Zwanzig Schritte entfernt von ihm befand sich eine ganze Gruppe Tremoner, zehn, vielleicht auch fünfzehn Mann, die mit gezückten Schwertern und kampfbereit erhobenen Schilden eine ebenso eindrucksvolle wie nutzlose Ehrenwache um einen hochgewachsenen Mann bildeten. Er war schlank, vielleicht zwei Köpfe größer als Torian und unbewaffnet.
Und er trug die goldbestickte, schwarze Robe eines Magiers... Torian ballte in einer Geste sinnlosen Zornes die Fäuste. Ein Magier! Hier, Hunderte Tagesreisen von Tremon entfernt! Den Herrschern der Grauen Stadt mußte verdammt viel daran gelegen sein, dem Invasionsheer aus Scrooth den Nachschub abzuschneiden. Bagain und seine Männer waren verloren, viel eher, als sie jetzt noch ahnten. Selbst wenn er dort oben tausend Krieger gehabt hätte statt zehn, wäre sein Schicksal besiegelt gewesen. Wenn nicht... Torian dachte den Gedanken nicht zu Ende. Alles in ihm sträubte sich dagegen, auch nur die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, Hand an einen Magier zu legen. Er hatte nie davon gehört, daß es jemand gewagt hätte, einen Angehörigen der Schwarzen Zunft zu töten. Allein der Gedanke war Häresie, mehr noch als Gotteslästerung, ein Kratzen an den Mächten der Schöpfung selbst.
Und doch – was hatte er schon zu verlieren? Wenn er wartete, bis der Morgen kam oder der Magier sein Werk beendet hatte, würde er sterben, und nach allem, was er über die Krieger aus Tremon wußte, würde es kein angenehmer Tod sein. Sie – und vor allem ihre Schwarzen Magier – waren berüchtigt für ihre Grausamkeit. Er sah sich um, duckte sich noch ein wenig tiefer hinter seine Deckung und musterte die dunklen Gestalten in seiner Nähe abschätzend. Er hatte den Vorteil der Überraschung auf seiner Seite, aber er durfte sich auch nicht den geringsten Fehler leisten. Ein einziger Schrei, eine hastige Bewegung, und er würde den Erfindungsreichtum der tremonischen Foltermeister kennenlernen.
Behutsam wickelte er sein Schwert aus seinem Mantel, steckte es in die Scheide zurück und zog statt dessen den Dolch aus dem Gürtel. Er würde seine Rechnung eben mit kleinerer Münze begleichen müssen...
Die Gelegenheit dazu kam schneller, als er zu hoffen gewagt hatte. Ein Krieger näherte sich seinem Versteck, blieb direkt neben dem Felsen, hinter dem Torian mit angehaltenem Atem wartete, stehen und begann irgend etwas an seiner Rüstung zu ordnen. Torian hob vorsichtig den Dolch, richtete sich etwas weiter auf und sah ein letztes Mal hastig in die Runde. Die Gelegenheit war günstig; niemand blickte in seine Richtung, und die Ankunft des Magiers und seiner Leibwache zog die Aufmerksamkeit des ganzen Lagers auf sich.
Als der Krieger wieder den Blick hob und weitergehen wollte, stieß Torian zu.
Der Mann bemerkte die Bewegung im letzten Augenblick und reagierte mit beinahe übermenschlicher Schnelligkeit. Er fuhr herum und schlug Torians Hand beiseite, nicht schnell genug, um den Hieb vollends abzuwehren, aber immer noch rasch genug, die rasiermesserscharfe Klinge von seiner Kehle abzulenken. Der Dolch traf nicht seinen Hals, sondern bohrte sich bis zum Heft in seine Schulter. Ein halb unterdrückter, keuchender Schmerzenslaut kam über seine Lippen. Er taumelte, umklammerte Torians Waffenhand mit beiden Fäusten und verdrehte sie.
Der Dolch brach mit einem leisen, metallischen Knacken dicht über dem Heft ab; die Klinge blieb in seiner Schulter stecken. Torian riß sich mit einer verzweifelten Bewegung los, rammte dem anderen das Knie zwischen die Beine und schmetterte ihm die gefalteten Fäuste in den Nacken, als er sich krümmte. Der Körper des Mannes sackte lautlos vor ihm zu Boden.
Torian sprang zurück in den Schatten, lauschte einen Moment mit angehaltenem Atem und zerrte den Bewußtlosen mit sich. Der Körper war schwer, und Torian fiel erst jetzt auf, wie groß der Mann war – gut zwei Köpfe größer und anderthalbmal so breit wie er selbst. Schon fast ein Riese. Seine Hände schienen kräftig genug, einem Mann im Spiel das Genick brechen zu können, und Torian spürte erst jetzt, wie seine Handgelenke schmerzten. Er hatte reines Glück gehabt, diesen Giganten so leicht besiegt zu haben. Torian verscheuchte den Gedanken mit einem ärgerlichen Knurren und begann, den Tremoner zu entkleiden. Das silberne Kettenhemd war schwer, um so mehr, als er seinen eigenen, schwarzgeschuppten Panzer anbehielt und die Tremon-Uniform nur darüberwarf. Waffengurt und Schwert ließ er dem Toten; die Tremoner hatten – wie die meisten Söldnerheere – wohl einheitliche Uniformen, aber keine gleichartige Bewaffnung, so daß er getrost seine eigenen Waffen behalten konnte. Seine schwarzen Hosen und die dazu passenden Stiefel wurden zur Genüge vom roten Umhang des Kriegers verborgen. Torian brauchte kaum eine Minute, sich zu tarnen und auch noch den wulstigen, mit kleinen kupfernen Pailletten verstärkten Helm über sein Haupt zu stülpen.
Sein Herz hämmerte zum Zerspringen, als er aus seiner Deckung hervortrat und sich unter die Krieger mischte. Er ging schnell, aber nicht zu schnell, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, sondern ganz wie ein Mann, der ein bestimmtes Ziel hatte. Torian lenkte seine Schritte zur Pferdekoppel hin, schwenkte aber auf halbem Wege ab, so daß er dicht an dem Magier vorbeikam. Einer der Wachen wandte den Blick und sah einen Moment lang gelangweilt in seine Richtung. Torian hob die Hand zum Gruße, deutete ein Nicken an und senkte den Kopf, damit niemand sein blutbesudeltes Gesicht sah. Seine Handflächen wurden feucht, und er glaubte, die Blicke der anderen wie kleine spitze Messer im Rücken zu fühlen. Wahnsinn, dachte er. Was er vorhatte, war eine besonders komplizierte Form des Selbstmordes. Er würde dem Magier nicht einmal auf Armeslänge nahe kommen, ehe ihn die Krieger in Stücke gehauen hatten.
Trotzdem ging er weiter. Er machte sich jetzt keine Illusionen mehr – sein Leben war verwirkt, so oder so. Trotz seiner Verkleidung war es unmöglich, aus dem Lager zu entkommen. Schon ein einziger, aufmerksamer Blick würde ihn entlarven. Aber vielleicht gelang es ihm noch, dem Opfer einen Sinn zu geben und einen der verhaßten Schwarzen Magier aus Tremon mit sich in den Tod zu nehmen.
Sein Blick suchte den Magier. Er hatte sich bisher nicht gerührt, sondern stand noch immer hoch aufgerichtet und in fast unnatürlich steifer Haltung inmitten seiner Krieger, eine schlanke, in fließendes Schwarz und Gold gehüllte Gestalt, die kaum wie die eines Menschen aussah, sondern ihn mit ihrer dunklen Aura und Unnahbarkeit eher an einen der Dämonen erinnerte, denen die Schwarzen Magier ihr Leben verschrieben hatten.
Torian blieb stehen, bückte sich, als müsse er ein Band seines Schnürstiefels richten, und musterte den Schwarzen Magier unter dem Wulst seines Helmes hervor.
Der Mann hatte die Augen geschlossen. Auf seinen Zügen lag ein angespannter, konzentrierter Ausdruck, und seine Hände vollführten kleine, komplizierte Bewegungen, zu denen seine Lippen unhörbare Beschwörungen murmelten. Die Männer in seiner Nähe wirkten nervös, und auch Torian spürte eine stärker werdende Unruhe, die nicht allein mit seiner Furcht zu tun hatte. Irgend etwas ging von dem Magier aus, etwas Unsichtbares und Düsteres. Seine Hand glitt unter den Umhang und zum Schwert, während er in Gedanken seine Chancen überschlug. Wie es schien, war der Magier gerade in eine seiner Beschwörungen vertieft, und seine Leibgarde hatte mehr damit zu tun, ihre eigene Furcht im Zaum zu halten, als auf ihre Umgebung zu achten. Und sie fühlten sich sicher. Ein knisternder Laut drang in seine Überlegungen; ein Laut wie das Zischen eines Blitzes, aber heller, gefährlicher und auf schwer zu fassende Weise feindselig. Torian richtete sich auf, blickte in die Runde – und unterdrückte im letzten Moment einen erschrockenen Ausruf.
Der Magier stand weiterhin starr und mit geschlossenen Augen inmitten seiner Männer, aber er hatte jetzt die Arme erhoben und die Finger in einer vieldeutigen Geste ineinander verwoben. Seine aneinandergelegten Hände wiesen nach oben, direkt auf den Eingang der Höhle, in der sich Bagain und seine Krieger verschanzt hatten, und für einen Moment glaubte Torian zu erkennen, wie die Luft vor seinen Händen zu flimmern begann, als stiegen Wellen von Hitze aus seinen Fingerspitzen.