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Aber es war zu spät für solche Überlegungen. Wenn er jetzt aus der Reihe ausscheren würde und wieder in die entgegengesetzte Richtung ginge, würde er mit Sicherheit die Aufmerksamkeit der Soldaten auf sich ziehen. Niemand springt freiwillig in einen Strudel, wenn ein Rettungsboot bereitsteht.

Seine Hand tastete nervös nach dem Griff des Schwertes, das er unter dem Rock zu verbergen pflegte, und für einen Moment kam ihm schmerzhaft zu Bewußtsein, wie verloren selbst ein Mann wie er ohne seine Waffen war. Nicht, daß ihm das Schwert viel genutzt hätte, wenn sie entdeckt wurden. In diesem Punkt gab sich Torian keinen falschen Hoffnungen hin – wenn sie den Schwarzgekleideten noch einmal in die Hände fielen, war es aus. Worn war kein Narr. Er hatte mit Sicherheit Befehl gegeben, die beiden Spione auf der Stelle zu töten.

Seine Hände wurden feucht, als er sich dem Tor näherte. Plötzlich fielen ihm tausend verschiedene Gründe ein, aus denen sein Plan einfach fehlschlagen mußte. Aber es war zu spät, zurückzugehen. Er versuchte, die Nervosität zu verscheuchen, straffte sich ein wenig und ging instinktiv schneller.

Torians Herz schien einen schmerzhaften Sprung zu machen, als er sah, wie ein Soldat einem Graugekleideten vor ihm den Weg vertrat und ihm mit freundlichen – aber sehr bestimmten – Gesten bedeutete, aus der Reihe herauszutreten und zurückzugehen. Der Mann begann, mit den Händen zu fuchteln und lautstark zu lamentieren. Zwei weitere Krieger eilten, von dem Lärm aufmerksam geworden, herbei, und auch einige der anderen Graugekleideten blieben stehen und ergriffen nun Partei für den ersten. Torian schickte ein Stoßgebet zu den Göttern (an die er nicht glaubte), senkte den Blick und ging mit weit ausgreifenden Schritten an der rasch größer werdenden Gruppe vorüber. Die Stimmen der Streitenden wurden lauter, und vor dem Tor begann sich ein regelrechter Menschenauflauf zu bilden. Weitere Wächter verließen ihre Plätze, um die Ansammlung auseinanderzutreiben.

Torian war in Schweiß gebadet, als er dicht hinter Garth durch das Tor trat. Es gab Passierscheine. Die meisten der Männer und Frauen neben ihnen hielten kleine, hellrote Zettel in den Händen. Aber die wenigen Wachen, die ihre Posten noch nicht verlassen hatten, waren offensichtlich nicht mehr in der Lage, mit dem Ansturm fertig zu werden. Garth und er wurden einfach durchgewinkt und erreichten unbehelligt den Innenhof. Torian atmete hörbar auf.

»Und jetzt?« flüsterte Garth neben ihm. Seine Stimme zitterte unmerklich.

Torian deutete auf den Turm. Rings um das schwarzbraune Bauwerk hatte sich eine dichte Menschentraube gebildet. Die wenigen Soldaten, die vor dem einzigen Eingang postiert waren, hatten kaum eine Chance, so etwas wie Ordnung in das herrschende Chaos zu bringen.

Langsam gingen sie weiter. Der Hof war überfüllt mit Menschen; weit mehr, dachte Torian, als der Turm aufnehmen konnte. Ein großer Teil derer, die Schutz hinter den Mauern der Inneren Festung gefunden hatten, würden unter freiem Himmel schlafen müssen.

Und überall waren Soldaten. Torian schätzte allein die Zahl derer, die auf den Wehrgängen patrouillierten, auf zweihundert. Und annähernd doppelt so viele bewegten sich einzeln oder in kleinen Gruppen zwischen den Flüchtlingen auf dem Hof.

Torians Blick tastete suchend durch die Menge. Seine Nervosität stieg, und langsam begann so etwas wie Panik in ihm aufzukeimen, eine Furcht ganz besonderer, schleichender Art, gegen die er machtlos war.

Vielleicht hatte er sich getäuscht. Vielleicht war der, den er suchte, nicht hier, oder – was schlimmer wäre – er war hier, aber er war nicht der, für den er ihn hielt.

Garth griff plötzlich nach seiner Schulter und drückte so heftig zu, daß Torian vor Schmerz zusammenzuckte. Er sah auf, hob den Arm, um Garth’ Hand abzuschütteln – und erstarrte.

Wenige Schritte vor ihnen stand eine hochgewachsene, ganz in schwarzes Eisen gehüllte Gestalt, ein Mann in der Rüstung eines Kriegers aus Rador.

Aber er war kein Krieger. Er trug keine Waffen, und dort, wo auf den Brustpanzern der Krieger nur tödliche Stacheln waren, glänzte bei ihm ein sechszackiger goldener Stern...

Torian senkte sofort den Blick und drehte sich weg, aber es war zu spät. General Worn mußte ihn im selben Augenblick erkannt haben wie er ihn.

»Das sind sie!« schrie er. »Die Spione! Ergreift sie!«

Torian fuhr mit einem wütenden Fluch abermals herum, stieß einen Mann, der ihm im Weg stand, grob beiseite, und warf sich mit weit ausgebreiteten Armen auf den General. Worn versuchte zurückzuweichen, aber seine Reaktion kam zu spät. Torian riß ihn von den Füßen, zwang ihn noch im Fallen herum und schlang den Arm von hinten um seinen Hals. Gleichzeitig zog er mit der anderen Hand Worns Dolch aus dem schmalen, edelsteinverzierten Halfter an seiner Seite. Sie stürzten. Die Stacheln von Worns Rüstung schnitten grausam durch seine Kleider und rissen tiefe, schmerzende Wunden in seine Haut, aber Torians Griff lockerte sich nicht. Er stemmte sich hoch, zerrte Worn auf die Füße und bog seinen Kopf mit einem harten Ruck nach hinten.

»Keinen Schritt näher!« schrie er. »Eine einzige falsche Bewegung, und ich töte ihn!«

Auf dem Hof brach eine Panik aus. Die Graugekleideten flüchteten kopflos, während Worns Soldaten vergeblich versuchten, sich einen Weg durch die außer Kontrolle geratene Menschenmenge zu bahnen, um ihrem Befehlshaber zu Hilfe zu eilen. Nur drei von ihnen waren nahe genug, einen Angriff riskieren zu können.

Garth schlug den ersten nieder. Die beiden anderen erstarrten, als Torian Worns Kopf noch weiter zurückbog und seine Drohung wiederholte.

»Das... nützt dir nichts, Garianer«, keuchte Worn. Seine Hände ruderten hilflos durch die Luft, suchten Torians Gesicht. Torian stieß ihm das Knie in den Rücken, und Worn erschlaffte mit einem schmerzhaften Aufseufzen.

»Im Moment nutzt es mir eine Menge, Worn«, antwortete er. »Und ich bin kein Garianer, auch wenn du es nicht glauben willst.«

»Es ist mir... egal, woher du kommst«, krächzte Worn. »Du kommst hier niemals lebend... heraus.«

Torian sah sich verzweifelt um. Die Flüchtlinge waren zurückgewichen und bildeten einen weiten, gut dreißig Schritt durchmessenden Kreis rings um ihn, Worn und Garth. Aber zwischen den graugekleideten Gestalten erschienen mehr und mehr Krieger, und Torian brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen, daß wahrscheinlich an die hundert Pfeile auf ihn und Garth angelegt waren. Hunderte von Gesichtern starrten ihn an. Aber es waren fremde Gesichter. Das, welches er suchte, war nicht darunter.

»Wenn ihr noch einen Schritt macht, töte ich ihn!« drohte Torian. »Ich habe nichts zu verlieren!«

Die Soldaten erstarrten, aber dafür begann sich Worn wieder stärker zu wehren. Torian brachte ihn mit einem weiteren Stoß in die Rippen zur Ruhe.

»Was versprichst du dir davon?« keuchte Worn. »Wie lange willst du mich so halten? Irgendwann werden deine Kräfte nachlassen, und dann töten sie dich.«

Zwischen den gaffenden Gesichtern tauchte ein Paar schmaler, stechender Augen auf. Torian spannte sich und sah hastig weg. Aber er wußte jetzt, daß der Alte da war. Er hatte recht gehabt. »Ich... mache dir einen Vorschlag«, keuchte Worn. »Du ergibst dich, und ich gebe dir mein Ehrenwort, daß du eine faire Chance bekommst, deine Unschuld zu beweisen.«

»Behandle mich nicht wie einen Dummkopf, Worn«, schnappte Torian verärgert. »Ich bin es so wenig wie du.«

»Das... habe ich gemerkt«, antwortete Worn. Er hatte jetzt endgültig aufgehört, sich zu wehren, und hing schlaff in Torians Armen. »Aber ich bin nicht nur kein Dummkopf, Torian, ich bin auch kein Feigling«, fuhr er fort. »Wenn ich schon sterbe, dann wie ein Krieger.«

Torian begriff einen Sekundenbruchteil zu spät, wie Worns Worte gemeint waren.

»Tötet ihn!« schrie Worn. »Erschießt uns beide!«

Garth schrie auf. Ein Pfeil zischte heran, verfehlte ihn um Zentimeter und zersplitterte auf dem Pflaster. Ein zweites, besser gezieltes Geschoß jagte heran und zwang den breitschultrigen Dieb zu einem grotesken Sprung.