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»Überall folgen mir Mord und Totschlag«, flüsterte er, »sie schleppen sich hinter mir her wie eine Bestie aus der Hölle.

Einen Fehler habe ich begangen, Sir John, und wie habe ich dafür bezahlt!«

Cranston stand auf, stellte sich neben ihn und klopfte ihm sanft auf die Schulter.

»Du hast nichts Unrechtes getan, Athelstan«, sagte er leise. »Du warst ein junger Mann, der in den Krieg zog. Du hast deinen jüngeren Bruder mitgenommen. Es war Gottes Wille, daß er fiel. Wenn dafür bezahlt werden mußte, so hast du es getan. Jetzt gibt es einen neuen Francis, meinen Sohn und dein Patenkind. Das Leben geht weiter, Bruder. Ich sehe dich Mittwoch.«

Cranston öffnete die Tür und verschwand in der Abenddämmerung.

Athelstan blieb sitzen und hörte, wie er wegging. Dann ging er zum Fenster und starrte hinauf zum dunklen Turm von St. Erconwald. Er atmete tief und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Pater Prior würde warten müssen, und das Skelett in der Kirche ebenfalls. Heute abend würde er nicht die Sterne studieren, sondern das Problem analysieren, das Cranston mitgebracht hatte.

Er setzte sich an den Tisch und studierte das Manuskript, das Cranston dagelassen hatte. Wie hatten diese Männer im scharlachroten Gemach so raffiniert ermordet werden können? »Nichts zu essen«, flüsterte er, »nichts zu trinken, keine Falltüren und keine verborgenen Vorrichtungen. Kein lautloser Mörder. Wie also sind diese Männer gestorben?« Athelstan durchdachte alle Möglichkeiten, aber die Todesfälle waren scheinbar so einfach - es gab keinen Hinweis, keinen Haken, an dem man einen Verdacht hätte befestigen, keinen Spalt, den man hätte aufbrechen können. Athelstan fielen die Augen zu. Jäh schrak er hoch. Die Kerze war heruntergebrannt. Irgendwie, folgerte er, lag der Schlüssel zu all den Todesfällen bei den letzten beiden. Was hatte den Armbrustschützen so erschreckt, daß er seinen Kameraden erschossen hatte?

Wieder fiel ihm der Kopf auf die Brust, und er versank in einem tiefen Traum: Er saß in einer scharlachroten Kammer, und die Gestalt des Todes mit seinem Totenkopfgesicht drehte sich in seltsamem Tanz, während eine lautlose Macht langsam und drohend immer näher kam. Am nächsten Morgen erwachte Athelstan frierend und steif; er saß noch immer am Tisch, den Kopf auf die Arme gelegt, und Bonaventura rieb sich auffordernd an seinem Bein. Irgendwo zwischen den schmutzigen Hütten und Behausungen von Southwark krähte ein Hahn sein Morgenlied in die aufgehende Sonne. Der Priester stand auf und streckte sich; er rieb sich das Gesicht und wünschte, er wäre ins Bett gegangen. Er rollte das Pergament zusammen, das Cranston ihm gegeben hatte, und brachte es hinauf in seine Schlafkammer, um es dort in die Truhe zu legen. Dann zog er sich aus, wusch sich mit einem nassen Lappen, rasierte sich und versuchte, sich auf die Messe zu konzentrieren, die er lesen mußte. Er durfte sich nicht von den Gedanken ablenken lassen, die ihm im Kopf herumgingen. Er putzte sich die Zähne mit einem Gemisch aus Salz und Essig, holte seine zweite Kutte hervor, aß zum Frühstück ein bißchen altbackenes Brot und fütterte geistesabwesend Bonaventura, der die Nacht anscheinend mit einem Streifzug durch sein Königreich in den Gassen rings um die Kirche verbracht hatte. »Irgend etwas sagt mir, Bonaventura«, meinte Athelstan leise, als er sich niederhockte, um den zerzausten Kater zu füttern, »daß dies ein seltsamer Tag werden wird.« Er ging hinüber in die Kirche und las allein die Messe an einem behelfsmäßigen Altar in der Mitte des Kirchenschiffs. Sorgfältig vermied er jeden Blick auf den Sarg mit seinem grausigen Inhalt, der zu seiner Linken stand. Niemand außer Pemel, der Flamin, kam, und sie schien sich mehr für den Sarg zu interessieren. Athelstan beendete seine Messe und räumte den Altar für die Bauarbeiter ab. Er fütterte Philomel und ließ das Schlachtroß mit locker zusammengebundenen Vorderbeinen in seinem kleinen Garten herumlaufen, damit es ein wenig Bewegung hatte. Dann kehrte er ins Haus zurück. Er beschloß, sich auf die Zusammenstellung der Liste der benötigten Vorräte zu konzentrieren, ehe er sich wieder den Skizzen zuwandte, die zeigten, wie der neue Chor aussehen sollte. Aber er war immer noch hungrig und rastlos, und so verschloß er sein Haus und ging zu einer Garküche in der Blowbladder Alley.

Er kaufte sich eine knusprige Fleischpastete und einen Teller Gemüse mit Sauce; dann setzte er sich draußen an die Wand und genoß die heiße Tunke und den würzigen Duft. Ein Betder, dem für irgendein früheres Verbrechen die Nase aufgeschlitzt worden war, kam herangekrochen und winselte um Almosen. Athelstan gab ihm zwei Pennys. Der Kerl verschwand in der Garküche, kaufte dem Fettkloß von Bäcker ein paar Pasteten ab und setzte sich neben Athelstan. Nach einer halben Stunde hatte Athelstan genug von seinen weitschweifigen Geschichten über seine Heldentaten als Soldat und beschloß, einen Spaziergang zu machen. Er mochte Southwark in der Frühe immer gern, trotz der überlaufenden Gassenrinnen, der faulig stinkenden Abfallberge und der Bewohner der Unterwelt, die sich jetzt in ihre Kämmerchen verdrückten, um dort die Rückkehr der Nacht abzuwarten. Eine Hure, deren scharlachrote Perücke schief saß, lehnte an einer Wand und schrie freundliche Schmähungen zu ihm herüber. Ein Trödler mit einem Karren voll angestoßener Äpfel stellte sich unten bei der Brücke auf und wartete auf morgendliche Kundschaft. Ein Tagelöhner, der seine Packtiere hinter sich herzog, ging eilig vorüber, entschlossen, Southwark hinter sich zu bringen, bevor das Tagesgeschäft begann. An der kleinen Kreuzung zwischen Stinking Alley und Pig Lane hockte eine Gruppe von Aussätzigen eng beieinander, die Köpfe von Kapuzen verhüllt, die Gesichter maskiert; sie schauten einer verrückten Zigeunerin zu, die einen seltsamen, lautlosen Tanz vollführte. Athelstan blieb stehen und schaute zwischen den überhängenden Häusern hoch. Der Himmel war inzwischen von Licht überstrahlt, und so machte er sich auf den Heimweg, immer noch entschlossen, einen klaren Kopf zu bewahren. Er räumte auf, spülte die Becher ab und fegte den Fußboden. Draußen erwachte Southwark, geweckt vom Rumpeln der Karren, dem Geschrei der Kinder und den Rufen der Händler. Eine kleine Schar versammelte sich nach und nach vor der Kirche; die Arbeiter kamen und taten ihre Anwesenheit mit lauten Flüchen und Werkzeuggeklapper kund. Athelstan beschloß, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Er ging nach oben, kniete auf seinem kleinen Betstuhl nieder und begann mit seiner Morgenandacht: Frühgebet, Lobgesang und None. Er konzentrierte sich auf das Mysterium der Psalmen, die Lobpreisungen und die anschaulichen Beschreibungen vom Propheten Jesaja.

Unten hörte er einen Tumult, aber er beschloß, sich nicht darum zu kümmern. Mehrere Rufe und Aufschreie folgten, dann wurde laut an seiner Tür geklopft. Er flüsterte ein letztes Gebet und eilte nach unten. Watkin und Pike standen da, und ihre Gesichter glänzten vor Aufregung. »Pater, Pater, Ihr müßt kommen! Ein Wunder ist geschehen!«

»Jeder neue Tag ist ein Wunder«, versetzte er schroff. »Nein, Pater, ein richtiges Wunder!«

Sie zerrten ihn aus dem Haus und vor die Kirche, wo sich eine kleine Menschenmenge versammelt hatte. Die Leute umringten einen großen, weißhaarigen Mann, der den Ärmel seines grünen Mantels hochgeschoben hatte und aller Welt seinen Arm zeigte.

»Was gibt's?« bellte Athelstan und drängte sich durch die Menge.

Der Mann drehte sich um. Er hatte ein breites, sonnengebräuntes Gesicht. Athelstan bemerkte die Lachfältchen um Mund und Augen und die gute Qualität seiner Kleider. Neben ihm stand eine Frau; kastanienbraune Löckchen lugten unter einer hellblauen Haube hervor, und der butterblumengelbe Kittel über ihrem weißen Hemd sah teuer aus, gutgeschnitten und sauber. Der Mann lächelte Athelstan an. »Pater, ein Wunder.«

»Unsinn!« fauchte Athelstan.