht einer von ihnen war auch nur im entferntesten in der Lage, es mit Torian aufzunehmen; aber sie waren viele, und sie kämpften mit der Verbissenheit von Menschen, für die mehr als nur ein Leben auf dem Spiel stand.

Schon ihr erster Ansturm riß Torian einfach von den Beinen. Dürre, knochige Finger griffen nach ihm, scharrten über sein Gesicht und zerrten an seinem Haar, versuchten, ihm die Augen auszukratzen und ihm Mund und Nase zuzuhalten. Torian schlug und trat verzweifelt um sich, und er spürte, wie entsetzlich seine Hiebe unter den ausgemergelten Gestalten wirkten – die Laa wurden zurück- und zu Boden geschleudert und blieben reglos liegen oder krochen wimmernd davon. Aber für jeden Angreifer, den er abschüttelte, spie die Nacht drei neue aus, und so ausgemergelt und krank die grauen Gestalten aussahen, so zäh waren sie. Es schien nicht möglich zu sein, sie wirklich zu verletzen; ausgenommen vielleicht, wenn er mit aller Kraft kämpfte und in Kauf nahm, seine Gegner zu töten. Und das wollte er nicht.

Die Frage war, ob er eine andere Wahl hatte.

Irgendwie gelang es ihm, auf die Füße zu kommen, und irgendwie glückte es ihm auch, sich mit ein paar wütenden Hieben für einen Moment Luft zu verschaffen. Aber es war wirklich nur eine Atempause; als er sich umwandte, begriff er, daß er nun endgültig eingekreist war – und es waren sehr viel mehr Angreifer, als er im ersten Augenblick geglaubt hatte. Gut zwei, wenn nicht drei Dutzend in Lumpen gehüllter Gestalten umgaben ihn, wie eine Mauer aus Leibern, aus der sich ihm Dutzende von dürren, fast zum Skelett abgemagerten Händen entgegenstreckten. Und nur die wenigsten von ihnen waren einmal Menschen gewesen.

»Hör auf, Torian!« forderte Ayla noch einmal. »Wir sind nicht deine Feinde. Wir wollen dich nicht töten! Aber wir müssen es, wenn du nicht aufgibst!«

Das Schlimmste war, dachte er, daß er ganz genau spürte, daß sie recht hatte — von ihrer Sicht aus. Die Laa waren nicht seine Feinde, ebensowenig wie die Garth’ oder Shyleens. Sie taten einfach, was sie tun mußten, und sie begriffen wahrscheinlich noch nicht einmal, daß sie nur Werkzeuge waren, ein weiteres winziges Teil der gigantischen Todesmaschinerie, in die irgend etwas dieses Tal verwandelt hatte.

Der Ring aus Körpern zog sich enger zusammen. Torian sah sich wild um. Er war nicht weit vom Dorf entfernt – oder der Stelle, an der er bisher ein Dorf zu sehen geglaubt hatte –, aber er wußte, daß sie über ihn herfallen würden, wenn er auch nur versuchte, einen Schritt in diese Richtung zu tun. Aber auf der anderen Seite gab es nur Felsen und zerschundenen Boden und – und den See.

Als einziger Teil dieser gigantischen Illusion schien er Wirklichkeit zu sein; wenngleich er sich von einem verträumten See in ein ölig schimmerndes Loch verwandelt hatte, dessen bloßer Geruch ihm den Magen herumdrehte.

»Gib auf!« wiederholte Ayla noch einmal. »Wir sind nicht deine Feinde.«

»Dann laßt uns gehen«, verlangte Torian.

»Das dürfen wir nicht«, antwortete Ayla. Sie klang fast traurig. »Ihr würdet alles zerstören, wenn ihr ginget.«

Völlig warnungslos sprang sie ihn an. Torian reagierte ganz automatisch: Er beugte sich ein wenig zur Seite, duckte sich unter Aylas ausgestreckten Armen hindurch und unterdrückte im letzten Moment den Impuls, ihr die Faust in den Leib zu schlagen. Stattdessen versetzte er ihr noch ein wenig mehr Schwung und ließ sie über seinen gekrümmten Rücken abrollen, so daß sie wie ein lebendes Geschoß in die Menge hinter ihm flog. Vier, fünf Laa gleichzeitig wurden von ihrem Anprall zu Boden gerissen, und die anderen wichen ganz instinktiv ein Stück zurück.

Und Torian nutzte die Chance. Mit einer fast unmöglichen Bewegung fuhr er herum, setzte über die gestürzten Laa hinweg und rannte los, so schnell er konnte. Dürre, mit scharfen Nägeln versehene Klauen griffen nach ihm und hinterließen blutige Kratzer in seiner Haut, eine Hand klammerte sich an seinen Fuß und versuchte, ihn festzuhalten, und etwas traf mit schrecklicher Wucht zwischen seine Schulterblätter, aber Torian lief einfach weiter. Ein Laa wollte ihm den Weg verstellen und wurde glattweg über den Haufen gerannt.

Gehetzt blickte sich Torian um. Die Laa, die nicht unter Aylas Anprall zu Boden gegangen waren, hatten wie ein Mann zu seiner Verfolgung angesetzt, und diesmal, das war ihm klar, würden sie ihn töten, wenn sie ihn einholten. Und trotz ihres gebrechlichen Äußeren waren sie schnell, sehr schnell – sogar schneller als er. Als er das Ufer des Sees erreichte, waren sie kaum mehr eine Armeslänge hinter ihm.

Torian stieß sich mit aller Kraft ab und sprang.

Der Aufprall raubte ihm fast die Besinnung. Der Sprung hatte ihn weit hinausgetragen, aber er war schlecht berechnet gewesen; er tauchte nicht elegant ms Wasser ein, sondern durchbrach seine Oberfläche wie ein flach geworfener Stein. Die Luft wurde ihm aus den Lungen getrieben, und für eine einzelne, schreckliche Sekunde hatte er Angst, das Bewußtsein zu verlieren.

Keuchend und mit schwarzen Schleiern vor den Augen kam er wieder an die Oberfläche und holte gierig Luft. Erst dann drehte er sich wassertretend um und sah zum Ufer zurück.

Die Laa folgten ihm nicht. Sie waren am Ufer stehengeblieben und starrten haßerfüllt auf ihn herab, aber nicht einer machte auch nur einen Versuch, ihm nachzukommen. Aber warum nicht? dachte er. Torian war eigentlich sicher, daß die Laa schwimmen konnten, letztendlich waren es Männer und Frauen vom Kaliber eines Garth und einer Shyleen gewesen, ehe sie hierhergekommen waren.

Als ihm die Erklärung für das Zögern der Laa einfiel, war es fast zu spät.

Etwas bewegte sich im See. Tief unter ihm, sehr tief, aber nicht tief genug, als daß er die Bewegung nicht spürte. Etwas Riesiges begann zur Wasseroberfläche emporzusteigen.

Torian warf sich herum und begann zu kraulen.

Er hatte die Mitte des Sees erreicht, als er die Wellen bemerkte. Das Wasser war nicht mehr ruhig, selbst da, wo es nicht von seinen eigenen Schwimmbewegungen aufgewühlt wurde. Ein sanftes, fast geometrisches Wellenmuster begann sich auf der schwarzen Wasseroberfläche zu bilden, fast unmerklich zuerst, dann immer stärker und stärker, und auch die Bewegungen der unsichtbaren eisigen Fluten unter ihm wurden heftiger.

Dann berührte etwas seinen Fuß; ganz sacht, tastend, beinahe zärtlich. Etwas Warmes, Schlankes, etwas, das sich – absurd genug – irgendwie trocken anfühlte, und das vor seiner Berührung ebenso erschrocken zurückprallte wie er umgekehrt vor der seinen. Torian blickte instinktiv nach unten, und für einen Moment glaubte er, einen ungeheuerlichen Schatten wahrzunehmen, einen formlosen Klumpen aus noch tieferem Schwarz vor der Farbe des Wassers. Sein Herz machte einen schmerzhaften Sprung.