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»Sir John«, keuchte Athelstan, »mit Euch durch London zu wandern ist ein Erlebnis, das man nie vergißt — und gewiß nicht wiederholen möchte.« Cranston funkelte wütend in die Menge. »In meiner Abhandlung über die Regierung dieser Stadt«, deklamierte er, »verlange ich, daß Schauspieler nur an dafür vorgesehenen Orten auftreten dürfen und eine Lizenz beantragen müssen. Überdies …«

Athelstan hatte genug gehört. Er drehte sich um und klopfte heftig an die Tür.

»Wie du willst«, knurrte Cranston. »Wenn ich mehr Zeit und Geduld hätte, würde ich diese Mistkerle schon auf ihre Plätze verweisen.«

Eine dünne, verkniffen blickende Magd öffnete ihnen die Tür. Sir John drängte sich boshaft grinsend an ihr vorbei. »Sir John!« rief sie erschrocken. »Wir hatten Euch nicht erwartet!«

»Ich komme wie ein Dieb in der Nacht!« dröhnte Cranston. »Und jetzt sag Lady Maude, ihr Herr und Meister ist wieder da.«

»Lady Maude ist auf dem Fleischmarkt im Metzgerviertel, Herr. Sie kommt bald wieder.«

»Und meine beiden kleinen Prinzen?«

»Die sind oben im Söller, Sir John, mit ihrer Amme.« Schwerfällig stapfte Cranston die Treppe hinauf, und Athelstan folgte flink, als Sir John ihm gebieterisch winkte. Im Söller, einem angenehmen, sonnenhellen Raum mit Wandbehängen und Teppichen, saß die Amme auf einer gepolsterten Fensterbank und schaukelte sanft die große Holzwiege neben sich. Als Cranston hereinkam, stand sie auf und machte einen Knicks.

»Laß uns allein«, sagte der Coroner munter. »Lady Maude hat aber gesagt«, widersprach das hübsche Ding flehentlich, »ich soll die Kerlchen nicht allein lassen.« Cranston zog die Brauen zusammen. »Ich bin der Vater dieser Kerlchen!« verkündete er. »Ich kann gut auf sie aufpassen.«

Als die Amme hinausging, warf sie ängstliche Blicke über die Schulter.

»Schau!« flüsterte er. Er beugte sich über die große Wiege und zog die reinwollene Decke zurück, unter der die beiden Kerlchen, wie er sie nannte, fest schliefen. Sir John schob den Kopf noch tiefer unter den linnenen Baldachin und hauchte Weindunst auf seine geliebten Söhne. »Prächtige Jungs!« knurrte er. »Prächtige Jungs!«

Athelstan spähte am struppigen Grauschädel des Coroners vorbei und hatte wieder einmal Mühe, ein ernstes Gesicht zu wahren. Die beiden »prächtigen Jungs«, die »Kerlchen« und »Prinzen« waren in der Tat kräftige Kinder. Mit ihren dicken, kahlen Köpfen, den Grübchen in den Wangen und den roten Gesichtern hatten sie so viel Ähnlichkeit mit Sir John, daß Athelstan, hätte er sie in der Cheapside gefunden, sogleich gewußt hätte, zu welcher Familie sie gehörten. Cranston schob ihn beiseite.

»Prächtige, zufriedene Burschen«, murmelte er. »Sogar wenn sie schlafen, lächeln sie. Sieh nur.« Er beugte sich vor, um den einen - Athelstan vermutete, daß es sich um Francis handelte - am Mundwinkel zu streicheln, war aber zu wacklig auf den Beinen, und die Berührung fiel so unsanft aus, daß der kleine Bursche erwachte. Zwei glänzend blaue Augen schauten zu ihnen auf. »Pst, mein Junge!« flüsterte Cranston. »Wieder einschlafen, los, los!«

Er richtete sich auf, taumelte und gab der Wiege einen kraftvollen Stoß. Nun wachte das andere Kind auch auf, und die beiden Brüder schauten Sir John an. »Siehst du, sie lachen«, sagte Cranston. »Sie sind so froh, ihren Vater zu sehen.«

Fast wie auf ein Zeichen hin zogen die Jungen die Unterlippen herab, rissen die Augen auf und machten ihrer Wut über das jähe, unvermittelte Wecken aus voller Lunge Luft. Der Coroner schob die Wolldecke wieder zurecht und versetzte die Wiege in heftige Schaukelbewegungen. Athelstan konnte nicht anders, er mußte lachen, denn je heftiger der Coroner schaukelte, desto schlimmer wurde der Lärm. Wütend funkelte Cranston ihn an.

»Wirst du wohl verdammt aufhören zu lachen, dummer Mönch? Segne sie lieber, oder singe eine Hymne!«

»Sir John! Was macht Ihr da?«

Cranston wandte sich um wie ein dickbäuchiges Schiff, das sich im Wind dreht. Lady Maude stand in der Tür zum Söller. Sie war kaum mehr als fünf Fuß groß, hatte mausbraunes Haar und war zierlich von Gesicht und Gestalt, aber Athelstan spürte, daß sie wütend war. Und diese Wut war um so furchtbarer, als ein falsches, zuckersüßes Lächeln auf Lady Maudes sonst so heiterem, hübschem Gesicht lag. »Sir John, was tut Ihr da?« fragte sie noch einmal und kam langsam herein. »Ihr kommt in dieses Haus gepoltert wie ein großer Eber, widerruft meine Anordnungen und versetzt die Kinder in Angst und Schrecken! Genügt es nicht, daß Ihr eine Wette eingegangen seid, die« - Lady Maude deutete dramatisch in die Höhe - »das Dach über unseren Köpfen aufs Spiel setzt?«

Sie wandte sich um und rief die Amme. Wenig später ging die Magd, auf jedem Arm ein zappelndes und immer noch wütendes, rotgesichtiges Baby, die Treppe hinunter, und das Geheul der beiden Kleinen verhallte in der Ferne. Cranston verdrehte die Augen zum Himmel und schlich sich zu seinem Lieblingssessel am Kamin. Er sah eine leere Schüssel, die dort in einer Ecke stand.

»War Leif, dieser faule Scheißer, wieder hier?«

»Ja, er hat ein wenig im Garten gearbeitet, weil Ihr, Sir John, ja anderswo beschäftigt wart! In der Gosse, nach Eurer Ausdrucksweise zu urteilen.«

Cranston rutschte noch tiefer in seinen Sessel, und seine Unterlippe senkte sich, so daß Athelstan sich eher an die beiden Säuglinge erinnert fühlte als an den Coroner des Königs für das Nordufer der Themse. Lady Maude kam herbei, baute sich kerzengerade vor ihm auf und verschränkte die Arme.

»Sir John, Ihr habt ein großes Maul und einen großen Bauch - und das einzige, was Euch rettet, ist Euer großes Herz. Manchmal seid Ihr der Schlaueste von allen, und dann wieder« - Lady Maude seufzte - »hat Leif, der Bettler, mehr Verstand. Wie konntet Ihr eine solche Wette eingehen? Eintausend Kronen!«

»Athelstan wird mir helfen«, antwortete Cranston kläglich. Lady Maude warf dem Ordensbruder einen vernichtenden Blick zu, und dieser beschloß, sich zurückzuziehen und das Unwetter drüben auf der Fensterbank abzuwarten. Ratlos saß er da, während Lady Maude ihrem Mann eine Standpauke hielt, einen kurzen, scharfzüngigen Vortrag über die Tugend des gesunden Menschenverstandes und die Vorzüge des Mundhaltens. Cranston, der sich vor niemandem unter der Sonne fürchtete, saß nur da, zog den Kopf ein und hatte die Augen halb geschlossen. Endlich hörte Lady Maude auf; sie holte tief Luft, tätschelte ihrem Mann die Schulter, beugte sich über ihn und küßte ihn sanft auf die Wange. »So, Sir John, ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte.« Sie verschränkte die Hände und schaute Athelstan an. »Willkommen, Bruder. Täglich danke ich Gott dafür, daß Sir John Euch hat. Ich bin sicher« - Athelstan lächelte matt, als er den stählernen Unterton der Drohung in ihrer Stimme hörte -, »ja, ich bin zuversichtlich, daß Ihr meinem Mann in dieser Notlage helfen werdet. Und jetzt, Sir John, einen Becher Rotwein und einen Teller Süßigkeiten. Und Ihr, Bruder? Gut. Es gibt ja nichts Besseres als Honig, um den Geschmack von Essig zu vertreiben. Stimmt's, Sir John?« Cranston hatte den Kopf gesenkt; er nickte heftig, und als Lady Maude davonschwebte, tat er einen langen Seufzer und sackte in seinem Sessel zusammen wie eine Schweinsblase, in die man hineingestochen hat.