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Garth taumelte, als Torian ihn in Richtung Tür schob.

»Warum... läßt du mich nicht hier, Torian?« fragte er mühsam. »Ich... schaffe es nicht. Ich bin nur eine Last für dich.«

»Red keinen Unsinn«, schnappte Torian grob.

»Ich meine es ernst«, beharrte Garth. »Allein hättest du vielleicht eine Chance. Mit mir zusammen...«

»Wir sind zu zweit hierhergekommen, und wir werden zu zweit gehen«, unterbrach ihn Torian. »Oder ga. nicht.«

»Gehen?« Garth versuchte zu lachen, aber es mißlang kläglich. »Wohin denn?«

Statt einer Antwort drehte sich Torian herum, öffnete die Tür und versetzte Garth einen Stoß, der ihn auf die Straße taumeln ließ. Über der Stadt lag Angst wie eine unsichtbare, erstickende Wolke. Die Straße war von Hunderten von Menschen bevölkert, Männern und Frauen, deren Gesichter gezeichnet waren von Furcht; Verzweiflung, die mit Hoffnungslosigkeit gepaart war. Einen Moment lang fragte sich Torian, wohin sie wollten – Rador war belagert, und es gab keinen Ort, an den sie hätten fliehen können. Aber er begriff auch, was sie aus ihren Häusern getrieben hatte. Er hatte die schleichende Furcht, welche die Moral einer belagerten Stadt zermürbte, mehr als einmal selbst kennengelernt.

Eine Weile ließen sie sich einfach von der Menge mittreiben, ohne eine bestimmte Richtung einzuhalten oder ein Ziel zu haben. Dann erreichten sie eine Stelle, an der die Häuser etwas weniger hoch waren als normal, und Garth deutete stumm auf den schwarzen, sechseckigen Schatten, der sich über das Zentrum der Stadt erhob wie ein finsteres Fanal.

Garth blieb stehen: »Dorthin zurück?« fragte er. Ein Mann stieß ihn von hinten an, Garth taumelte, schluckte im letzten Moment einen Schmerzlaut herunter und senkte hastig den Blick, als der Mann eine Entschuldigung murmelte.

Torian sah sich unschlüssig um. Natürlich war Garth’ Frage nicht ernst gemeint; die Innere Festung wäre wohl der letzte Ort, an den er freiwillig zurückkehren würde. Es gefiel ihm schon nicht, daß sie sich so nahe an dem schwarzen Bollwerk aufhielten. Worns Soldaten würden sie suchen, und je weiter sie sich der Inneren Festung näherten, desto größer wurde die Gefahr, daß sie schon durch einen reinen Zufall entdeckt wurden.

Als wären seine Gedanken ein Stichwort gewesen, entstand plötzlich am unteren Ende der Gasse lautstarke Unruhe. Ein paar Männer begannen zu schreien, eine Peitsche knallte, und ein Pferd wieherte nervös. Über den Köpfen der Menge erschienen die schwarzen, stachelbewehrten Helme von Soldaten. Wieder knallte die Peitsche, und diesmal erscholl wie ein bizarres Echo ein gellender Schmerzensschrei.

»Verdammt, was ist da vorne los?« murmelte Garth.

»Sie... sperren die Straße«, antwortete Torian. Er konnte nicht genau erkennen, was sich vor ihnen abspielte – die Straße war nicht sehr breit, aber sie war nahezu überfüllt von Menschen, und jetzt, als der Weg mit einem Male blockiert war, begann sich die Menge rasch zu stauen. Noch ein paar Augenblicke, dachte er erschrocken, und sie würden in der Menschenmasse eingekeilt sein und sich weder vor- noch zurückbewegen können.

»Laß uns hier verschwinden«, riet er. »Die Sache gefällt mir nicht.«

Garth grunzte eine Antwort, die er nicht verstand, drehte sich herum – und erstarrte.

Auch der Rückweg war ihnen verwehrt. Am hinteren Ende der Gasse war eine zweite Gruppe schwarzgekleideter Reiter aufgetaucht; ein gutes Dutzend großer, mit Schilden, Schwertern und langen, mit sichelförmigen Spitzen versehenen Spießen bewaffneter Männer, die rasch und routiniert die Gasse absperrten.

»Verdammt!« keuchte Garth. »Das gilt uns, Torian!«

Torian nickte. Man mußte nicht gerade Hellseher sein, um zu erkennen, daß Garth’ Vermutung zutraf. General Worn hatte noch schneller reagiert, als er befürchtet hatte. Und umfassender. Torians Gedanken überschlugen sich. Für einen kurzen Moment drohte ihn Panik zu übermannen, und für die gleiche Zeitspanne mußte er mit aller Macht den Impuls niederkämpfen, einfach herumzufahren und loszurennen, um sich den Weg freizukämpfen.

»Wahrscheinlich durchsuchen sie die ganze Stadt«, flüsterte er. »Dieser Worn scheint mehr Angst vor uns zu haben, als ich dachte.«

Er sah sich um. Die Menge begann unruhig zu werden, hin und her zu wogen wie eine lebendige Woge aus Fleisch und buntem Stoff, und vor den beiden plötzlich aufgetauchten Sperren begann immer wieder Tumult loszubrechen. Noch nahm niemand Notiz von ihnen.

Aber Torian sah auch, wie die Reiter damit anfingen, die Männer einen nach dem anderen in Augenschein zu nehmen. Sie würden jeden einzelnen auf dieser Straße kontrollieren, ganz egal, wie lange es dauerte. Und wahrscheinlich spielten sich jetzt überall in der Stadt ähnliche Szenen ab.

Torians Hand kroch zum Gürtel. Aber das Schwert, das sie suchte, war nicht da.

»Sieht so aus, als hätten sie uns«, murmelte Garth. Seine Stimme klang ganz ruhig, beinahe unbeteiligt, aber als Torian den Blick wandte, sah er, daß sein Gesicht grau vor Schrecken – und wohl auch Schmerz – war.

Torian nickte abgehackt. Ihre Lage schien wirklich aussichtslos. Selbst wenn sie Waffen gehabt hätten und Garth nicht verwundet gewesen wäre, hätte es für sie keine Chance gegen ein Dutzend Bewaffnete gegeben.

Jemand berührte ihn am Ellbogen. Torian fuhr zusammen, wirbelte herum und spannte sich, instinktiv darauf gefaßt, in eine schwarze Metallmaske zu blicken.

Aber hinter ihm stand keiner von Worns Häschern, sondern ein Mädchen. Es war in der typischen Art der Rador-Bewohner gekleidet – einen langen, schreiend bunten Rock, dazu eine Bluse in der unpassendsten Farbe, die sich Torian vorstellen konnte, und ein Kopftuch, das kunstvoll zu eine Art Turban gewickelt war und tief bis in ihre Stirn reichte. Sein Gesicht war schmal und blaß und in den Augen schimmerte eine Mischung aus Furcht, Verzweiflung und einer sonderbaren Art von Hoffnung, die sich Torian nicht erklären konnte.

»Kmels?« fragte das Mädchen. »Wokosh fe kmels?« Seine Stimme klang holprig und mühsam, als versuche es, in einer Sprache zu reden, die seiner Zunge fremd war.

Torian sah das junge Ding fragend an und lächelte, so freundlich, wie es ihm im Moment möglich war. Der Reaktion auf dem Gesicht des Mädchens nach zu schließen, gelang es ihm nicht sonderlich gut. »Es... tut mir leid«, sagte er stockend. »Aber ich verstehe dich nicht.«

Ein gleichermaßen erschrockener wie befreiter Ausdruck huschte über die Züge des Mädchens. »Oh«, meinte es. »Ihr sprecht unsere Sprache. Das ist gut.«

Torian blinzelte. »Warum sollten wir sie nicht sprechen?« fragte er, nach einem raschen Seitenblick zu Garth. »Wir...«

»Ihr seid die beiden, die sie suchen, nicht?« unterbrach ihn das Mädchen. Es lächelte – ein flüchtiges, gezwungenes Lächeln, das seine Furcht mehr verdeutlichte als alles andere –, sah sich mit einem gehetzten Blick nach beiden Seiten um und fuhr, leiser und in einem Verschwörerton, der unter anderen Umständen lächerlich gewirkt hätte, fort: »Ihr braucht keine Angst zu haben. Mein Name ist Yora, und ich stehe auf eurer Seite. Ich... ich helfe euch, wenn ihr mir helft.«

»Ich verstehe nicht, wovon du redest, Yora«, erwiderte Torian. »Wir...«

»Bitte!« unterbrach ihn Yora. »Uns bleibt nicht viel Zeit. Sie kontrollieren jeden, überall in der Stadt.« Wieder blickte sie gehetzt die Straße hinab. Der Tumult, der für einen Moment losgebrochen war, hatte sich gelegt und die Männer und Frauen begannen, langsam, und in geordneten Zweierreihen, durch die Lücke zu gehen, welche die Krieger für sie freiließen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis auch Garth und Torian an der Reihe waren.

»Gut«, sagte er entschlossen. »Bring uns hier raus, und wir werden uns anhören, was du willst.«