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Callixtus lehnte sich zurück und kicherte trocken; William de Conches schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Athelstan ist in Ungnade!« rief er. »Er hat sein Gelübde gebrochen und ist aus dem Noviziat entflohen.«

»Gott hat Mitleid«, warf Bruder Henry ein. »Warum also sollten wir keines haben? Bruder Athelstan ist in der Kunst der Befragung ebenso geschickt und erfindungsreich wie Ihr. Ich stimme Pater Prior zu. Wir sind hier zusammengekommen, um über bestimmte Thesen zu debattieren, aber ich spüre noch etwas anderes hier, eine Bosheit und Feindseligkeit, die nichts mit Theologie oder Philosophie zu tun haben.«

»Ach, wirklich?« fragte Callixtus so sarkastisch, daß der Prior angesichts der offenkundigen Abneigung des alten Bibliothekars gegen den jungen Theologen zusammenzuckte. »Ja, wirklich!« gab Henry zurück.

Der Prior schaltete sich ein. »Dann wird diese Angelegenheit vertagt, bis Athelstan und Sir John Cranston eingetroffen sind.« Er erhob sich. »Bis dann, Brüder.« Er nickte, machte eine flüchtige Segensgeste, und die Sitzung war zu Ende.

Das Kapitel polterte hinaus; nur William de Conches und Eugenius blieben sitzen. Sie warteten, bis die Tür geschlossen war, bevor sie sich erbost dem Prior zuwandten. »Was soll das?« schnarrte William. »Wir haben nicht die Reise von Rom hierher gemacht, um mit den profanen Angelegenheiten eines Klosters unsere Zeit zu verschwenden.«

»Hier bin ich Pater Prior«, gab Anselm zurück, »der offizielle Hüter dieses Klosters. Ihr seid meine Gäste - Ihr werdet meinen Anweisungen folgen oder abreisen. Wenn Ihr das tut, werde ich allerdings meinem Pater Generalis in Rom darüber Bericht erstatten.«

»Dieser Athelstan«, begann Eugenius, »er arbeitet unter den Armen?« Er faltete die Hände. »Ist es wahr, was man sich erzählt, Pater Prior, daß er sich von gewissen radikalen Theologen hat anstecken lassen, denen zufolge alle Menschen gleich sind?« Er redete sich warm. »Ich beziehe mich dabei vor allem auf jene Agitatoren, die Kirche und Staat umstürzen wollen, weil sie ein irdisches Paradies anstreben.« Anselm funkelte den heuchlerischen Priester an, der so sehr daran gewöhnt war, andere im Netz der Ketzerei zu verstricken. Er biß sich auf die Lippe, dann beugte er sich vor. »Bruder Eugenius«, sagte er zuckersüß, »Ihr selbst führt ketzerische Reden. Tatsächlich leugnet Ihr die Schrift, denn hat nicht Christus, unser Herr, Seinen Jüngern gesagt, wir sollten nicht sein wie die Heiden, die sich gern zum Herrn über andere machen und es schätzen, wenn andere die Knie vor ihnen beugen?« Der Blick des Inquisitionsgehilfen wurde stechend, und die Debatte wäre vielleicht hitziger geworden, wäre sie nicht durch ein Klopfen an der Tür beendet worden. »Herein!« befahl Anselm.

Roger, der Subsakristan, trat ein; sein hageres Gesicht war voller Angst, und seine dicht beieinanderliegenden Augen blickten wachsam. Mit hochgezogenen Schultern kam er hereingeschlurft, warf einen Blick auf den Großinquisitor und wäre wieder hinausgehuscht, wenn Anselm ihn nicht fest beim Handgelenk gepackt hätte. »Bruder Roger, was gibt es?«

Der Subsakristan kratzte sich im schütteren Haar und blickte zur Seite. »Pater Prior«, murmelte er und rieb sich den Schädel. »Ich hatte Euch etwas zu erzählen. Etwas mit dreizehn, und daß es keine dreizehn hätten sein dürfen.« Mit bangem Blick sah er Anselm an. »Aber jetzt kann ich mich nicht mehr erinnern, Pater Prior. Es ist wichtig - aber ich kann mich nicht mehr erinnern!«

Anselm ließ das Handgelenk des Armen los. »Denk eine Weile nach«, sagte er, »und dann kommst du wieder.«

Der Subsakristan floh wie ein verängstigtes Karnickel. »Der Mann ist ein Idiot!« zischte der Großinquisitor. »Nein, Master William, er ist ein Kind Gottes, das vor Angst von Sinnen ist. Und Gott weiß: In diesem Kloster gibt es etwas Beängstigendes, Dunkles und Unheimliches.« Mit diesen Worten nickte Anselm den beiden zu und spazierte hinaus.

*

Prior Anselms Ahnungen erwiesen sich als zutreffend. Am selben Nachmittag, als die Vesper gesungen war und die Brüder sich entweder in ihre Zellen zurückgezogen hatten oder in der Kühle des vom Kreuzgang umspannten Gartens spazierengingen, kehrte Bruder Callixtus in die Bibliothek und das Scriptorium zurück.

Gegen die Vorschrift zündete er die hohen Kerzen wieder an, damit er seine Suche fortsetzen konnte. Callixtus war eines der belesensten Mitglieder des Dominikaner-Ordens und stolz auf sein wunderbares Gedächtnis. Er interessierte sich für die Debatte des Generalkapitels und wollte sich einen Namen machen. Er vergewisserte sich, daß die Tür des Scriptoriums geschlossen war, bevor er aufmerksam die Regale studierte, die bis zur Decke reichten. Sie enthielten lederne Bücher, in die die Abhandlungen und Schriften der Kirchenväter sorgfältig gebunden waren. Im Laufe des Tages hatte Callixtus die unteren Regale durchsucht, aber jetzt wollte er seine Arbeit vollenden; schließlich ging es darum, das Manuskript zu finden, in dem stand, was er brauchte. Callixtus hatte sich Alcuin gegenüber damit gebrüstet, daß er das könne; allerdings hatte er sich auf die Frage nach weiteren Einzelheiten nur an die lange, knochige Nase getippt. Er würde diesen Theologen zeigen, daß es nichts Neues gab unter der Sonne und daß die größten Gelehrten die Bücherliebhaber waren.

Callixtus zündete noch ein paar Kerzen an und starrte die Regale an, die turmhoch vor ihm aufragten. Er schob die lange Leiter an die gewünschte Stelle und kletterte vorsichtig hinauf, eine Kerze fest in der Hand. Er betrachtete die goldenen Lettern auf dem Rücken eines Buches, die ein früherer Bibliothekar darauf geprägt hatte:

Briefe, Bücher und Dokumente des Apostolischen Zeitalters. Callixtus grinste und schüttelte den Kopf. Aufmerksam studierte er die anderen. Da hörte er unter sich ein Geräusch. Erschrocken schaute er hinunter.

»Wer ist da?« rief er leise.

Gewiß würde keiner der Brüder hereinkommen, dachte er. Diejenigen, die im Scriptorium arbeiteten, waren jetzt müde; ihre Augen brannten, ihre Finger waren verkrampft, und sie würden nur allzugern die Abendsonne genießen. Callixtus setzte seine fieberhafte Suche fort. Er mußte diesen Band finden, bevor Athelstan kam. Nichts blieb hier lange geheim, und nach dem Abendbrot war der Klatsch wie ein Wildfeuer auf einem trockenen Stoppelfeld durch das Kloster gerast: Athelstan, das schwarze Schaf der Familie, kehrte in den Pferch zurück!

Callixtus hatte nichts gegen Athelstan. Soweit es einem Mann wie ihm möglich war, mochte, ja respektierte er den asketischen und doch humorvollen Gemeindepriester der Armen. Aber er wollte doch nicht, daß Athelstan den ganzen Ruhm einstrich.

Ein Buch fiel ihm ins Auge. Er hielt die Kerze fest und streckte die Hand aus, um danach zu greifen, als die Leiter plötzlich heftig umgedreht wurde. Der Bibliothekar rutschte ab, so erschrocken, daß er nicht einmal schrie, und fiel wie ein Stein auf den Steinboden des Scriptoriums. Ein scharfer Schmerz durchzuckte seinen Körper. Callixtus rang nach Luft, denn der Aufprall hatte ihm den Atem verschlagen; zum Glück war er auf den linken Arm gefallen und so von schlimmeren Verletzungen verschont geblieben. Wieder hörte er ein Geräusch, und trotz der Schmerzensschauer drehte er sich zu der dunklen Schattengestalt um, die sich über ihn beugte.

»Hilf mir!« stöhnte er.

»In die Ewigkeit!« war die gezischte Antwort. Callixtus öffnete den Mund. »Nein«, stöhnte er. »O nein, das wollte ich doch nicht!« Er versuchte davonzukriechen, doch da schlug ihm die verhüllte Gestalt einen schweren Messingleuchter an die Schläfe und brach Callixtus' Schädel wie eine Nuß, so daß Blut und Hirn herausrannen.

*

Am Tag nach dem »großen Wunder« begannen Athelstans Schwierigkeiten erst richtig. Die Neuigkeit von der Heilung verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den stinkenden Gassen von Southwark. Die Kranken und Lahmen strömten zur Kirche und wurden ekstatisch begrüßt von Watkin und Pike, die den Vorplatz von St. Erconwald in einen kleinen Markt verwandelt hatten.