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»Wie lange ist das alles her?« fragte Benedicta. »Oh, ungefähr fünf Jahre. Ist das alles, Pater?« Athelstan nickte und sah seinem Sakristan nach, als er davonwatschelte.

»Tja, Benedicta, da hast du eine Antwort. Keine Akten, keine Bücher, keine Geschichte.« Er zuckte die Achseln. »Wer weiß? Vielleicht hat das Skelett etwas mit Fitzwolfes frevelhaftem Treiben zu tun.«

Benedicta sah ihn scharf an. »Das bezweifle ich. Einer wie Fitzwolfe, wahrhaftig ein König der Schurken, hätte unzählige Stellen gewußt, um einen Leichnam zu verstecken. Bis zum Fluß, Pater, sind es schließlich nur ein paar Schritte. Nein, entweder wurde der Leichnam hier begraben, bevor die Kirche gebaut wurde, oder …«

»Oder bei ihrem Wiederaufbau hierhergelegt«, unterbrach Athelstan sie. »Concedo, Benedicta, deine Logik ist unangreifbar. Und das bedeutet, ich muß herausfinden, wann die Kirche gebaut wurde und ob die Steinplatten schon einmal ausgetauscht worden sind. Cranston wird uns dabei helfen müssen. Aber bitte« - er wechselte das Thema -, »sag mir doch den Vornamen deines Mannes. Und wie sah er aus?« Benedicta blinzelte und schaute weg. »Er hieß James. Er war groß, von mittlerer Statur, blond. Er trug das Haar dicht und lang, harte einen Schnurrbart und eine Narbe von einem Messerschnitt unter dem rechten Auge.« Athelstan dankte ihr, und eine Zeitlang standen sie noch da und überlegten, wie die Pfarrgemeinde wohl reagieren würde. Dann kam der Kesselflicker mit dem wichtigtuerischen, kurzsichtigen Bladdersniff und dem weißhaarigen, fröhlich blickenden Culpepper zurück.

»Was ist los, Pater?« Der Büttel reckte den Kopf vor wie eine wütende Gans; seine Augen waren schmal, seine Lippen geschürzt.

Athelstan seufzte und zog es vor, den dicken, erstickenden Bierdunst zu ignorieren, der den Kerl wie ein Parfüm umwallte.

»Ich brauche Euch, Master Bladdersniff, und Euch, mein guter Doktor, denn man hat einen Leichnam gefunden - oder, besser gesagt, ein Skelett. Kommt mit.« Sie gingen zurück in die Kirche. Bladdersniff inspizierte leicht schwankend das Skelett; er schnüffelte und murmelte vor sich hin. Schließlich richtete er sich auf, schob die Daumen unter den breiten Gürtel und verkündete: »Es ist tot, und es ist ein Skelett!«

Cecily und Benedicta fingen sofort an zu kichern. Der Büttel warf einen mißtrauischen Blick auf Pike, der hinter ihm stand und jede seiner Bewegungen so akkurat nachahmte, daß selbst Athelstan wegschauen mußte. Der Arzt Culpepper war eine größere Hilfe. Er hockte sich nieder und untersuchte das Skelett gründlich.

»Keine Spuren von Gewalt«, stellte er fest. »Die Knochen sind zart, glatt und frisch.«

»Also ist es erst vor kurzem begraben worden?« fragte Athelstan hoffnungsvoll.

»Ah, nein.« Der alte Arzt schaute Athelstan aus tränenden Augen an. »Ihr kennt die Londoner Tonerde, Pater. Die kann einen Knochen schön frisch halten. Gott weiß, wann dieses arme Ding begraben wurde. Aber eines kann ich Euch doch sagen: Dies ist das Skelett einer jungen Frau.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Eine bloße Vermutung. Aber angesichts der Feinheit der Knochen, der Konturen der Rippen, der Arme und Beine, denke ich, daß ich recht habe.«

Athelstan bedankte sich bei beiden und beharrte noch einmal darauf, daß jedermann die Kirche verlasse; er scheuchte sie vor sich her wie eine Bäuerin eine Schar Hühner und rief den Arbeitern zu, sie sollten weitermachen. Draußen befahl er Watkin, niemanden hineinzulassen. Seine Gemeinde versammelte sich um Bladdersniff und Culpepper und bestürmte sie mit eifrigen Fragen. Benedicta berührte Athelstans Hand.

»Alles wird gut, Pater. Dieses Geheimnis wird sich bestimmt sehr bald lösen.«

Er umfaßte ihre warmen Finger. »Ich danke dir. Benedicta. Und du sei auch beruhigt. Ich werde diesen Brief nach Boulogne schreiben.«

Er ging wieder in sein Haus und verriegelte die Tür hinter sich. Bonaventura kam auch; er sprang durch das offene Fenster, offenbar stolz wie ein Pfau nach seiner erfolgreichen Jagd in der Kirche. Eine Zeitlang saß Athelstan nur da und dachte über das Geschehene nach; er bedauerte, daß sein Seelenfrieden so abrupt gestört worden war. Endlich seufzte er und nahm Tintenhorn und Pergamentrollen herunter. Er beendete gerade die letzte Fassung seines Briefes an die Dominikaner in der Nähe von Boulogne, als es leise an der Tür klopfte.

»Herein«, rief er.

Dann fiel ihm ein, daß er sich eingeschlossen hatte; er stand auf und zog den Riegel zurück. Halb erwartete er, Benedicta zu sehen, aber zu seiner Überraschung stand Cranston da und schaute ihn düster an. Athelstan trat erstaunt zurück und winkte ihn herein. Cranston kam wie ein Schlafwandler in die Küche. Da stimmt etwas nicht, dachte Athelstan. Der große, dicke Coroner erschien sonst immer wie ein Unwetter aus dem Norden: lautstark und mit viel Gepolter. »Sir John, es ist eine Freude, Euer liebreizendes Antlitz zu sehen.«

»Quatsch!« knurrte Cranston und ließ sich auf einen Schemel fallen. »Hat dieser faule Halunke, der Leif, dir meine Botschaft gebracht?«

Athelstan setzte sich ihm gegenüber. »Lady Maude?«

»Der geht es gut.«

»Und die zwei Kerlchen?« Athelstan benutzte das Wort, mit dem Cranston seine Zwillinge oft bezeichnete. »Lustig und hungrig.« Der Coroner wischte sich den Schweiß von der Stirn und schob sein fettes, rotes Gesicht näher an Athelstan heran. Der Ordensbruder zuckte zusammen, als er den Zorn in den eisblauen Tiefen der Augen erblickte. »Sir John, Ihr seid aufgebracht. Einen Becher Wein?«

»Scheiß auf so was!« fauchte Cranston. »Was ich brauche, ist ein großer Krug Ale. Laß uns in eine Schenke gehen.« Athelstan war einverstanden; aber innerlich stöhnte er. »Was schreibst du da?« Cranston deutete mit seinem dicken Finger auf den Brief.

Der Bruder erklärte es ihm, und Cranston grinste durchtrieben.

»Dann ist Benedicta vielleicht keine Witwe mehr?«

»Sir John, Ihr tut mir unrecht.«

»Aye.« Cranston steckte den Brief ein. »Ich lasse das verdammte Ding versiegeln und überbringen. Dann kommt ihr Mann zurück, und du kannst eine andere anhimmeln.« Athelstan schluckte eine voreilige Antwort herunter, und Bonaventura sprang auf das Fensterbrett. Der Kater warf einen Blick auf den Coroner, und Athelstan hätte geschworen, daß Bonaventura in diesem Moment grinste, wenn ein Tier überhaupt grinsen konnte. Der alte Kater sprang hinaus und kam mit einer großen Ratte im Maul wieder herein. Er glitt durch die Küche und legte Cranston die grausige Trophäe vor die Füße wie eine Rose oder einen Silberbecher. Der Coroner verzog das Gesicht und zog die Füße weg. »Hau ab, Bonaventura!« grollte er, aber das Entzücken des Katers über den Anblick des fetten Coroners stieg offenbar noch, und er rieb sich an Sir Johns stämmigem Bein. »Na, jetzt langt's«, murmelte Athelstan. Er stand auf, faßte das tote Nagetier beim Schwanz und trug es, gefolgt von einem aufmerksamen Bonaventura, nach draußen, wo er es ins Gras warf. Er ging noch einmal hinein, wusch sich die Hände, und verließ dann, begleitet von dem immer noch vor sich hin murrenden Cranston, das Haus. Sie gingen an der Kirche vorbei.

Zwei von Watkins Kindern standen dort Wache, aber Athelstan sah zu seinem Schrecken, daß zahlreiche Menschen sich versammelt hatten, die aufgeregt durcheinanderredeten und auf die Kirchentür deuteten.

»Was ist los mit diesen faulen Halunken?« knurrte Cranston.

»Das sag ich Euch später, Sir John.«

In der Schenke war es ruhig; die Bewohner der häßlichen Gassen und engen Behausungen von Southwark genossen anscheinend das schöne Wetter, entweder unten am Fluß oder in ihren kleinen Gärten. Der einarmige ehemalige Pirat, dem die Schenke gehörte, begrüßte Sir John wie einen lange vermißten Bruder und ignorierte die finsteren Blicke und gemurmelten Flüche.

»Ale!« brüllte Cranston schließlich. »Gutes, schweres Ale mit einer schönen Krone! Nicht deine Themse-Brühe.« Er warf dem Burschen eine Münze zu, die der geschickt auffing. »Und für dich, Bruder, einen Becher verdünnten Wein?«