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»Wasser!« krächzte Garth ungläubig. »Da unten... ist Wasser!«

Er keuchte, sah Torian einen Moment aus weiten Augen an – und trieb seinem Pferd mit einem Schrei die Fersen in die Seite. Das Tier kreischte vor Schmerz und stürmte los.

Torian starrte ihm nach. Er konnte das Plätschern des Baches von Sekunde zu Sekunde deutlicher hören. Ein Windstoß trug den köstlichen Geruch des Wassers an seine Nase, und irgendwo in der Dunkelheit vor ihnen schrie ein Nachtvogel – was alles nichts an seiner felsenfesten Überzeugung änderte, daß sich das Trugbild in Sand und Staub auflösen würde, sobald er sich ihm zu nähern versuchte. Vielleicht auch nicht – möglicherweise war der Regisseur dieser bösen Komödie grausam genug, es lange genug aufrechtzuerhalten, bis er sich nach dem vermeintlichen Wasser bückte und nichts als einen Mundvoll Dreck bekam, an dem er ersticken würde...

Das Pferd begann zu schnauben und unruhig zu tänzeln. Obwohl er die Zügel fest angezogen hielt, konnte er es kaum mehr halten. Offensichtlich war die Halluzination von jener besonders unangenehmen Art, die auch Tiere täuschte. Das Pferd war so durstig wie er und mußte halb von Sinnen sein, jetzt, wo es das Wasser witterte. Torian gab auf. Mit einem resignierenden Seufzer ließ er die Zügel fahren, verwandte sein letztes bißchen Kraft darauf, nicht aus dem Sattel geworfen zu werden, als das Tier losstürmte, und blickte aus brennenden Augen zu Garth hinüber, der bereits an dem eingebildeten Bach niedergekniet war und sich tatsächlich einbildete zu trinken.

Und wenige Augenblicke später tat es ihm Torian gleich. Es war ihm jetzt vollkommen egal, ob der Bach eingebildet war oder nicht. Möglicherweise war es wirklich eine Fata Morgana.

Aber wenn, dann schmeckte sie köstlich.

»Ich kann es immer noch nicht fassen«, brummte Garth kopfschüttelnd. »Wir haben es geschafft, wir haben es wirklich geschafft.« Es war ungefähr das vierzigste Mal innerhalb der letzten zehn Minuten, daß er das sagte, und Torian antwortete gar nicht mehr – obwohl er Garth’ Worte zumindest zu einer Hälfte teilte –, auch er konnte es nicht fassen, daß sie im buchstäblich letzten Moment gerettet worden sein sollten.

Was die andere Hälfte von Garth’ monotoner Bemerkung anging, so war er da völlig anderer Meinung — er war ganz und gar nicht sicher, daß sie es geschafft hatten; was immer er damit auch meinen mochte.

Er stand auf, warf Garth einen halb aufmunternden, halb ärgerlichen Blick zu und entfernte sich ein paar Schritte vom Ufer des Baches. In seinem Mund war ein widerwärtiger Geschmack, denn das Wasser war nicht ganz so köstlich gewesen, wie er im ersten Moment geglaubt hatte – genauer gesagt, es war schal, warm und schmutzig, und es schmeckte verdächtig nach einem Dutzend Pferde, die vielleicht nicht nur den Staub aus ihren Mähnen hineingeschüttelt hatten.

Trotzdem hatte es ihnen das Leben gerettet, ganz eindeutig. Torian schalt sich in Gedanken einen Narren. Warum konnte er nicht einfach dasselbe tun wie Garth und sich schlicht mit der Tatsache abfinden, daß sie einmal Glück gehabt hatten, dachte er. Fast eine Stunde war vergangen, seit sie auf den Bach gestoßen waren, und sie waren bisher weder überfallen noch vergiftet oder verzaubert oder ermordet worden. Vielleicht sah er einfach Gespenster, dachte er.

Und trotzdem... etwas stimmte hier nicht.

Sie rasteten noch immer an der Uferböschung und lauschten dem leisen Murmeln des Baches, und jetzt, da er wieder einigermaßen klar denken konnte, erkannte Torian das breite, tief in den Boden gegrabene Bett, das verriet, daß dieses Rinnsal nur das kärgliche Überbleibsel eines ursprünglich wesentlich mächtigeren Flusses war und im Laufe der nächsten Tage wahrscheinlich ebenfalls versickern und eintrocknen würde. Sie hatten sich ein wenig erholt und neue Kraft schöpfen können, aber bei weitem nicht genug, um weiterzureiten. Torian hätte es nicht einmal getan, wenn er die Kraft dazu gehabt hätte. Etwas – vielleicht das Tier in ihm, das sein Leben lang gejagt worden war – spürte die Falle, in die sie liefen. Er hatte das gleiche Gefühl schon einmal gehabt, vor wenigen Tagen erst, und schon einmal in ähnlich intensiver Form, und hatte nicht darauf gehört. Das Ergebnis war Rador gewesen.

Torian verscheuchte auch diesen Gedanken, drehte sich um und ging langsam zu Garth zurück. Die Hand saß zusammengekauert am Ufer, ließ die nackten Füße ins Wasser baumeln – wodurch sie allerdings eher noch schmutziger wurden – und sah ihm erwartungsvoll entgegen.

»Sag jetzt bitte nicht wieder: Wir haben es geschafft!« fauchte Torian, noch ehe Garth überhaupt den Mund aufmachen konnte. Sein grober Ton tat ihm fast sofort wieder leid – aber zum Teufel, er war gereizt, und er hatte Grund dazu.

Er wußte bloß nicht, welchen.

Garth blinzelte irritiert. Aber dann schien er zu dem Schluß zu kommen, daß es sich nicht lohnte, mit ihm zu streiten. »Was tun wir?« fragte er einfach.

Torian zuckte mit den Achseln, rupfte einige Grashalme aus und kaute darauf herum; nicht um seinen Hunger zu stillen, sondern einzig, um seine Hände zu beschäftigen und den ekligen Geschmack loszuwerden, den das Wasser auf seiner Zunge zurückgelassen hatte. Das Denken fiel ihm schwer. Schließlich deutete er auf den Bach. »Das Wasser fließt nach Norden – die Richtung, in die wir wollten, oder? Folgen wir dem Fluß.«

Garth überlegte eine Weile und nickte dann schwerfällig. Wie Torian mußte er sich der Tatsache bewußt sein, daß das Eis, auf dem sie sich bewegten, äußerst dünn war – wer garantierte ihnen, daß der Bach nicht jäh seine Richtung änderte oder nach ein paar hundert Schritten im Sand versickerte?

Aber welche Wahl hatten sie schon?

»Du hast recht«, sagte er schließlich. »Außerdem – das Wasser lockt bestimmt Tiere an, wenn es hier überhaupt welche gibt. Irgendwann wird uns ein saftiger Braten über den Weg laufen. Das ist besser, als wenn wir uns durch die Dörfer schlagen. Die tremonischen Kriegshäscher sind immer noch unterwegs, und ich habe keine Lust, mich schon wieder in eine Uniform stecken zu lassen.«

Torian verzichtete darauf, zu antworten. Die einzige Uniform, in die man sie stecken würde, wenn die Tremonen ihrer habhaft wurden, war eine zwei Meter lange Holzkiste; mit etwas Glück. Möglicherweise würden sie auch an die Hunde verfüttert.

»Versuchen wir es.« Torian wandte sich um. Es fiel ihm mit jeder Minute schwerer, klar zu denken. Was war nur mit ihm los? Mißtrauisch sah er auf das Wasser. Aber er verwarf den Gedanken so rasch wieder, wie er ihm gekommen war. Wäre das Wasser vergiftet gewesen, hätte auch Garth es merken müssen. Der Dieb hatte an die fünfhundert Liter davon in sich hineingeschlürft. Mindestens. Als er nach dem Sattelhorn greifen wollte, wurde ihm schwindlig. Das Blut pochte in seinen Schläfen, und für einen kurzen Moment drehte sich der Himmel über ihm.

Torian stöhnte leise. Mühsam gelang es ihm, die schwarzen Schleier vor seinen Augen fortzublinzeln und das Gleichgewicht zu halten. Alles in ihm schrie nach einer längeren Pause, oder wenigstens einer Stunde Schlaf, doch...

Aber verdammt, hatte er nicht gerade selbst gedacht, daß sie unmöglich sofort weiterreiten konnten, ja, daß er es nicht einmal wollte? Und jetzt...

Irgend etwas fuhr durch seinen Kopf und fegte den Gedanken fort. Er durfte dem Verlangen nicht nachgeben. Die Hälfte der Nacht war bereits verstrichen, und schon wenige Minuten nach Anbruch des Tages würde es so heiß werden, daß sie nicht weiterreiten konnten. Sie durften nicht länger warten. Und entweder in dieser oder spätestens der nächsten Nacht mußten sie auf Wild stoßen, sonst würde der Hunger vollenden, was dem Durst nicht gelungen war. Und er spürte noch diese sonderbare Unruhe, die ihn schon vor einigen Minuten überfallen hatte. Etwas stimmte nicht. Er wußte nicht, was es war, und er konnte auch nicht mit Garth darüber reden. Aber das Gefühl war da, eine schwache, aber zunehmende Ahnung von Gefahr, wie ein übler Geruch, der die Luft verpestete. Er sah aus den Augenwinkeln, daß Garth ihn besorgt musterte, und griff abermals nach dem Sattel. Das Pferd schnaubte und scharrte unruhig mit den Hufen. Seine Ohren bewegten sich nervös. Torian wußte nicht, ob es ebenfalls dieses Etwas spürte oder nur seinen Unwillen über den frühen Aufbruch zeigte. Er streichelte sein Pferd flüchtig und stieg auf. Diesmal ging es.