»Ich... verstehe nicht«, murmelte Torian. »Was meinst... was meint Ihr?«
Diesmal sah er den Schlag kommen, aber der Schmerz war fast noch schlimmer als beim ersten Mal. Worn schüttelte mißbilligend den Kopf. Seine Augen wurden schmal.
»Sei vernünftig, Torian«, sagte er. »Ich will dich nicht anlügen – du und dein Freund, ihr werdet so oder so sterben, aber es liegt in eurer Hand, ob es ein rascher und schmerzloser Tod sein wird oder nicht.«
»Das ist... sehr großzügig«, krächzte Torian. »Aber ich fürchte, ich... kann Euch Eure Fragen nicht beantworten. Ich... habe keine Ahnung, was das für ein Heer ist, das vor Eurer Stadt liegt. Ich... weiß nicht einmal, was ein Garianer ist.«
Worn seufzte. »Du beleidigst mich, Torian«, beschuldigte er ihn. »Selbst meine größten Feinde halten mich nicht für einen Dummkopf. Euer Heer sammelt sich seit Wochen auf der Ebene, und wir haben bisher über hundert von euch bei dem Versuch getötet, sich heimlich in die Stadt zu schleichen. Und du willst mir einreden, daß es ein reiner Zufall ist, wenn zwei Fremde ausgerechnet am Tage des Angriffes in der Inneren Festung auftauchen?«
»Warum fragt Ihr überhaupt, wenn Ihr ohnehin glaubt, alles zu wissen?«
Worn lächelte, aber sein Blick verlor nichts von seiner Härte. »Es interessiert mich nicht, wer ihr seid«, antwortete er. »Es interessiert mich noch nicht einmal, warum ihr hier seid, Torian. Alles, was ich wissen möchte, ist, wie ihr es geschafft habt, in die Innere Festung einzudringen.«
»Das möchte ich auch gern wissen«, murmelte Torian.
Der Hieb raubte ihm beinahe das Bewußtsein. In seinem Mund war Blut, und als er nach Sekunden die Lider wieder hob, war sein linkes Auge für einen Moment blind.
»Sei kein Narr, Torian«, fuhr Worn ungerührt fort. »Du redest sowieso – entweder jetzt oder nachher bei der Folter. Rechne nicht damit, daß dich deine Kameraden befreien. Selbst wenn es ihnen gelingen sollte, die Mauern zu stürmen, brauchen sie Tage dazu, wenn nicht Wochen. Eine lange Zeit, um zu sterben.«
Torian schluckte. »Aber ich... weiß es nicht«, keuchte er verzweifelt. »Ich schwöre es Euch, Worn! Ich weiß nichts von Eurem Krieg und schon gar nichts von dem Heer, von dem Ihr sprecht.«
Worn seufzte resignierend, und Torian fuhr hastig fort: »Garth und ich sind... wir sind gegen unseren Willen hier. Wir... wir wollten die Wüste durchqueren, und... es muß Zauberei im Spiel gewesen sein, oder ein Fluch...« Er brach ab, als er sah, wie sich der Ausdruck auf Worns Zügen verfinsterte. Sein Blick suchte den graugekleideten Alten, der auf der anderen Seite des Gitters stehengeblieben war, und für einen Moment glaubte er ein spöttisches Glitzern in dessen Augen wahrzunehmen.
»Es tut mir leid, Torian«, sagte Worn leise. »Glaube mir – ich quäle niemanden gern, aber du läßt mir keine andere Wahl. Du wirst bei der Folter reden oder sterben. Aber es wird ein sehr, sehr langsamer Tod sein.«
»Aber ich weiß nichts!« schrie Torian. Verzweifelt bäumte er sich auf, aber die fingerdicken Ketten, mit denen er gebunden war, machten jede größere Bewegung unmöglich. »Glaubt mir doch! Wir suchten in den Ruinen Schutz vor der Sonne, und...«
. »Das reicht«, unterbrach ihn Worn. »Ich gebe dir eine Stunde, deine Meinung zu ändern. Redest du dann nicht, übergebe ich dich unserem Foltermeister.« Er fuhr herum, verließ ohne ein weiteres Wort die Zelle und verschwand mit weit ausgreifenden Schritten. Mit Ausnahme eines einzelnen Mannes folgten ihm sämtliche Krieger.
Torian starrte ihm verzweifelt nach. Er wußte, daß Worn ihm nicht glaubte – ihm gar nicht glauben konnte, so wie die Dinge standen –, und gerade dieses Wissen steigerte seine Verzweiflung noch. Er selbst hätte an Worns Stelle kaum anders gehandelt.
»Du bist ein Narr, Garianer«, wandte sich der zurückgebliebene Krieger an ihn. Er hatte seinen Helm abgesetzt und neben sich auf den Boden gelegt, und auf seinen Zügen lag ein fast mitfühlender Ausdruck. Er war sehr jung, fast noch ein Knabe. Aber der Mann, den er in der Turmruine getötet hatte, war auch nicht viel älter gewesen, erinnerte sich Torian. »Wißt ihr so wenig über General Worn, daß du seine Drohung nicht ernst nimmst?« Er lachte. »Er ist kein grausamer Mann, aber er wird dich in Fetzen schneiden lassen, wenn du nicht redest – bei lebendigem Leibe. Glaubst du wirklich, die garianische Union wäre das wert?«
»Nein«, antwortete Torian schleppend. »Weil ich nicht weiß, was die garianische Union ist.«
Der Mann seufzte. »Wie du willst. Ich bin sicher, es wird dir einfallen, wenn du auf der Folterbank liegst.«
»Warum hältst du nicht endlich die Schnauze und gehst deinem General nach, um ihm die Stiefel zu lecken?« fragte Garth halblaut.
Der Soldat erbleichte. Ein keuchender, halberstickter Laut entrang sich seinen Lippen, während er sich langsam herumdrehte und Garth anstarrte. »Du...«
»Hör lieber auf zu reden und verschwinde«, forderte Garth ihn in fast freundlichem Ton auf. Sein Gesicht war noch immer grau vor Schmerz und Schwäche, aber seine Augen waren wieder klar. »Oder dreh dich wenigstens aus dem Wind. Du stinkst wie die Pest. Wascht ihr euch eigentlich nie?«
»Noch ein Wort, und...«
»Und?« fragte Garth freundlich. »Gehst du dann zu deinem General und küßt ihm den Hintern sauber, während du dich über mich beschwerst?«
Zwei, drei Sekunden starrte der Krieger Garth wortlos an. Dann riß er mit einem wütenden Schrei die Zellentür auf, war mit einem einzigen gewaltigen Schritt bei ihm und schlug ihm mit aller Kraft ins Gesicht. Sein metallbesetzter Handschuh riß Garth die Wange auf und hinterließ einen neuen, blutenden Kratzer. Garth stöhnte, drehte den Kopf zur Seite und spuckte den Krieger an.
Der Mann begann fast hysterisch zu schreien. Seine Fäuste trafen Garth mit gnadenloser Kraft an Kopf und Brust, immer und immer wieder. Garth bäumte sich auf und versuchte das Gesicht wegzudrehen, um den unbarmherzig auf ihn niederprasselnden Schlägen zu entgehen, aber seine verzweifelten Bewegungen schienen die Wut des anderen nur noch zu steigern.
Vielleicht hätte er ihn totgeschlagen, würde ihn nicht in diesem Moment eine scharfe Stimme aus dem Gang zurückgerufen haben. »Lodar! Was geht da vor?«
Der Krieger ließ die Fäuste sinken, fuhr mit einem wütenden Knurren herum und funkelte den Neuankömmling herausfordernd an.
»Was geht das dich an?« zischte er. »Der Kerl hat mich herausgefordert, also misch dich nicht ein und verschwinde, Gemered!«
»Es wäre aber besser, wenn du aufhörst«, erwiderte der andere ungerührt. »Oder möchtest du statt seiner auf der Folterbank liegen, wenn du ihn versehentlich totschlägst?«
Lodar zuckte sichtlich zusammen. »Einen solchen Riesen schlägt man nicht aus Versehen tot«, erklärte er trotzig. Aber der erschrockene Ausdruck in seinen Augen blieb. Einen Moment lang starrte er Garth noch haßerfüllt an, dann wandte er sich mit einem Ruck um, stapfte aus der Zelle und warf die Tür wütend hinter sich ins Schloß. »Komm mit«, fuhr der andere fort, nachdem Lodar seinen Helm aufgenommen und wieder übergestülpt hatte.
Lodar grunzte ärgerlich. »Ich muß hierbleiben«, schnappte er. »Befehl vom General.«
»Der schickt mich ja gerade«, seufzte sein Kamerad. »Die beiden werden kaum ihre Ketten durchreißen und das Gitter verbiegen. Wir brauchen jeden Mann oben auf der Mauer. Es geht los.«
»Sie... greifen an?« Die Furcht in Lodars Stimme war unüberhörbar.
»Ja. Ihre Reiterei ist in spätestens einer Stunde hier. Komm.«