»Nein, Sir John; heute ist schließlich Sonntag. Ich trinke Ale wie Ihr; ich denke, ich werde es brauchen.« Der Schankwirt hörte, was er sagte. Seine Augenfältchen vertieften sich vor Freude über die Aussicht auf weitere Kundschaft. »Aye, Pater«, sagte er, »wir haben die Geschichte alle schon gehört. St. Erconwald wird berühmt.«
»Was für eine Geschichte?« fragte Cranston leise, als sie unter dem Fenster Platz genommen hatten, wo es Licht und eine leichte Brise gab.
Athelstan holte tief Luft und berichtete kurz, was wenige Stunden zuvor in der Kirche gefunden worden war. Cranston hörte bis zum Ende zu. »Und was hältst du davon, Mönch?«
»Ordensbruder, Sir John. Vergeßt nicht, ich bin ein Ordensbruder.«
»Wen kümmert das?« kläffte der Coroner. »Glaubst du, es sind die Überreste eines Heiligen?«
Athelstan wartete, bis der Wirt ihnen das Ale gebracht hatte. »Nein, dazu ist die Kirche nicht alt genug. Aber daß keine Unterlagen mehr da sind, ist natürlich nicht hilfreich. Der letzte Pfarramtsinhaber hat sich mit allem, was er tragen konnte, aus dem Staub gemacht. Vielleicht kennt Ihr ihn, Sir John? William Fitzwolfe?«
Cranston trank seinen Krug halb leer und rieb sich die fleischige Nase. Athelstan beobachtete ihn erwartungsvoll. Es gab keinen Schurken in London, über den Cranston nichts wußte. Der Coroner pustete die Wangen auf. »Ah ja, ich erinnere mich an den Dreckskerl. William Fitzwolfe, seines Amtes enthoben und exkommuniziert. Seit fünf Jahren steht er auf der Liste der Leute, mit denen ich gern ein Wörtchen reden würde. Der Bursche soll sich in der Stadt versteckt halten.«
»Ich brauche die Chroniken der Kirche«, sagte Athelstan. »Ich muß wissen, was dort vorher stand und wann der Altarraum mit Steinplatten ausgelegt wurde.«
»Dabei kann ich dir helfen«, sagte Cranston. »Die Gemeindebehörden haben ihre eigenen Archive. Ich werde einen Schreiber, der gerade nichts zu tun hat, ein bißchen herumstöbern lassen; mal sehen, was er findet.«
»Und Fitzwolfe?«
»Nun, wenn er ein entlassener Priester ist, der sich des Sakrilegs und jedes anderen Verbrechens gegen die Gesetze schuldig gemacht hat, dann wird eine Belohnung auf ihn ausgesetzt sein. Ich, mein geliebter Ordensbruder, werde diese Belohnung erhöhen und meine Truppe von Informanten wissen lassen, daß derjenige, der diesen Spitzbuben zur Strecke bringt, meine Gunst gewinnt. Ich kenne diese Halunken besser als du; die brauchen das.«
»Sir John, Ihr seid sehr großzügig.«
»Quatsch! Du hast noch gar nicht gefragt, weshalb ich gekommen bin.«
»Wieder ein Mord?«
»Nun, ja und nein.« Cranston grinste boshaft. »Jetzt habe ich dich neugierig gemacht. Aber laß uns noch mal zu deiner albernen kleinen Kirche zurückgehen, bevor ich dir das Drum und Dran erzähle. Es wird bald dunkel, und ich möchte gern einen Blick auf dein mysteriöses Skelett werfen.«
DREI
Langsam wanderten Athelstan und Cranston zurück nach St. Erconwald. Die Menschenmenge war immer noch da, aber eine kurze, unverblümte Ansprache ihres Pfarrers ließ sie bald auseinandergehen; nur der schlaftrunkene Crim stand noch Wache vor der Tür.
»Die Arbeiter sind gleich fertig, Pater.«
»Gut«, sagte Athelstan. »Du kannst dann gehen, Crim.« Er warf dem Jungen einen Penny zu.
Athelstan stöhnte auf, als er die Kirche betrat und den Staub sah, der jetzt alles bedeckte.
»Man könnte meinen, hier hätte eine Belagerung stattgefunden«, kicherte Cranston, machte aber sofort ein ernstes Gesicht, als Athelstan ihn mit schmalen Augen anfunkelte und dann zu den Arbeitern hinübersah, die geschäftig ihr Werkzeug in Taschen mit Ledergriffen packten. »Keine weiteren Skelette, Pater«, meldete der Vorarbeiter. Das leise Lachen, das sein Scherz hervorrief, brach ab, als Athelstan mit großen Schritten auf ihn zukam. »Das war nur Spaß, Pater«, sagte der Vorarbeiter. »Ihr könnt uns nicht verantwortlich machen.« Verzweifelt bemüht, das Thema zu wechseln, deutete er in den Chor. »Schaut, die meisten Platten sind raus.«
Athelstan schaute sich um. Der Boden des Altarraums bestand jetzt nur noch aus gestampftem Lehm; wo der Altar gestanden hatte, gähnte ein furchtbares Loch. Die Steine lagen säuberlich gestapelt an der Wand, und alter Kies und Sand waren zu Haufen geschaufelt. Athelstan faßte den Mann bei der Schulter. »Ihr habt gute Arbeit gemacht«, stellte er fest und ging zu den Steinen, um sie genauer anzusehen. »Hier« - er wühlte in seiner Börse nach einer Münze und warf sie dem Vorarbeiter zu -, »trinkt einen Topf Ale. Ihr bekommt euren vollständigen Lohn, wenn die Arbeit getan ist. Aber du siehst aus, als hättest du Erfahrung als Steinmetz.« Er klopfte auf eine der Platten. »Also sag mir: Wurden diese Steinplatten verlegt, als die Kirche gebaut wurde?«
»Nein«, antwortete der Mann. »Die sind hastig gelegt worden, und vor nicht allzu langer Zeit.«
»Wann?«
Der Mann zuckte die Achseln. »Vor ungefähr zehn Jahren, vielleicht mehr. Seht Ihr, Pater« - sein staubiger Stiefel tappte auf den gestampften Lehmboden - »ich schätze, diese Kirche ist ungefähr hundertfünfzig Jahre alt, und als sie gebaut wurde, hatte sie noch keinen Altarstein, sondern nur festgestampfte Erde. In London findet Ihr heute noch solche Kirchen. Weil wir so nah am Fluß sind, ist der Boden feucht; ich nehme an, einer der Priester hat jemanden beauftragt, die Steinplatten zu legen. Der Mann hat sogar sein Zeichen hinterlassen.« Der Arbeiter nahm eine Kerze aus dem Holzkasten vor der Statue Unserer Lieben Muttergottes. Er zündete sie an und hielt sie dicht an eine der Platten. »Seht!« sagte er. »Da ist das Zeichen eines Steinmetzes.« Athelstan und Cranston betrachteten die drei Lettern, die dort eingemeißelt waren: A.Q.D. »Was bedeutet das?« fragte Athelstan.
»Nun, jeder Maurer hat sein Zeichen«, erklärte Cranston. »Und das hier gehört offenbar dem Mann, der den Chor ausgelegt hat.«
»Könnten wir herausfinden, wer das ist?«
»Das bezweifle ich«, meinte der Arbeiter. »Allein in Southwark gibt es Dutzende von Maurern und Steinmetzen. Und wer weiß? Der Priester hat vielleicht jemanden von der anderen Seite des Flusses geholt oder sogar aus einem der Dörfer außerhalb von London. Ich kenne das Zeichen jedenfalls nicht.« Er nahm seine Tasche und winkte seinen Leuten. »Das ist alles, was ich Euch erzählen kann, Pater. Kommt, Leute, unsere Kehlen sind trocken!«
»Macht die Tür hinter euch zu!« rief Athelstan. Er wartete, bis sie weg waren; dann führte er Cranston zu dem großen Gemeindesarg. Er und Cranston studierten das Skelett gründlich, und Athelstan erzählte dem Coroner, was er bisher erfahren hatte.
»Ich gebe dem guten Doktor recht«, erklärte Cranston, und seine Stimme klang hohl durch die dunkle Kirche. »Ich glaube auch, daß es eine Frau ist.« Er befingerte das Kreuz und rieb das zerbröselnde Holz. »Das Fleisch ist ziemlich schnell verwest; im Lehmboden haben sich zwar die Knochen gut erhalten, aber das Holz nicht.« Er nahm das Kreuz zur Hand; im Grunde waren es nur zwei zusammengenagelte Holzstücke. »Sehr plump«, stellte er fest. »Im Kern ist das Holz noch hart. Weißt du, Pater, wenn ich raten soll, so würde ich sagen, diese junge Lady wurde vor höchstens fünfzehn Jahren hier begraben.«
»Zur gleichen Zeit, als auch die Steinplatten verlegt wurden?«
»Genau.« Cranston holte tief Luft. »Gott verzeih mir.« Er hob das Gerippe hoch und drückte den Kopf nach hinten, ohne sich um das Knacken der Halswirbelknochen zu kümmern. Er spähte in den Schädel hinein und holte die Kerze näher heran, bis der Hohlraum darin gespenstisch leuchtete. »Interessant«, murmelte er. »Was denn, Sir John?«