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Lautes Schnarchen war die Antwort. Athelstan erhob sich ungläubig. Cranston lag wie ein Kind auf dem Rücken, ein Lächeln auf dem roten Gesicht, verloren für die Welt. Athelstan zog ihm die Stiefel aus, löste seinen Gürtel und versuchte, es ihm so bequem wie möglich zu machen. Dann blies er die Kerzen aus, kniete vor seinem eigenen Bett nieder, bekreuzigte sich und versuchte, das kirchliche Abendgebet zu sprechen, was aber fast unmöglich war. Seine Gedanken wanderten von einem Problem zum anderen: Bruder Rogers einfältiges Gesicht, Callixtus, kalt und tot, die Inquisitoren mit ihren bösen, vorwurfsvollen Blicken, Cranstons unlösbares Problem, das Chaos vor der Kirche St. Erconwald - und dann Benedicta, wunderschön in ihrer Einsamkeit. Athelstan schüttelte den Kopf, bekreuzigte sich erneut, stieg ins Bett und betete, daß der Schlaf bald kommen möge. Er erwachte früh am nächsten Morgen. Cranston schnarchte immer noch wie ein Schwein im anderen Bett. Der Dominikaner rasierte und wusch sich leise, zog eine saubere Kutte an und schob die Füße in die Riemensandalen. Er schlich sich aus dem Gästehaus und über das nebelverhüllte Gelände, denn die Glocke rief mit gedämpftem Klang zum Lobgebet. Athelstan begab sich zu der Klostergemeinschaft auf ihren Bänken im Chor. Die Mönche sangen Psalmen und lauschten den Lesungen, die Arme verschränkt und die Köpfe gesenkt. Athelstan spürte, daß seine Gegenwart ihre Neugier weckte. Er las seine Messe in einer kleinen Stifterkapelle und versuchte, sich auf das Mysterium der Wandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi zu konzentrieren.

Bruder Norbert war sein Meßdiener und half ihm nachher auch, die Gewänder und heiligen Gefäße wegzuräumen. Danach ging Athelstan ins Refektorium, um eine Schale Hafergrütze mit Milch und Honig und zwei schneeweiße Brötchen zu essen. Er dachte an das karge Frühstück, das es manchmal in St. Erconwald gab, und trank lächelnd einen Schluck von seinem verdünnten Bier. Er saß am ersten Tisch vor der Tür, der für Besucher und Gäste reserviert war. Am Lesepult am oberen Ende des Refektoriums las ein verschlafener Lektor mit eintöniger Stimme aus dem Leben des hl. Dominikus, bis Pater Prior die Glocke läutete und die Gemeinde aufstand und sich zu ihren verschiedenen Aufgaben zerstreute. Athelstan hielt den Blick gesenkt. »Geht es dir gut, Bruder?«

Er blickte auf. Henry von Winchester stand vor ihm. »So gut, wie man es erwarten kann. Nimm doch Platz.« Der junge Theologe ließ sich neben ihm auf die Bank gleiten. Athelstan sah, wie geschmeidig und flink seine Bewegungen waren. Henry war von einer körperlichen Anmut und Gewandtheit, die in schönem Einklang mit seinem scharfen Intellekt standen. »Deine Ermittlungen laufen gut?«

Athelstan verzog das Gesicht. »Ich erzähle es dir später, Bruder, wenn ich dem Pater Prior Bericht erstattet habe. Und deine Abhandlung?«

»Cur Deus homo - Warum Gott Mensch ward.«

»Wenn das Generalkapitel sich für dich ausspricht, wird dein Werk an jeder Universität in Europa studiert werden.« Athelstan versetzte ihm einen spielerischen Rippenstoß. »Und dann, Bruder Henry, hm? Ein Bistum? Ein Kardinalshut? Ein Sitz in der Kurie?«

Henry von Winchester lachte leise, wandte sich ab und spielte mit ein paar Brotkrumen auf dem Tisch. »Ich bin schon froh, wenn ich den Beifall des Großinquisitors gewinne. Hätte ich gewußt, daß meine Arbeit soviel Aufregung verursacht, hätte ich es mir vielleicht noch mal überlegt. Du hast meine Abhandlung gelesen?« Athelstan schüttelte den Kopf.

Bruder Henry überblickte das Refektorium und verzog das Gesicht, als er sah, daß der Pater Prior auf sie zukam.

»Dann schicke ich dir eine Abschrift ins Gästehaus. Bitte lies sie; deine Meinung wäre mir wertvoll.«

Der Theologe stand auf, nickte und ging davon, als der Pater Prior die Ärmel seiner Kutte zurückschlug und zu Athelstan trat.

»Du hast gut geschlafen, Bruder?«

Athelstan ließ das starre Lächeln, das er für Bruder Henry aufgesetzt hatte, verschwinden.

»Pater Prior«, flüsterte er, »ich möchte, daß Ihr die Habe der Brüder Callixtus und Alcuin durchsucht. Ihr seid dazu befugt und ermächtigt. Wenn Ihr etwas Ungewöhnliches findet, laßt es mich bitte sehen.«

Der Prior sah ihn scharf an. »Warum?«

»Ihr habt recht getan, mich herzuholen, Pater. Callixtus wurde ermordet; man hat ihm mit einem Kerzenleuchter den Schädel eingeschlagen. Bruno wurde ermordet, und Gott weiß, wo der Leichnam des armen Alcuin versteckt ist.«

Der Prior wurde bleich. Er ließ den Kopf in die Hände sinken und rieb sich die Augen.

»Du bist sicher?«

»Gott ist mein Zeuge, Pater Prior. Ihr beherbergt einen Meuchelmörder hier in Blackfriars. Ich möchte, daß diese Durchsuchung stattfindet, und heute nachmittag muß das Generalkapitel zusammentreten, damit ich meine Schlußfolgerungen vortragen kann.«

»Muß man hier verhungern?« Cranston stand in der Tür und brüllte ins Refektorium, daß ein alter Bruder fast vor Schreck aus den Sandalen gesprungen wäre. »Bei den Titten einer Fee!« Er funkelte Athelstan an. »Frierend und hungrig wache ich auf, du bist weg, und es ist nichts zu essen da!« Der Prior hob die Hand, schnippte mit den Fingern, und ein Diener brachte ein Tablett mit einer Schüssel köstlich duftender Lammbrühe, einem Berg weißer Brötchen und einem Krug Ale. Cranston riß dem armen Mann das Tablett förmlich aus den Händen und ließ sich neben Athelstan auf die Bank fallen. Er spähte durch das Refektorium, klopfte sich auf den mächtigen Wanst und sah Athelstans Grinsen, die Verblüffung des Priors und die staunenden Augen der Brüder.

»Bei den Zähnen der Hölle!« knurrte er. »Ich habe euer Schweigegelübde ganz vergessen.«

Er schnupperte an dem Fleisch und strahlte in die Runde. »Ach, na ja, ich bitte alle um Entschuldigung. Morgen, Pater Prior, Bruder Athelstan.« Er griff nach dem großen Hornlöffel und machte sich genüßlich über die Schüssel her. Dann wischte er sich den Mund mit dem Tuch ab, das die Brötchen bedeckte, und rülpste. »Ein gutes Essen«, dröhnte er, daß mindestens das halbe Kloster ihn hören konnte, »ist eine Eucharistiefeier. Wenn der liebe Gott nicht gewollt hätte, daß wir essen - na, dann hätte er uns keinen Bauch gegeben und keine leckeren Speisen, um ihn zu füllen! Denn wie sagt der Psalmist? ›Der Wein erfreut des Menschen Herz.«‹ »Das ist der einzige Psalmenvers, den er kennt«, raunte Athelstan dem Prior zu.

Cranston aß genüßlich weiter, und Fleisch und Brot und Bier verschwanden im Handumdrehen. Rasch bekreuzigte er sich, stand auf und stieß Athelstan an.

»Los, Bruder, es ist ein schöner Morgen. Pater Prior, ich habe Euren Obstgarten gesehen. Äpfel und Pflaumen, he? Und die Bienenkörbe sind auch dort?«

Fasziniert von Cranston, nickte der Prior wieder stumm.

Athelstan konnte nur die Achseln zucken, die Augen zum Himmel verdrehen und Cranston eilig folgen, denn dieser marschierte bereits zur Tür hinaus und den Kiesweg hinunter, zu den Klostergärten. Unterwegs blieb er stehen, setzte seine Bibermütze auf und spähte zum dunstigen Himmel hinauf.

»Warte nur, Bruder, es wird ein schöner Tag werden. Hast du mein Rätsel gelöst?«

»Ich habe es versucht, aber Ihr seid darüber eingeschlafen, Mylord Coroner.«

Sir John machte ein unhöfliches Geräusch mit den Lippen. »Und vermutlich gibt es auch in dem reizenden Schlamassel hier keine Fortschritte?«

»Nein, Sir John.«

Sie gingen durch den Kräutergarten, vorbei am Gästehaus und in den großen Obstgarten, der bis zur Außenmauer von Blackfriars hinunterreichte. Cranston schilderte eifrig, wie er in der Nacht geschlafen hatte, als Athelstan plötzlich stehenblieb und seinen Begleiter am Arm festhielt. »Mylord, Coroner, schaut!«

Cranston spähte angestrengt umher, denn noch immer wehte der Dunst um die Bäume.

»Beim Hintern der Königin Mab!« knurrte er und trat einen Schritt vor. »Was ist das denn?«