Выбрать главу

»Nichts, ich habe...«

»Aber du hast als erster gewußt, daß es da war! Du mußt etwas gesehen haben, du...« Er brach ab, strich sich mit der Hand übers Gesicht und blickte zu Boden. Sein Wutausbruch und sein kindisches Gerede von Zauberei waren nichts anderes als ein Ausdruck seiner Hilflosigkeit. Jeder hatte eben seine Art, mit der Furcht fertig zu werden, dachte Torian.

Laut sagte er: »Es war nicht mehr als ein Gefühl.« Er lächelte aufmunternd, trat auf Garth zu und legte ihm die Hand auf die Schulter, eine Geste von Vertraulichkeit, die bisher zwischen ihnen undenkbar gewesen wäre. »Gesehen habe ich gar nichts. Vielleicht war es ein Tier, das sich im Boden eingegraben hat, vielleicht auch etwas anderes. Aber was auch immer es war, es ist nicht mehr da, und es wird uns kaum verfolgen. Trotzdem sollten wir sicherheitshalber weiterreiten.«

Seine Worte – und wohl noch viel mehr die Berührung – wirkten. Langsam beruhigte sich Garth, aber der halb furchtsame, halb gehetzte Ausdruck wich nicht völlig aus seinem Gesicht. Wahrscheinlich würde er ihn noch lange mit sich herumtragen- und Torian vermutete, daß sich der gleiche Ausdruck auch in 5«» Gesicht gegraben hatte. Er wußte, daß es sich mit Sicherheit nicht um ein Tier gehandelt hatte, sondern um etwas gänzlich anderes, das zu erfassen sich sein Verstand auch jetzt noch weigerte. Er wurde etwas besser damit fertig als Garth; aber nicht viel. Vielleicht lag es daran, daß er selbst bis vor wenigen Tagen niemals wirklich an Magie geglaubt hatte und es im Grunde selbst jetzt noch nicht tat. Was in Rador geschehen war, war unerklärlich und schrecklich gewesen, aber nicht alles Unerklärliche und Schreckliche mußte gleich Zauberei bedeuten. Bei Garth war das anders. Er war in einer Umgebung aufgewachsen, in der die Angst vor finsteren Göttern und Dämonen tief in den Menschen verwurzelt war, und er würde diese Angst niemals ganz loswerden, so wenig wie Torian seine Skepsis.

»Es war Zauberwerk«, murmelte der Dieb noch einmal. Er spie aus, blickte sich ein weiteres Mal furchtsam um und kletterte umständlich wieder auf den Rücken seines Tieres.

»Vielleicht ein... ein Andenken an Rador. Ich glaube, es war doch ein Fehler, mich zu dir zu gesellen.« Er lachte finster und etwas zu schrill, um darüber hinwegzutäuschen, daß die so scherzhaft klingende Bemerkung vielleicht ernster war, als ihm selbst bewußt wurde.

Wortlos gab Torian seinem Pferd die Sporen und preschte los, damit Garth nicht sah, wie betroffen seine Worte ihn gemacht hatten. Meile um Meile folgten sie dem gewundenen Band des Baches, das ebenso willkürlich seine Richtung änderte wie auch sein Aussehen; es war einmal so breit und tief, daß es schon eher ein kleiner Fluß war, dann wieder ein jämmerliches Rinnsal, nicht einmal tief genug, den Pferden bis an die Fesseln zu reichen. Zwei- oder dreimal verschwand es ganz, tauchte aber jedesmal nach wenigen hundert Schritten wieder aus seinem unterirdischen Bett auf.

Sie hatten zweimal Rast gemacht, doch beide Male nur wenige Minuten lang, und beide Male waren sie froh gewesen, wieder auf ihre Pferde steigen und weiterreiten zu können. Keiner von ihnen hatte noch ein Wort über das geheimnisvolle Etwas verloren, das ihnen begegnet war, aber auch wenn sie es nicht zugaben, es war die nackte Angst, die sie vorwärtstrieb. Und es war nicht nur Garth, den die Erinnerung an die körperlose Schwärze und die brodelnden Schatten darin peinigte. Auch Torian gelang es nicht, das entsetzliche Bild zu vergessen. Er konnte sich für eine Weile ablenken, indem er sich auf die Umgebung konzentrierte und gegen seine Müdigkeit ankämpfte, doch das Bild saß wie ein Stachel in seiner Erinnerung, ein Stachel mit Widerhaken.

Keiner sprach mehr von einer Rast, auch nicht, als die Sonne wieder als glutroter Feuerball aufging und das Land erneut mit ihrer unbarmherzigen Hitze quälte. Sie ritten einfach weiter.

Torian war wieder über dem Hals seines Pferdes zusammengesunken, aber er wagte es nicht, die Augen länger als für ein paar Sekunden zu schließen. Gelegentlich wandte er müde den Kopf und blinzelte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Die Luft flimmerte und schien einen feinen Schleier um sie herum zu weben, durch den alles, was mehr als ein Dutzend Schritte von ihnen entfernt lag, nur noch verschwommen sichtbar war. Es war für Torian ein gewohntes Bild, aber in seinem momentanen Zustand steigerte es seine Angst noch. Er war am Ende, und nicht nur mit seinen körperlichen Kräften. Es war ihm unverständlich – was sie gesehen (gesehen?) hatten, war nicht einmal besonders schlimm gewesen, verglichen mit dem, was sie bereits gemeinsam hatten durchstehen müssen. Aber es hatte etwas in ihnen erschüttert. Es war, als hätte seine Seele Sprünge bekommen, durch die klebrige schwarze Fäden der Furcht sickerten, langsam, aber unaufhaltsam.

Ein Stück vor ihnen, vielleicht eine Viertelmeile entfernt, lag ein kleines, wie ein Dreieck geformtes Wäldchen, dessen Bäume kühlen Schatten versprachen. Die meisten Gewächse sahen krank aus; dürre graue Aste, wie Krallen nach dem Himmel ausgestreckt, Blätter, die nur noch einen blassen Schimmer von Grün hatten... Der Wald hatte den Kampf gegen die Wüste längst verloren. In ein oder zwei Jahren, überlegte Torian matt, würden nur noch einige versteinerte Strünke von seinem Dasein künden, ehe auch sie unter einer Wanderdüne verschwanden.

Und doch konnte sie dieser Wald retten. Auch Garth hatte ihn gesehen. Er zugehe sein Pferd und schirmte die Hand mit den Augen ab. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. Torian vermutete, daß die noch längst nicht verheilte Wunde an der Schulter des Diebes wieder aufgebrochen war. Garth’ Augen glänzten fiebrig. »Dieses Wäldchen«, murmelte er. Das Sprechen bereitete ihm Mühe, das sah und hörte man. »Ich kenne es. Unser Heer ist... daran vorbeigezogen. Eine... eine knappe Meile nördlich liegt ein Gehöft.«

»Bist du sicher?« Torian richtete sich mühsam im Sattel auf. Er dachte an ganz ähnliche Worte, die er gestern abend von Garth gehört hatte. Noch einmal würden sie nicht die Kraft haben zu fliehen. Ganz egal, wovor.

»Was glaubst du, wie viele solcher Wälder es hier gibt?« schnappte Garth. Er schüttelte den Kopf. »Ich war sicher, daß wir weiter südlich wären, aber ich erkenne ihn wieder. Wir haben damals einen Bogen um ihn gemacht, weil er so wenig einladend aussah.« Er legte den Kopf in den Nacken und begann krächzend zu lachen.

»Und was ist daran so lustig?«

»Das ist... das ist...» Garth rang mühsam nach Luft, als hätte ihn das Lachen über die Maßen erschöpft. »Willst du es wirklich wissen?«

Torian nickte. »Ja, verdammt«, sagte er wütend. »Ich habe keine Lust, irgendwelche Spielchen zu spielen. Was amüsiert dich so?«

»Es wird dir nicht gefallen«, sagte Garth. »Aber wie du willst. Wir sind die ganze Zeit kaum eine Meile von den Proviantlagern entfernt gewesen. Sag mir, ist das ein guter Witz, oder ist das keiner?« Er lachte erneut, krümmte sich plötzlich im Sattel und preßte beide Hände gegen den Leib, schüttelte aber abwehrend den Kopf, als sich Torian zu ihm hinüberbeugen wollte.

Torian antwortete nicht. Er fand Garth’ Humor nicht besonders komisch und auch nicht besonders passend. Die Vorstellung, daß sie vor Hunger und Durst fast umgekommen wären, obwohl kaum einen Steinwurf entfernt Nahrungsmittel für ein dreihundertköpfiges Heer lagerten, war so absurd, daß er sich weigerte, diesen Gedanken weiterzuverfolgen. Wortlos trieb er sein Pferd an und ritt auf das Wäldchen zu. Garth folgte ihm, immer noch stöhnend, und gleichzeitig wie von Sinnen in sich hineinglucksend.

Es wurde kaum kühler, als sie in den kranken Wald ritten. Der Boden war hart und verbrannt und trug keinerlei Vegetation, abgesehen von einigen dürren Büschen, die wirkten, als wären sie aus rostigem Draht geflochten. Die Baumkronen bildeten ein schattenspendendes Dach über ihren Köpfen, doch obwohl die Blätter die schlimmste Sonnenglut abhielten, milderten sie die Hitze kaum. Der klebrig-heiße Hauch war allgegenwärtig.