Ihre Augen. Ja, das war es, was ihn besonders irritierte: die Augen. Sie sahen seltsam kalt und leblos aus, wie gläserne Murmeln, in die sogar das Gefühl hineingewühlt war. Und dieser unheimliche Blick war bei allen Männern gleich, selbst bei dem Burschen, den er niedergeschlagen hatte, und der sich nun mühsam wieder aufrappelte und in den Kreis der anderen einreihte. All diese Männer, dachte er schaudernd, wirkten, als hätte sie jemand gemacht.
Langsam, um niemanden durch eine unvorsichtige Bewegung zu provozieren, legte er sein Schwert vollends zu Boden. Er sah zur Tür und erkannte, daß auch Garth draußen von mehreren Männern umzingelt war.
»Wir kommen in Frieden«, sagte er. Er kam sich reichlich idiotisch dabei vor, fuhr aber trotzdem fort: »Alles, was wir wollen, ist...«
Ein harter Stoß in den Rücken ließ ihn verstummen. Torian schluckte einen Schmerzlaut hinunter, widerstand der Versuchung, sich herumzudrehen und dem Kerl seine Zähne in den Hals zu schlagen, und trat gehorsam auf den Hof hinaus, wo er sofort von derben Händen gepackt und zu Garth gezerrt wurde.
Der Hof war plötzlich alles andere als leer. Mehr als zwei Dutzend Männer umringten Garth und ihn, ein wahrer Wall von Leibern, der jeden Gedanken an Widerstand oder gar Flucht schlichtweg lächerlich machte. Bislang hatte niemand sie angegriffen oder war auch nur auf den Gedanken gekommen, sie nach weiteren Waffen zu durchsuchen, und Torian hütete sich, Feindseligkeiten herauszufordern. Man hatte Garth nicht einmal sein Schwert abgenommen. Die Bauernburschen fühlten sich offenbar durch ihre bloße Zahl überlegen genug. Und sie waren es auch, dachte Torian bitter. Obwohl wahrscheinlich keiner ihrer Gegner große Kampferfahrung besaß, konnte es am Ausgang einer eventuellen Auseinandersetzung keinerlei Zweifel geben. Garth und er hatten sich übertölpeln lassen wie Anfänger. Zum Teufel, was war mit ihm los? Verlernte er allmählich das Denken?!
Torian sah, wie sich Garth’ Hand fester um den Schwertknauf ballte, und fuhr erschrocken zusammen. Ein zorniges Funkeln lag in Garth’ Augen. Der Dieb war kein Narr, aber das Fieber hatte sein Denken getrübt. Und die Angst, die sie aus der Wüste mitgebracht hatten, mußte noch ebenso in ihm wühlen wie in ihm selbst. Torian warf ihm einen raschen, warnenden Blick zu und legte ihm die Hand auf den Arm. Nach einigen Sekunden nickte Garth fast unmerklich, und Torian atmete innerlich auf.
»Ein wahrhaft herzliches Willkommen«, knurrte er. »Sieht wohl schlecht aus mit unserem Braten.« Er grinste schief. »Wer weiß vielleicht sind wir ja das Abendessen.«
»Abwarten«, entgegnete Garth. »Wenn sie uns umbringen wollten, hätten sie das schon längst tun können.«
Torian schwieg eine Weile, während sein Blick noch einmal über die Männer glitt. Drinnen im Halbdunkel der Scheune war er nicht sicher gewesen, aber jetzt... Er schauderte.
»Sieh dir ihre Augen an, Garth«, flüsterte er. »Hast du so etwas schon einmal gesehen? Was ist mit diesen Männern los? Sie sehen aus, als... als würden sie gar nicht richtig leben.«
Garth nickte beinahe unmerklich. »Ich habe etwas Ähnliches schon einmal gesehen«, sagte Garth gepreßt. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn, und seine Lippen bebten. »Es ist gar nicht lange her. Vor kurzem erst.« Sein Blick irrte nervös hin und her, aber er machte keine Anstalten weiterzusprechen.
»Und wo?« fragte Torian schließlich.
Garth zögerte lange, ehe er antwortete, und als er es tat, sah er Torian nicht an. »Uns... waren einige eurer Kundschafter in die Hände gefallen. Wir wollten sie foltern, um die Lage des geheimen Passes nach Scrooth zu erfahren, aber dann traf der Magier in unserem Lager ein. Er blieb einige Minuten allein mit den Gefangenen in einem Zelt.« Er brach ab, lächelte nervös und fuhr sich mit dem Handrücken über das Kinn. »Anschließend«, fuhr er fort, »erklärten die Männer uns bereitwillig den Weg. Und ihre Gesichter zeigten den gleichen Ausdruck.«
»Du meinst, daß...«
»Sie gehorchen einem fremden Willen, das meine ich«, sagte Garth. »Aber wer...?«
»Ich«, sagte eine leise, aber dennoch kraftvolle Stimme hinter ihnen; eine Stimme, deren Klang Torian eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
Mühsam beherrscht drehte er sich herum. Unbemerkt hatten zwei Männer das Herrenhaus verlassen und waren hinter sie getreten. Der eine trug ein etwas kostbareres Gewand als die Bauernburschen um sie herum – was nichts anderes hieß, als daß es nicht ganz so verdreckt und geflickt war wie die ihren. Immerhin – es wies ihn als Herrn des Hofes aus.
Torian schenkte dem Mann nur einen flüchtigen Blick, ehe er sich seinem Begleiter zuwandte und bei seinem Anblick erneut erschauerte.
Der Mann war alt, unglaublich alt, und obwohl sein in einen verschlissenen grauen Mantel gehüllter Körper schwach und gebrechlich aussah, verströmte er eine Aura von Macht, die Torian frösteln ließ. Ein Kranz schlohweißen, vom Wind zerzausten Haares lag um seinen Kopf. Tiefe Falten hatten sich in sein Gesicht gegraben. Darin eingebettet lagen die Augen; Augen mit Pupillen, die schwarz wie die Nacht waren, die uralt und jung zugleich wirkten. Zeitlos. Etwas Zwingendes ging von ihnen aus.
Nur mit äußerster Mühe konnte er den Blick senken. Neben ihm keuchte Garth. Ein undeutbares Lächeln lag auf dem Gesicht des Greises, das sich noch vertiefte, als sich Torian verwirrt mit der Hand über die Augen fuhr.
»Verzeiht den unfreundlichen Empfang«, sagte der Alte mit kaum verhohlenem Spott. Er deutete auf den Mann an seiner Seite. »Das ist Kalaar. Ihm gehört der Hof. Es kommen nicht oft Reisende hierher, besonders keine tremonischen Kriegstreiber. Wir wissen gerne, mit wem wir es zu tun haben, bevor wir Fremden Tür und Tor öffnen.«
»Wir sind keine... Tremoner«, erwiderte Torian. Das Sprechen fiel ihm schwer, aber diesmal lag es nicht am Durst und an seiner Erschöpfung. Etwas war plötzlich in seinem Kopf, etwas wie Nebel, das ihn am Denken hinderte. Die Nähe dieses schrecklichen alten Mannes erdrückte ihn fast. Großer Gott, was war das?
»Nein, das seid ihr nicht«, sagte der Alte freundlich. Und fügte hinzu: »Zumindest du nicht, Torian. Oder soll ich dich bei deinem vollen Namen nennen: Torian Carr Conn?«
»Du...« Torian trat einen Schritt vor und hob die Hände, als wollte er den Alten an der Kehle packen. Sofort richtete sich ein halbes Dutzend Speere und Pfeile auf ihn, aber der Greis winkte ab. Seine Lippen zuckten spöttisch. Er wußte genau, daß Torian ihn nicht angreifen würde. Er konnte es gar nicht.
»Laßt ihn«, sagte er. »Und du, Torian, hör auf, dich wie ein Narr zu benehmen. Es interessiert mich nicht, ob man dich in Scrooth sucht, und warum. Ich habe in meinem Leben schon zu viele Mörder und Diebe getroffen, als daß es mir etwas ausmachen würde.« Er lachte leise, ehe er sich herumdrehte und eine spöttisch-einladende Geste zum Haus hinüber machte. »Gehen wir hinein. Dort können wir uns in Ruhe unterhalten. Mir scheint, ihr seid etwas hungrig. Kalaar, laß den Tisch für unsere Gäste decken.«
Mit einem beinahe unterwürfigen Nicken ging der Mann ins Haus zurück. Wortlos drehten sich auch die anderen Männer um und zerstreuten sich – allerdings erst, nachdem einer Torian das abgelegte Schwert gebracht hatte.