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»Die Buchseiten!« fauchte Athelstan. »Ihr habt mir die Buchseiten versprochen.«

Fitzwolfe zuckte die Achseln und ging zum Fußende des Bettes, wo er eine Truhe aufschloß und darin wühlte. Athelstan schaute nach links. Da lag ein in Leder gebundenes Buch, das mit einer Kette an einem Pult befestigt war. Nach einem kurzen Blick schaute er angeekelt weg, denn es war ein Zauberbuch mit Bannsprüchen und schwarzer Magie. An der Wand hinter dem Lesepult hingen Bilder, wie er sie von den Seiten eines Stundenbuches oder der Heiligenlegenden kannte, zart konturiert und farbenprächtig ausgemalt. Das eine zeigte eine Gruppe von Menschen, die einem Prediger zuhörte; aber die Gestalt, die da die Gewänder eines Priesters trug, hatte einen sabbernden Ziegenkopf, und ein mächtiger erigierter Penis ragte aus den Falten seines Gewandes. Auf einem anderen Bild fraß ein Schwein mit Bischofsstab und Mitra kleine Menschenleiber, und auf dem dritten war ein Kirchenschiff zu sehen. Die Säulen erinnerten Athelstan an St. Erconwald, aber der Maler hatte sich sorgfältig der Perspektive bedient, so daß der Betrachter in eine tiefe Grube zu schauen schien. Am anderen Ende, wo der Lettner hätte stehen müssen, leuchtete ein in Silber gemaltes Gesicht mit den rotglühenden Augen und goldenen Lippen eines Dämons. Athelstan wandte den Blick ab. Er hatte das Gefühl, die Luft in der Kammer sei dick, bedrückend, erstickend. Wenn er in die Ecken schaute, war er sicher, daß dort einige Schatten dunkler waren als andere, als lauere dort irgend jemand oder etwas.

»Los, Fitzwolfe!« bellte Athelstan. »Die Seiten!«

»Hier, Bruder.« Fitzwolfe kam langsam zurück; er hielt einen Stoß zerfledderter gelber Blätter in der Hand, lose zusammengehalten von einem roh vernähten Faden. »Was ist los, Athelstan? Gefällt Euch meine Kammer nicht? Mein Unheiligtum der Unheiligtümer?«

Fitzwolfe reichte ihm das Pergament, und eine eiskalte Hand streifte die des Ordensbruders. »Ihr seid doch Priester, Athelstan. Was fürchtet Ihr denn hier?«

Athelstan schrak zusammen, als in einer Ecke ein schlurfendes Geräusch zu hören war. »Was war das?«

»Schaut doch nach, Athelstan«, sagte Fitzwolfe leise. »Schaut selbst nach. Schaut in die Ecke - und was seht Ihr da?« Der Ordensbruder tat, wie geheißen und er machte sich auf etwas wahrhaft Bedrohliches, wirklich Entsetzliches gefaßt. War es eine Gestalt? dachte er. Ein Schatten? Er sah eine elfenbeinhelle, runde Schulter, eine makellos geformte Brust, Haar wie aus gesponnenem Gold, dann hörte er ein leises Lachen. Er packte das Pergament.

»Das gehört mir!« stammelte er. »Es gehört mir.« Fast rannte er zur Tür und riß heftig an der Klinke, aber sie war verschlossen. Hinter sich hörte er, wie Fitzwolfe und noch etwas anderes schlurfend näherkamen. Er tastete nach dem Schloß, fand den Schlüssel, schloß die Tür auf und sprang hinaus in den Korridor. Im selben Augenblick flog die Tür mit einem Knall wieder hinter ihm zu. Er war sicher, daß er nicht nur Fitzwolfe hatte kichern hören, sondern noch etwas anderes.

»Was ist denn, Athelstan?« Cranston packte seinen Gefährten und sah erschrocken in das marmorbleiche und schweißnasse Gesicht des Priesters. Er schüttelte ihn. »Bruder, was ist?« Athelstan riß sich aus seinen Gedanken und nahm den Knüppel, den er an die Wand gelehnt hatte. »Kommt, Sir John! Dies ist kein Ort für uns. Überhaupt kein Ort für ein Geschöpf Gottes.«

Cranston machte einen Schritt auf Fitzwolfes Kammertür zu.

»Nein, Sir John! Das meine ich ernst. Geht nicht hinein!« Er polterte die Stiege hinunter, Cranston folgte ihm schwerfällig. Ohne auf den Coroner zu warten, lief Athelstan hinaus in die Gasse. Ächzend und keuchend holte ihn Cranston ein und stellte zahllose Fragen, ohne daß Athelstan reagierte. Der Priester eilte davon, so schnell er konnte; er war entschlossen, möglichst rasch möglichst viel Abstand zwischen sich und die Schenke zu bringen, und er konzentrierte seine ganze Energie und Intelligenz darauf, den Weg wiederzufinden, den Sir John genommen hatte. Endlich hatten sie Whitefriars hinter sich gelassen und waren in eine kleine Straße gelangt, die zur Fleet hinaufführte. Athelstan blieb stehen und lehnte sich an eine Mauer. Er war erschöpft und müde und fühlte sich gebeutelt an Körper, Geist und Seele. Der Coroner musterte ihn.

»Für dich gibt's nur eins, mein Junge«, sagte er dann. »Sir John Cranstons übliches Heilmittel für die Beschwerden des Geistes und des Körpers.«

Und er schob den Ordensbruder in die dunkle, gastliche Wärme einer Schenke an der Ecke. Mit seiner kraftvollen Stimme und seiner Autorität als Justizbeamter des Königs hatte er bald für sie beide ein Plätzchen bei den übereinandergestapelten Weinfässern gefunden, und unverzüglich wurden zwei große Becher Rotwein und eine Schüssel mit würzigem Entenfleisch gebracht. Cranston meinte, das Fleisch könnten sie sich teilen, aber Athelstan schüttelte nur den Kopf; gierig trank er von seinem Wein und genoß die süße Wärme. Bald hatte er den Becher leergetrunken, und Cranston bestellte einen neuen. Behutsam nahm er ihm die Pergamentblätter ab, die Athelstan noch immer fest umklammert hielt. Der Coroner betrachtete sie aufmerksam und brüllte dann nach einer Kerze, damit er sie eingehender studieren konnte.

»Beim Hinterteil einer Fee, Athelstan, was ist denn so furchterregend daran? Schmierige gelbe Seiten aus einer Kirchenakte.«

»Das war es nicht, Sir John.« Athelstan lehnte sich blinzelnd zurück; er hatte seinen Wein zu schnell getrunken, und jetzt war ihm ein bißchen schwindlig. »Hat Fitzwolfe dich bedroht?«

»In gewisser Weise ja.«

Und Athelstan schilderte kurz, was er in der Kammer gesehen und gefühlt hatte. Als er fertig war, tat Cranston einen mächtigen Rülpser und schmatzte.

»Komische Leute, diese Priester«, stellte der Coroner fest und warf Athelstan einen Seitenblick zu. »Sie erfahren Geheimnisse. Sie verdrehen das Gute, um selbst Macht zu erlangen. Nicht alle, aber einige. Manche werden habgierig und häufen Reichtümer auf, manchen gefällt es, zwischen die Bettlaken anderer Männer zu schlüpfen. Und eine kleine Zahl von ihnen strebt nach etwas Größerem: nach magischer Macht.«

»Sir John«, unterbrach Athelstan, »ich weiß, was ich in dieser Kammer gesehen und gefühlt habe.«

»Vielleicht. Aber ich bin schon den besten Zauberern begegnet, Athelstan. Ich weiß, was sie zuwege bringen können, mit Kräutern und Kerzen aus seltsamen Substanzen. Wie der Psalmist schon sagt: ›Es gibt nichts Neues unter der Sonne.«‹ Er tätschelte Athelstan die Hand. »Sicher, Fitzwolfe könnte ein Satansanbeter sein, aber ich habe den Verdacht, er ist bloß ein Gaukler.«

Athelstan seufzte und rieb sich das Gesicht mit beiden Händen.

»Nichts ist besser als der alte Cranston«, murmelte er, »wenn man mit beiden Beinen wieder fest auf den Boden kommen will.« Er schob den Weinbecher von sich. »Den müßt Ihr austrinken. Wir müssen noch nach Blackfriars, und ich möchte nicht, daß der Großinquisitor mich für einen Trunkenbold hält.«

»Bei den Eiern des Teufels, wen interessiert das? Mich hält er ja schon für einen«, erwiderte Cranston. Athelstan griff nach den Pergamentblättern; er studierte sie und versuchte, die enge, gedrängte Handschrift und die in einem solchen Buch üblichen Abkürzungen zu entziffern. Aufmerksam achtete er auf das Datum, das auf jeder Seite über der linken Spalte stand. Es mochten an die fünfzig, sechzig Seiten sein, mit feinem Hanfgarn zusammengebunden, und sie reichten von 1353 bis 1368, dem Jahr, in dem der alte Priester Theobald gestorben war. »Gern würde ich das jetzt alles studieren«, sagte er leise, schaute aber auf die Stundenkerze, die auf einem Bord über den Weinfässern brannte. »Sir John, wir sollten nach Blackfriars zurückgehen. Ich habe dem Pater Prior gesagt, ich möchte ihn und die anderen noch sprechen, und es ist jetzt schon zu spät. Wir sollten zurückkehren, zumindest um unsere untertänigsten Entschuldigungen vorzubringen.«