Sie gingen die Treppe hinab. Torian warf automatisch einen Blick auf den reglosen Krieger, der noch immer in einer Ecke des Raumes lag. Garth und er hatten ihn sicherheitshalber gefesselt; aber er hatte bisher das Bewußtsein noch nicht zurückerlangt. Torian hoffte, daß er nicht zu fest zugeschlagen hatte. Wenn sie den Beherrschern dieser Festung in die Hände fielen, war es nicht gerade von Vorteil, sich in Gesellschaft eines erschlagenen Kriegers zu befinden... Torian dachte flüchtig an den ersten Mann, der ihn angegriffen hatte, aber wie die Male zuvor entglitt ihm der Gedanke sofort wieder, und zurück blieb nur ein Gefühl von vager Verwunderung. Als er die Treppe hinter sich hatte und stehenblieb, um auf Garth zu warten, war selbst dies verschwunden.
Der Dieb langte schweratmend neben ihm an und verharrte einen Moment, um Atem zu schöpfen.
»Warum bleibst du nicht hier und ruhst dich aus?« fragte Torian. »Ich hole dich, wenn ich etwas Interessantes gefunden habe.«
Garth schüttelte den Kopf. »Kommt nicht in Frage. Damit du allein verschwinden und mich hierlassen kannst, wie?«
Torian grinste, drehte sich um – und erstarrte.
Die Tür, die am Ende des kurzen Ganges auf den Festungshof hinausführte, war lautlos aufgegangen, und unter der Öffnung erschien die Silhouette eines breitschultrigen, in schwarzes Eisen gepanzerten Kriegers. Hinter ihm bewegten sich andere Schatten. Wie Torian war der Mann mitten im Schritt stehengeblieben und glotzte die beiden Endringlinge aus ungläubig geweiteten Augen an. Torian überwand seine Überraschung einen Sekundenbruchteil schneller als der andere. Mit einem gellenden Schrei sprang er vor, riß seine Waffe aus dem Gürtel und schlug mit aller Kraft zu. Die Schwertklinge traf mit der Breitseite auf den schwarzen Brustpanzer des Soldaten, schleuderte ihn zurück und ließ ihn gegen die hinter ihm stehenden Krieger taumeln.
Torian stürmte aus der Tür, noch bevor die Männer vollends zu Boden gegangen waren. Für einen Moment handelte er nicht mehr bewußt, sondern überließ sich ganz seinen Reflexen und den schon fast instinktiven Bewegungen, die er sich in einem langen Leben als Söldner antrainiert hatte. Es waren vier oder fünf- genau war das in dem Knäuel aus schwarzem Metall und durcheinanderwirbelnden Gliedern, in das sich die Soldaten verwandelt hatten, nicht zu erkennen –, und es schien, als hätten sie Glück im Unglück: Mit Ausnahme der Krieger, die sein überraschender Angriff zu Boden geworfen hatte, war der Hof leer. Torian setzte mit einem raschen Sprung über einen der Männer hinweg, drehte sich noch in der Luft und schlug ihm die flache Seite der Schwertklinge vor die Stirn. Der Mann verdrehte die Augen und lag dann still.
»Garth! Komm heraus, verdammt!« Er sprang zurück, suchte mit gespreizten Beinen nach festem Stand und trat nach einer Hand, die sich um sein Fußgelenk klammern wollte. Der Vorteil, den Garth und er hatten, würde nur wenige Sekunden anhalten. Er hatte nur einen der Krieger wirklich ausgeschaltet; die vier anderen kamen bereits wieder hoch, zogen ihre Waffen und begannen, ihn einzukreisen. Torian zerbiß einen Fluch auf den Lippen. Die Schwarzgekleideten waren geübte Kämpfer, keine Paradesoldaten, wie er nach der ersten Begegnung oben im Turm halbwegs angenommen hatte. Allein die Art, in der sie ihre Waffen hielten und sich mit raschen, geübten Bewegungen um ihn verteilten, verriet ihm, daß er es hier mit durchaus gleichwertigen Gegnern zu tun hatte.
»Gib auf!« befahl einer der Maskierten. Torian lachte, täuschte einen geraden Stich nach seinem Kopf an und wirbelte mitten in der Bewegung herum, um nach dem Krieger hinter sich zu treten. Sein Fuß traf das Knie des Mannes und brachte ihn aus dem Gleichgewicht; der Soldat fiel, versuchte aber nicht, seinen Sturz abzufangen, sondern wandelte die Bewegung im Gegenteil in eine blitzschnelle Rolle um, die ihn aus Torians Reichweite brachte. Gleichzeitig griffen die beiden anderen an. Torian sprang verzweifelt zur Seite, gewahrte eine Bewegung aus den Augenwinkeln und ließ sich fallen. Ein Schwert zischte einen Finger breit über seinem Kopf durch die Luft und trennte den Federbusch von seinem Helm. Er fiel, rollte sich auf den Rücken und trat nach den Füßen des Kriegers. Er traf nicht, aber der Mann sprang zurück, und Torian hatte für einen Sekundenbruchteil Luft. Mit einem federnden Satz kam er wieder auf die Füße, packte sein Schwert mit beiden Händen und schlug ungezielt um sich. Er hatte auf diese Weise kaum eine Chance, wirklich einen Treffer anzubringen, aber seine ungestümen Hiebe trieben die vier Schwarzgekleideten zurück und hinderten sie, ihn gleichzeitig und von verschiedenen Seiten anzugreifen.
Endlich tauchte auch Garth auf. Der Dieb hatte sein Schwert gezogen und brüllte aus Leibeskräften, aber Torian sah, daß er sich nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte und kaum noch die Kraft hatte, das wuchtige Breitschwert zu schwingen. Einer seiner vier Gegner wirbelte herum, sprang Garth entgegen und trieb ihn mit ein paar blitzschnellen, wuchtigen Schlägen vor sich her.
Torian fluchte ungehemmt, blockte einen Schlag ab, der ihm glatt den Kopf von den Schultern getrennt hätte, und versetzte dem Soldaten einen Hieb mit der bloßen Faust, der ihn benommen zurücktaumeln ließ. Sofort griff ihn einer der beiden anderen Krieger an, aber diesmal verzichtete Torian darauf, den Schwertstreich abzuwehren. Statt dessen drehte er im letzten Moment den Oberkörper zur Seite und nahm bewußt in Kauf, daß die Klinge des anderen schmerzhaft über seine Rippen schrammte. Sie vermochte seinen Brustharnisch nicht zu durchdringen, aber allein die Kraft, mit welcher der Stich geführt gewesen war, trieb ihm die Luft aus den Lungen und die Tränen in die Augen.
Trotzdem reagierte er mit fast übermenschlicher Schnelligkeit. Sein Schwert traf die Waffenhand des anderen, zerschnitt den Handschuh und riß eine tiefe, blutende Wunde in seinen Handrücken. Der Mann schrie auf, ließ seine Waffe fallen und brach mit einem schmerzerfüllten Wimmern in die Knie.
Jeder andere hätte sich jetzt zu den beiden verbleibenden Kriegern umgewandt. Torian nicht. Mit einem entschlossenen Tritt schleuderte er den Mann vollends zu Boden, setzte über ihn hinweg und war mit zwei Schritten bei Garth.
Seine Hilfe kam um keinen Augenblick zu spät. Der Dieb war am Ende seiner Kräfte und kein ernstzunehmender Gegner mehr für den Krieger, der sich ihm entgegengeworfen hatte. Auf seinem geschundenen Gesicht schimmerte eine neue, gezackte Wunde, und die Hiebe, mit denen er die seines Gegners abwehrte, wurden zusehends schwächer.
Torian warf sich mit einem gellenden Schrei zwischen ihn und den Schwarzgekleideten, stieß Garth grob zurück und fing die Klinge des Kriegers noch in der Aufwärtsbewegung ab. Sein Schwert zuckte in einer komplizierten Kreisbewegung um das des anderen herum, riß seinen Arm bis über das Ellbogengelenk auf und traf krachend auf seinen Brustpanzer. Der Mann kippte lautlos zur Seite und rührte sich nicht mehr.
Aber schon waren die beiden anderen da. Und sie hatten aus der Art, in der Torian mit zwei von ihnen fertig geworden war, gelernt. Statt weiter abwechselnd auf ihn einzudringen, blieben sie außer Reichweite seiner Klinge, täuschten immer wieder Angriffe an und zogen sich blitzschnell zurück, wenn er versuchte, zu kontern. Allmählich bildete sich eine Art Rhythmus heraus – einer der Männer griff jeweils an, wenn er versuchte, den anderen zurückzutreiben, so daß er seinen Gegenangriff abbrechen und sich dem anderen Krieger zuwenden mußte, was wiederum dem ersten Gelegenheit gab, ihm in den Rücken zu fallen. Und langsam, ganz langsam, wurde der Takt dieses bizarren, tödlichen Tanzes schneller.
Torians Gedanken überschlugen sich. Er kannte diese Art zu kämpfen gut; nur zu gut. Und er wußte, daß er ihr nicht lange standhalten würde. Die Männer hatten begriffen, daß er ihnen überlegen war, und taten das einzig Richtige – sie versuchten, ihn zu zermürben.
Verzweifelt sah er über die Schulter zu Garth zurück. Aber der Dieb war an der Wand zu Boden gesunken und hockte vornübergebeugt auf den Knien, offensichtlich darum bemüht, nicht das Bewußtsein zu verlieren.