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Torian streifte den leichten Mantel ab, den er um seine Schultern gelegt hatte, ehe er den Palast verließ, und sank auf einen Felsen nieder. Sein Blick tastete über das Tal, das im letzten Grau der Dämmerung wie ein in dunklen, aber nicht düsteren Farben gemaltes Bild vor ihm lag. Der Fluß, der längst keine reißende Todesfalle mehr war, sondern ein mächtiger, ruhig dahingleitender Strom, schien das Bild in zwei ungleiche Hälften zu zerschneiden. Aber dieser Eindruck war jetzt wirklich nur noch eine Täuschung. Selbst im schwachen Licht des Morgens konnte Torian die Umrisse des neuen Palastes erkennen, der drüben, auf der anderen Seite der Ebene, im Entstehen begriffen war. Es war zwanzig Jahre her, seit er eigenhändig seinen Grundstein gelegt hatte, und es würde weitere zwanzig Jahre dauern, ehe er fertig war, aber welche Rolle spielte schon Zeit?

Torian lächelte, als ihm bewußt wurde, wie sehr sich sein Leben verändert hatte, seit es nichts mehr gab, was er hätte versäumen können. Zwei Sekunden oder zweihundert Jahre, was bedeutete das schon, für einen Mann wie ihn, der in Äonen rechnen konnte? Sie hatten fast ein Jahrhunden gebraucht, um die letzten Echsen aus dem Tal zu vertreiben, und ein weiteres, um das mörderische Gras und all die anderen tödlichen Gefahren zu beseitigen, die sich hinter dem vermeintlich paradiesischen Äußeren des Tales verbargen, und diese Zeit war ihm lang vorgekommen, unendlich lang. Er hatte erst sehr, sehr viel später begriffen, daß es gar nicht wichtig gewesen wäre, ob sie nun ein oder hundert Jahrhunderte brauchten. Am Ende würden sie siegen, ganz einfach, weil sie alle Zeit der Welt für sich hatten.

Er kam oft hierher, meist in den frühen Morgenstunden, wenn in Laa’an noch alles schlief, um ein wenig allein zu sein, denn dies — allein zu sein; Zeit nur für sich und sonst nichts und niemanden zu haben – war das einzige, was er manchmal vermißte. Aber dieser Verlust war ein geringer Preis für das, was er bekommen hatte. Er war glücklich, zum ersten Mal in seinem Leben – obwohl er sich kaum noch, und wenn, dann nur sehr ungern an das erinnerte, was vor seiner Ankunft in diesem Tal gewesen war – wirklich glücklich, und das nicht nur für wenige Augenblicke, sondern jeden Tag, jede Woche, jedes Jahr. Er war am Ende einer Suche angekommen, deren Einzelheiten ihm längst entfallen waren, von der er nur noch wußte, daß sie sehr lang gewesen war.

Und doch spürte er manchmal ein Gefühl der Unrast, ein Drängen tief in seinem Inneren, das er sich nicht erklären konnte. Vielleicht war es einer der Gründe, weshalb er so oft hierherkam, an diesen Ort, an dem er sich stärker als sonst irgendwo eins mit seiner Umwelt fühlte. Er liebte diese Stunden der Einsamkeit und Melancholie, obwohl er manchmal einen leichten Hauch von Trauer verspürte, so als hätte er etwas verloren, das ihm einmal viel bedeutet hatte.

Oft schweiften seine Gedanken in solchen Momenten ziellos umher und tasteten in die Unendlichkeit hinaus; zum Himmel hinauf, an dem selbst jetzt bei genauem Hinsehen noch schwach und vereinzelt Sterne sichtbar waren, welche die Morgendämmerung nicht hatte fortwischen können, aber auch zu den hohen Bergen und dem, was dahinter liegen mochte.

Manchmal – und jetzt war wieder so ein Augenblick – grübelte er auch einfach nur so vor sich hin, ließ seine Gedanken treiben und versuchte, einen Sinn hinter allem zu erkennen. Es gab Zeiten, da kam ihm die Welt, sein Leben wie ein Traum vor, ein flüchtiger Rausch der Sinne, und er begriff sich als das, was er war: ein winziges Rädchen im gewaltigen Werk der Schöpfung. Torian mochte diese Gedankenspielereien, das Suchen nach Wirklichkeiten, und er ließ seiner Phantasie freien Lauf, sich unzureichende Erklärungen für die Existenz der Welt auszudenken, und fremde Welten zu ersinnen. Er hatte manchmal das vage Gefühl, daß es noch etwas anderes gab, ein Dasein, das sich von seinem jetzigen unterschied, aber das waren nur Tagträume und Spinnereien, die zu keinem Ergebnis führten. Irgendwann stießen seine Gedanken stets an eine Mauer, die er nicht zu durchdringen vermochte, wenn er versuchte, das Wesen der Unendlichkeit zu erfassen. Der Geist des Menschen war eben nicht dazu geeignet, den Sinn der Schöpfung zu begreifen.

Das Geräusch leiser Schritte drang in seine Gedanken. Torian sah überrascht auf — und auch ein wenig verärgert, denn er schätzte es gar nicht, wenn er hier oben gestört wurde — und blinzelte gegen das helle Rot des Sonnenaufganges. Aber sein Ärger wurde zur Freude, als er erkannte, wer es war, der den gewundenen Weg von der Stadt heraufkam: niemand anderes als Ayla, in deren Begleitung sich zwei vielleicht zehnjährige Kinder befanden: Relay und Bell, sein eigener Sohn und Shyleens und Garth’ Tochter.

Er stand auf, ging den dreien entgegen und küßte Ayla flüchtig, ehe er die beiden Kinder auf die Arme nahm und ihre stürmische Begrüßung genoß. Ayla ließ die beiden eine Weile gewähren, ehe sie sie mit sanfter Gewalt von ihm löste und den Jungen mit einem Klaps auf den Rücken davonscheuchte.

»Manchmal sind die beiden eine Plage«, bemerkte sie. Aber sie lächelte dabei, und Torian spürte, wie wenig ernst sie diese Worte meinte.

»Aber sie geben einmal ein hübsches Paar ab«, sagte er.

»So hübsch wie wir?« wollte Ayla wissen.

»Mindestens« erwiderte Torian. »Irgendwann.« Er legte Ayla den Arm um die Schulter, drehte sich wieder herum und führte sie zu der Stelle zurück, an der er gesessen hatte, ehe sie gekommen war. Eine Weile standen sie einfach schweigend da und sahen dem Weichen der Nacht zu, dann fragte Ayla:

»Wirst du gehen?«

»Gehen?« Torian runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«

Ayla zog eine Schnute. »Behandle mich nicht wie ein dummes Kind«, hat sie. »Ich habe gehört, was Garth und du besprochen haben.«

»Die Kundschafter.« Torian nickte und sah wieder nach Westen. Auch am anderen Ende des Tales wurde es jetzt Tag. Er sprach nicht weiter.

»Sie haben endlich den Weg über die Berge gefunden«, sagte Ayla schließlich. Sie seufzte. »Ihr wollt ein Heer aufstellen.«

»Vielleicht«, gab Torian zu. »Vielleicht irgendwann einmal. Zuerst einmal werden ein paar Männer reichen, welche die Welt dort draußen erkunden.«

»Und du wirst einer dieser Männer sein, vermute ich.«

»Und wenn es so wäre?«

Ayla schwieg lange. In ihrer Stimme war eine leise Spur von Trauer, als sie endlich fortfuhr. »Ich... wäre nicht sehr glücklich. Aber ich würde dich gehen lassen.«

»Ich würde zurückkommen«, versprach Torian. »Aber ich muß wissen, wie es dort aussieht – auf der anderen Seite der Berge.«

»Und warum?«

Diesmal war es Torian, der nicht sofort antwortete; ganz einfach, weil er die Antwort nicht wußte. »Vielleicht, weil es meine Natur ist«, erklärte er schließlich. »Ich bin lange genug Gott gewesen.« Er machte eine Geste mit der freien Hand, die das gesamte Tal einschloß. »Es gibt hier nicht mehr sehr viel für mich zu tun, weißt du?«

Ayla nickte. »Ich weiß es schon lange. Du hast... viel geschaffen. Aus unserem Dorf ist eine mächtige Festung geworden, und wir haben endlich Frieden gefunden.« Sie lächelte. »Erträgst du es nicht?«

»Frieden?« Torian nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Doch. Aber ich ertrage es nicht, untätig zu sein.« Er deutete nach Westen. »Es gibt neue Aufgaben dort. Und neue Herausforderungen.«

Er spürte, wie Ayla traurig zu werden begann, und drückte sie fester an sich. »Irgendwann einmal«, sagte er. »Es ist meine Natur, Ayla. Nur so kann ich glücklich werden.«

»Und das sollst du auch», räumte Ayla ein. Plötzlich lächelte sie wieder. »Aber noch ist es nicht so weit.«

»Ja«, bestätigte Torian. Er küßte Ayla, sanft und zärtlich, aber sehr lange, und für einen ganz kurzen Moment spürte er wieder dieses Gefühl von Geborgenheit und Wärme, das sie ihm vom allerersten Moment an vermittelt hatte und das nicht weniger geworden war, in all den Jahrhunderten, die seither vergangen waren. Er lächelte, als er sich von Ayla löste und sie ansah, und er lächelte erneut, als er an die unbekannte Welt dachte, die hinter den Bergen im Westen lag und nur darauf wartete, von Garth und ihm erobert und von Shyleen beherrscht zu werden.