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Verwirrt nahm Torian die Waffe entgegen, starrte den Alten einen Moment fassungslos an und steckte die Klinge schließlich in die Scheide zurück. Er verstand gar nichts mehr.

Gemeinsam mit Garth folgte er dem sonderbaren Greis. Während sie sich dem Haus näherten, sah er sich aufmerksam um; etwas, das ihm so sehr zur Gewohnheit geworden war, daß er es schon gar nicht mehr merkte. Der Hof kam ihm jetzt noch schäbiger und verkommener vor als bisher; es war wenig mehr als eine Ruine, und sonderbar genug, bei all den Menschen, die sie beherbergte – sie wirkte noch immer auf die gleiche Art und Weise tot wie vorher. Nur an einem der Fenster im ersten Stock glaubte er eine flüchtige Bewegung wahrzunehmen. Für einen Sekundenbruchteil sah er das von schwarzem Haar eingerahmte Gesicht eines jungen Mädchens. Dann war es wieder verschwunden.

Torian runzelte die Stirn. Der Augenblick war zu kurz gewesen, um wirklich etwas zu erkennen, aber er meinte, einen fast gehetzten Ausdruck im Gesicht des Mädchens bemerkt zu haben. Und dieser Ausdruck war echt gewesen.

Er verscheuchte den Gedanken und trat hinter dem Alten in eine schmale, dunkle Diele. Der Geruch nach gebratenem Fleisch und frisch gebackenem Brot hing in der Luft. Schmerzhaft zog sich sein Magen zusammen.

Kalaar stand vor einer Tür am Ende des Korridors und bedeutete ihm einzutreten. Garth und der Greis hatten bereits an einem wuchtigen Eichentisch Platz genommen. Einige Mägde brachten Platten mit kaltem Braten herein, die sie auf dem Tisch abstellten. Torian beobachtete sie aufmerksam. Auch ihre Gesichter zeigten diesen schlafwandlerischen, leblosen Ausdruck. Nicht ein einziger neugieriger oder verstohlener Blick traf Torian, als er an den Tisch trat und sich setzte.

Der Anblick ließ seinen Hunger zu purer Gier werden; aber er beherrschte sich noch. Unsicher sah er Garth an – und erstarrte innerlich vor Schreck.

Das war nicht mehr Garth.

Er war es, sicher, sein Körper, sein Gesicht, seine Hände, die vor Gier zitterten, als sie nach dem Fleisch griffen – aber sein Blick war leer! Der Ausdruck von Erleichterung und Müdigkeit darin war genauso falsch wie der von Angst in den Augen der Knechte.

Zitternd vor Schreck, aber mit allmählich immer stärker werdendem Zorn, wandte er sich an den Alten. »Was hast du mit ihm gemacht?« fragte er.

»Gemacht?« Der Greis kicherte. »Was meinst du, Torian Carr Conn?«

»Verdammt, du weißt genau, was ich meine!« antwortete Torian drohend. »Was hast du mit ihm getan? Er ist... bei allen Göttern der Finsternis, ihr wart doch nur eine Sekunde allein!«

Der alte Mann lächelte, aber es wirkte kalt und falsch. »Ich könnte jetzt antworten: Zauberei«, sagte er. »Aber du glaubst ja nicht an die Macht der Magie, nicht wahr? Dabei«, fügte er kopfschüttelnd hinzu, »wärst gerade du gut beraten, es zu tun.«

Er seufzte. »Setz dich!« befahl er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.

Torian machte gehorsam einen Schritt auf den Stuhl zu, den der Alte ihm bedeutet hatte, und blieb abrupt wieder stehen, was seine ganze Kraft in Anspruch nahm. Es war, als wollten sich seine Beine gegen seinen Willen bewegen.

Der Greis nickte anerkennend. »Du bist stark, Torian«, sagte er. »Also gut, nimm es als Zeichen meines guten Willens.« Er vollführte mit den Fingern eine blitzschnelle, kompliziert aussehende Geste vor dem Gesicht des Diebes. Benommen schüttelte Garth den Kopf. Sein Blick klärte sich. Er sah sich kurz um, griff nach dem Braten und stopfte sich genußvoll eine gewaltige Scheibe in den Mund. »Hervorragend«, lobte er schmatzend.

Torian begriff entsetzt, daß er nicht einmal gemerkt hatte, was geschehen war. Großer Gott!, dachte er, über welche Macht verfügt dieser alte Mann, daß ein Schnippen seiner Finger ausreicht, einen Mann wie Garth zu einer Marionette zu machen?!

»Greif zu, Torian«, sagte der Alte auffordernd. »Keine Sorge das Essen ist gut.«

»So?« sagte Torian mißtrauisch. Er rührte sich nicht.

»Ich habe es nicht nötig, dein Essen zu vergiften«, sagte der Alte lächelnd. »Was du gerade erlebt hast, war... nun, nennen wir es eine Demonstration. Verzeih, wenn ich dich erschreckt habe. Und nun greif zu.«

Torian zögerte noch einen winzigen Augenblick, aber dann wurde sein Hunger einfach übermächtig. Er hätte in diesem Augenblick auch gebratene Spinnen gegessen.

Das Essen war köstlich. Kalaars Dienerschaft mochte nicht mehr ganz menschlich sein, aber auf das Zubereiten von Mahlzeiten verstand sie sich. Torian aß so viel wie selten zuvor im Leben, und er hörte auch darin nicht auf, als er längst gesättigt war, sondern stopfte – genau wie Garth – immer mehr und mehr der köstlich duftenden Speisen in sich hinein. Er hörte erst auf, als er das Gefühl hatte, platzen zu müssen, wenn er auch nur noch einen einzigen Bissen herunterzwang.

»Ich denke, ich bin euch eine Erklärung schuldig«, begann der Greis, als Torian sich zufrieden zurücklehnte. Er deutete auf Kalaar. Ohne daß es einer weiteren Aufforderung bedurft hätte, verließ der Mann den Raum und schloß die Tür hinter sich.

»Ich habe ihn und sein Gefolge unter meinen Willen gezwungen, wie ihr wahrscheinlich längst erkannt habt«, fuhr der Greis fort. »Glaubt mir, ich habe es nicht gerne getan, aber mir blieb keine andere Wahl. Es sind stolze Menschen, doch sie sind auch ängstlich, und alles, was sie wollen, ist in Frieden leben.«

»Warum laßt Ihr ihnen dann nicht – ihren Frieden?« fragte Torian. Plötzlich fiel es ihm schwer, noch wirkliche Feindschaft gegen diesen Greis zu empfinden. Er war einfach zu satt, um sich zu so etwas Anstrengendem wie Zorn aufzuraffen.

Der Alte seufzte. »Ich brauchte sie«, antwortete er. »Keiner hätte mir freiwillig geholfen – und glaube nicht, daß ich es nicht versucht hätte. Trotzdem hätte ich ihren Willen nicht gebrochen, wenn es nur um mich gegangen wäre. Aber es steht zu viel auf dem Spiel.«

»Vielleicht könntest du noch ein wenig geschwollener und rätselhafter sprechen?« fragte Torian und rülpste. »Sonst könnte ich nämlich etwas verstehen, weißt du?«

Der Alte seufzte. »Vielleicht sollte ich mich zuerst vorstellen. Man nennt mich Salamir. Salamir den Magier, genau genommen.«

Er schlug seinen Umhang zurück. Darunter kam eine goldene, mit prachtvollen Stickereien versehene Robe zum Vorschein. Die Robe eines Magiers.

Torian erstarrte, aber Salamir machte eine rasche, besänftigende Bewegung. Er schien Torians Gedanken genau zu erraten. »Urteile nicht vorschnell, Torian Carr Gönn. Ich habe mit den Schwarzen nichts zu tun. Ich habe mich schon vor langer Zeit von ihrem Orden losgesagt.«

Garth fiel der Brotkanten, an dem er gerade herumkaute, aus der Hand. Fassungslos starrte er den Magier an, während Torian keine Überraschung empfand. Er hatte nichts anderes erwartet. Schon durch die knappe Geste, mit der Salamir den Dieb aus seiner Benommenheit geweckt hatte, war ihm klargeworden, was es mit dem Greis auf sich hatte. Er hatte es nur nicht begreifen wollen. Nein überrascht war er nicht.

Aber entsetzt.

»Was... hast du mit uns vor?« erkundigte er sich mit erzwungener Ruhe. Er versuchte vergeblich, weiterhin gelassen und ruhig auszusehen. Nervös schenkte er sich aus einem Krug Wein in einen Becher und trank, um seine Unsicherheit zu verbergen.

»Ihr fürchtet die Magier, und mit Recht«, sagte Salamir. »Aber ich habe nichts mit ihnen zu tun. Ihr wärt längst nicht mehr am Leben, wäre es so.«

»Was willst du dann?« fragte Garth mißtrauisch.

Salamir lächelte traurig. »Ich bitte euch um eure Hilfe«, antwortete er.

Garth lachte schrill und unecht. »Was sollte es wohl geben, was wir besser könnten als du? Warum bittest du überhaupt, statt uns ebenfalls zu willenlosen Sklaven zu machen? Du hältst dich doch anscheinend für so etwas wie einen Gott.«

Torian warf dem Dieb einen warnenden Blick zu, doch Salamir schien Garth den Gefühlsausbruch nicht übelzunehmen.