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Garths Zustand begann ihm immer mehr Sorgen zu bereiten. Der Dieb schwieg beharrlich, aber Torian merkte sehr wohl, daß seine Schritte immer schleppender wurden, und sein Schweigen war von einer verbissenen, erzwungenen Art. Er stieß immer wieder gegen Hindernisse, und einmal verlor er auf dem glitschigen Untergrund den Halt und stürzte und hatte nicht mehr die Kraft, aufzustehen, so daß Torian ihm helfen mußte.

Endlich, nach einer Ewigkeit, wie es Torian vorkam, blieb Yora stehen. Der Stollen machte vor ihnen einen scharfen Knick und führte im rechten Winkel zu ihrem bisherigen Weg weiter, aber in der Stirnwand war ein Loch, gezackt und mit roher Gewalt aus dem Ziegelwerk gebrochen wie das, durch welches sie das unterirdische Labyrinth der Kanalisation betreten hatten, aber größer. Dahinter lag ein rechteckiger Raum mit gewölbter Decke, der vom flackernden Licht eines halben Dutzends blakender Pechfackeln erhellt wurde. Er war leer, aber auf dem Boden lagen Decken und Stoffetzen, und in einer Ecke war aus alten Kisten ein primitiver Tisch gezimmert worden. So, wie das Gewölbe aussah, mußte es schon seit langer Zeit als geheimer Treffpunkt dienen.

Yora machte eine einladende Geste zu den Lumpenbündeln, rang sich ein Lächeln ab und löste eine der Fackeln aus den Wandhaltern. »Wartet hier«, sagte sie. »Ich gehe und hole Gwayroth und die anderen. Es wird nicht lange dauern.«

Sie ging. Garth wollte eine Frage stellen, aber wieder hielt ihn Torian mit einem raschen, mahnenden Blick zurück und ließ sich erschöpft auf eines der Lumpenbündel sinken. Garth hockte sich neben ihn, lehnte den Kopf gegen die feuchte Wand in seinem Rücken und schloß mit einem sonderbar klingenden Laut die Augen. Torian betrachtete ihn besorgt. Das Gesicht des Diebes war grau, und die Ringe unter seinen Augen sahen in der schummerigen Beleuchtung schwarz und wie mit Tusche gemalt aus. Torian war sicher, daß er Fieber hatte.

»Hältst du noch durch?« fragte er leise.

Garth versuchte zu sprechen, aber seine Lippen waren vom Fieber rissig und taub, und zuerst brachte er nur ein unverständliches Würgen zustande. Torian stand auf, ging zu dem improvisierten Tisch hinüber und überprüfte die Krüge und Beutel, die sich darauf stapelten. In einem fand er einen Rest zwar abgestandenen, aber sauberen Wassers und brachte es Garth. Der Dieb trank gierig, reichte ihm den Krug zurück und nickte dankbar.

»Ich denke schon«, antwortete er mit einiger Verspätung auf Torians Frage. »Ich habe schon Schlimmeres überlebt.« Der Blick seiner Augen war vom Fieber getrübt, und seine Stimme klang in dem hohen, von gespenstischen Echos erfüllten Gewölbe fremd und mißtönend.

»Aber du mußt sie nicht mehr alle beisammen haben, wie?« fuhr er fort. »Was denkst du, kannst du diesen Leuten erzählen? Es dauert keine Stunde, und sie merken, daß wir so wenig mit diesen Garianern zu tun haben wie sie.«

»Vielleicht«, antwortete Torian. »Aber immerhin sind wir hier in Sicherheit, wenigstens vorerst. Wenn wir uns in der Stadt sehen lassen, dann haben uns Worns Häscher, ehe wir auch nur Zeit finden, unseren Namen auszusprechen.«

Garth grinste verzerrt. »Dieser Worn scheint verdammt Respekt vor den Garianern zu haben, wenn er seine halbe Armee aufbietet, um uns zwei zu fassen.«

»Es muß irgend etwas mit der Inneren Festung zu tun haben«, vermutete Torian. »Ich glaube nicht, daß er uns für normale Spione hält. Aber er scheint panische Angst zu haben, daß irgend jemand den Weg in diese Festung findet.« Er seufzte. »Vielleicht ist der ganze Spuk in ein paar Stunden vorbei.«

»So?« Garth runzelte zweifelnd die Stirn. Torian sah erst jetzt, wie zerschlagen und geschwollen sein Gesicht war. Er hatte einen hohen Preis für den Schlüssel gezahlt, mit dem er ihre Ketten geöffnet hatte. »Und was willst du Yora und diesem Gwayroth erzählen, wenn sie kommen? Verdammt, was wollen sie überhaupt von uns?«

»Einen Handel mit euch machen, Garianer«, ließ sich eine harte Stimme vernehmen.

Torian fuhr erschrocken herum. Sie waren nicht mehr allein. Yora war zurückgekommen, und in ihrer Begleitung befand sich ein vielleicht fünfzig Jahre alter, grauhaariger Mann von hünenhaftem Wuchs. Sein rechter Arm war verkrüppelt, und wo das rechte Auge sein sollte, schimmerte eine Halbkugel aus mattsilbernem Metall in der leeren Höhle. Sein Gesicht war zerfurcht, als hätte jemand versucht, es aufzuhacken. Das mußte Gwayroth sein. Einen kurzen Moment lang überlegte Torian erschrocken, wie lange er schon unbemerkt hinter ihnen stand und sie belauschte. Aber schon Gwayroths nächste Worte zerstreuten seine Befürchtung.

»Ich bin Gwayroth«, stellte er sich vor. »Yora wird euch von mir erzählt haben. Und ich will euch gleich zu Anfang noch etwas sagen – ich bin es gewohnt, meine Gedanken offen auszusprechen, und ich mag es nicht, wenn erwachsene Menschen alberne Spielchen spielen und sich gegenseitig für dumm verkaufen wollen.«

»Und?« fragte Torian lauernd.

Gwayroth machte eine unwillige Bewegung mit der gesunden Linken und kam näher. »Ihr seid die garianischen Spione, die aus Worns Kerker entkommen sind«, behauptete er. »Ich weiß, daß es so ist, und ihr wißt, daß es so ist, also warum kommen wir nicht gleich zur Sache? Wir sind zwar Feinde, aber wir haben gemeinsame Interessen.«

Torian antwortete noch immer nicht. Gwayroth gefiel ihm nicht. Er begriff, warum er tat, was er tat, aber er mißbilligte die kalte, gefühllose Art, in der Gwayroth redete. Es war eine Sache, sich mit dem Feind zusammenzutun, um das nackte Leben zu retten, die er verstand und akzeptierte, auch wenn er sie nicht billigte. Aber Gwayroth sprach mit einer Selbstverständlichkeit über sein Vorhaben, die Torian frösteln ließ. Er kannte Männer wie Gwayroth;

Männer ohne Gewissen und Gefühle, Männer, deren Denken und Handeln einzig von Logik beherrscht wurde und für die Worte wie Freundschaft oder Treue nichts bedeuteten. Er hatte sie oft getroffen, und selten waren es angenehme Bekanntschaften gewesen. »Welche gemeinsamen Interessen sollen das sein?« fragte er schließlich.

In Gwayroths einzigem Auge blitzte es auf. »Spielt nicht mit mir, Garianer«, zischte er, »oder ihr findet euch schneller in Worns Kerker wieder, als euch lieb ist.« Er starrte Torian und Garth eine Sekunde lang durchdringend an, dann verzog er die Lippen zu einem geringschätzigen Lächeln und schüttelte den Kopf. Torian widerstand nur mit Mühe der Versuchung, aufzustehen und ihm die Faust in sein narbenzerfurchtes Gesicht zu schlagen.

»Ihr wollt zurück zu euren Leuten«, fuhr er fort. »Und wir wollen aus der Stadt heraus, ehe euer Heer die Mauern stürmt.«

»Und wir sollen euch dabei helfen«, vermutete Torian.

»So, wie wir euch helfen«, versetzte Gwayroth. »Ich bringe euch nicht hier heraus, weil ihr so nette Gesichter habt, Garianer. Ich verlange etwas dafür. Ihr wollt aus der Stadt, und wir wissen den Weg. Worn hat sämtliche Ausgänge besetzen lassen, aber es gibt einen uralten geheimen Gang, von dem niemand mehr weiß. Niemand außer mir.«

Garth sah ihn mißtrauisch an. »Wozu braucht ihr uns, wenn ihr den Weg wißt?«

Gwayroth bedachte ihn mit einem Blick, als fühlte er sich von seiner Frage belästigt.

»Weil sie Angst vor den garianischen Truppen haben, Garth«, sagte Torian leise, ohne den Blick von Gwayroths Gesicht zu wenden. »Sie wissen zwar, wie sie aus der Stadt herauskommen, aber sie fürchten, gefangen und getötet zu werden. Ist es nicht so, Gwayroth?«

Gwayroth starrte ihn an, preßte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und nickte widerwillig. »So ist es«, bekannte er. »Wir kennen den Weg hinaus, und wir wissen genügend Verstecke in den Bergen. Aber wir brauchen einen Führer. Jemanden, der uns durch die Reihen der Garianer bringen kann oder besser noch an ihnen vorbei.«

Torian schwieg eine Weile. Gwayroth war nicht halb so ruhig, wie er sich gab. Er ging ein gewaltiges Risiko ein, sich und diejenigen, für die er sprach, dem Gutdünken zweier Männer auszuliefern, die er nicht kannte, und er wußte es. Aber welche Wahl hatte er schon? Rador würde untergehen und in Schutt und Asche versinken, und man mußte kein Prophet ein, um das vorauszusehen. Torian hatte nur einen kurzen Blick auf die garianische Heeresmasse geworfen, aber schon dieser flüchtige Anblick des Heeres, das vor den Toren der Stadt lag und sich zum Angriff formierte, hatte ihn mit eisigem Schrecken erfüllt. Rador war eine gewaltige Festung, aber das Heer, das sie belagerte, mußte nicht nach Tausenden, sondern nach Hunderttausenden zählen...