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Torian duckte sich unter dem Hieb weg, ließ sie an sich vorüberstolpern und schlug ihr die flache Seite der Klinge gegen den Hinterkopf. Das Mädchen fiel mit einem seufzenden Laut zu Boden und blieb besinnungslos liegen.

»Raus hier!« keuchte Torian. Er packte Garth bei den Schultern, drehte ihn herum und gab ihm einen Stoß. Garth taumelte, griff mit einer schwachen, ziellos wirkenden Bewegung nach dem untersten der eisernen Ringe und versuchte, sich daran in die Höhe zu ziehen. »Verdammt, beeil dich!« ächzte Torian. »Sie sind völlig von Sinnen!«

Er fuhr herum, als er eine Bewegung hinter sich spürte, aber seine Reaktion kam um den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Ein Fausthieb traf seine Rechte und prellte ihm die Waffe aus der Hand, dann trieb ihm ein zweiter Schlag die Luft aus den Lungen; er krümmte sich, fiel auf die Knie und wurde gleich darauf gegen die Wand geschleudert, als ein Tritt sein Gesicht traf.

Für einen Moment drohte ihm der Schmerz die Besinnung zu rauben. Er stöhnte, rutschte langsam an der Wand herab zu Boden und hob schwächlich die Hände, um sein Gesicht zu schützen.

Ein Schatten wuchs hinter dem blutdurchtränkten Vorhang vor seinem Blick in die Höhe, dann hörte er einen dumpfen Schlag und gleich darauf einen zweiten, schwereren Aufprall. Mühsam blinzelte er den Schmerz weg, schüttelte ein paarmal den Kopf und versuchte aufzustehen.

Es war Garth, der ihn gerettet hatte. Für einen ganz kurzen Moment blitzte der alte Kampfgeist in den Augen des Diebes auf, als sich ihre Blicke begegneten, aber er verging, so schnell, wie er gekommen war, und Garths Züge erschlafften wieder; alles, was er darauf las, waren Schmerz und Erschöpfung.

»Ich... schaffe es... nicht, Torian«, stöhnte der Dieb. »Geh... allein.« Er taumelte, griff haltsuchend nach der Wand und begann in sich zusammenzusinken. Torian stützte ihn, aber Garth schien mit einem Male das Zehnfache zu wiegen; er spürte, wie seine Knie zu zittern begannen und der Dieb trotz seines Griffes langsam weiter zu Boden sank.

»Unsinn«, schrie er. »Du... du schaffst es. Komm. Halt dich... an mir fest...«

Mit aller Kraft, die ihm geblieben war, richtete er Garth auf, griff nach den eisernen Ringen vor sich in der Wand und begann sich Hand über Hand in die Höhe zu ziehen.

Er wußte nicht, wie er es schaffte. Seine Schultermuskeln explodierten in feurigem Schmerz, als er die Füße vom Boden löste und sich in die Höhe zog, und seine Hände schienen aus den Gelenken zu reißen, als Garth nach seinem Gürtel griff und sich daran festhielt. Er sah und hörte nicht mehr, was unter ihm vorging, gewahrte nichts mehr von seiner Umgebung, sondern spürte nur noch Schmerzen und Schwäche. Die ganze Zeit hämmerte immer wieder die unsichtbare Faust in seinem Schädel und flüsterte ihm ihr Töte! Töte! zu, sanft und gleichzeitig mit unwiderstehlicher Macht. Und die ganze Zeit sah er ein Gesicht vor sich. Ein schmales, grau gewordenes Gesicht mit messerscharf gezogenen Lippen und Augen, an denen Jahrhunderte vorübergezogen waren wie Tage und in denen der Haß loderte, Haß auf alles Lebende, Denkende, Fühlende...

Er merkte es nicht, in diesen Augenblicken, aber es war dieser Haß, der ihm die Kraft gab, sich immer weiter und weiter in die Höhe zu ziehen, seine Hand immer wieder von einem rostigen Eisenring zu lösen und nach dem nächsten zu greifen, seine steifen, verkrampften Muskeln zu zwingen, sich weiter emporzuhangeln, Handbreit um Handbreit, Ring um Ring, jeder Millimeter ein Jahr der Qual. Es war der Haß, die gleiche, monströse Kraft, die aus den Menschen unter ihnen reißende Bestien gemacht hatte, der ihn weitertrieb, und das Gesicht, das er sah, das ihn daran hinderte, einfach zu sterben.

Irgendwie schaffte er es, und irgendwie brachte er es auch fertig, den Schachtdeckel zu öffnen und sich über seinen Rand zu ziehen. Mit einem erschöpften, qualvollen Laut brach er am Rand des Einstiegs zusammen, wälzte sich mit dem letzten Rest seiner Kraft auf den Rücken und rang röchelnd nach Atem. Sein Herz hämmerte, und jeder einzelne Schlag pulsierte als stechender Schmerz bis in seine Finger- und Zehnspitzen, und als Garth neben ihm auf die Knie fiel und ihm die Hand auf die Schulter legte, hätte er am liebsten vor Schmerz geschrien.

»Wir müssen... weg hier«, keuchte er. Er versuchte aufzustehen, aber seine Arme und Beine gaben unter dem Gewicht seines Körpers nach; er fiel, blieb fast eine Minute reglos liegen und versuchte es noch einmal. Schwankend kam er auf die Füße taumelte gegen die Wand und wäre um ein Haar erneut gestürzt. Der winzige Raum begann sich vor seinen Augen zu drehen.

»Garth«, murmelte er. »Wir müssen... weg. Die Soldaten werden... gleich hier sein...«

Der Dieb hob müde den Kopf, versuchte etwas zu sagen und krümmte sich plötzlich, um sich würgend zu übergeben. Aus dem offenstehenden Schacht drangen Schreie und andere, schreckliche Geräusche.

»Woher... willst du das... wissen?«

Torian richtete sich zitternd an der Wand auf, torkelte zur Tür und entriegelte sie. »Komm«, sagte er, ohne auf Garth’ Frage zu antworten. »Wir müssen... weg!«

Garth lachte, schrill und hysterisch, begann plötzlich zu husten und krümmte sich erneut. »Weg?« preßte er hervor. »Verdammt, wohin denn, Torian?! Wir sind am Ende, begreifst du das nicht?« Er begann wieder zu lachen, gellend und mißtönend und ohne zu atmen.

Torian schüttelte in einem Anflug von fast kindlichem Trotz den Kopf, taumelte zu Garth zurück und versetzte ihm einen schallenden Schlag ins Gesicht. Garth keuchte vor Schmerz, aber er hörte auf zu lachen, und sein Blick wurde für einen Moment klar. »Wohin denn, Torian?« fragte er noch einmal, und diesmal war seine Stimme nicht mehr als ein heiseres Flüstern, in dem die Furcht mitschwang. »Wohin?«

»Dorthin, wo sie uns am wenigsten vermuten, Garth«, antwortete Torian ernst.

Garth erwiderte nichts mehr. Aber er brachte irgendwie die Kraft auf, sich auf die Füße zu erheben und neben Torian auf den Ausgang zuzuwanken.

Sie verließen das Haus, aber unter ihnen, tief unter der Erde, ging das Töten weiter.

Die Sonne ging auf, als sie sich dem Stadtzentrum näherten, und mit dem ersten grauen Schimmer der Dämmerung hatten die Schatten begonnen, in ihre Verstecke zurückzukriechen. Gleichzeitig erwachte die Stadt.

Es war wie am Tage zuvor: die Straßen Radors füllten sich allmählich, und dort, wo die Bevölkerung während der Nacht Schutz in Dunkelheit und Stille gefunden hatte, fand sie ihn nur in einer Menge, die von der Furcht aus ihren Häusern getrieben worden war.

Torian blinzelte gegen das blendende Licht der Sonne, die wie ein flammender gelber Ball über den Zinnen der Stadt erschienen war, unbeteiligt und grell, als wolle sie den Menschen in den Mauern Radors auf diese Weise demonstrieren, wie unwichtig sie waren, und wie wenig Unterschied es für den Fortbestand der Welt bedeutete, ob ihre Stadt unterging oder nicht.

Es war der letzte Tag der Stadt. Sie hatten sich die ganze Nacht über verborgen gehalten, fern von den Mauern und ihrem Herzen, wo die Gefahr bestand, einer Patrouille in die Arme zu laufen oder von einer Wache auf den Wehrgängen entdeckt zu werden, aber Torian wußte trotzdem, daß sich das Schicksal Radors heute entscheiden würde. Vielleicht würde sie dem Ansturm der Garianer noch einige Tage oder auch Wochen standhalten, aber die Entscheidung fiel heute. Er konnte das Heer hören: ein dumpfes, an- und abschwellendes Raunen und Wispern wie das Murmeln ferner Meeresbrandung, aber bedrohlicher und machtvoller.