»Guten Morgen, Master D'Arques«, antwortete Cranston. »Geht es um die Angelegenheit in Eurer Kirche?« fragte der Mann müde. »Aber bitte« - er wies auf die Schemel rund um den Tisch -, »setzt Euch doch.« Er wandte sich an seine Frau. »Margaret - Ale für unsere Gäste.«
Schweigend saßen sie da, bis die Humpen und ein Korb mit Brot auf dem Tisch standen. Allem Anschein zum Trotz spürte Athelstan, daß das Ehepaar zutiefst aufgeregt war. »Genug ist genug«, begann er leise. »Ich bin nicht hergekommen, um mit Euch zu spielen, Master D'Arques. Ihr wißt, daß das Skelett, das unter dem Altar in meiner Kirche gefunden wurde, keinem Märtyrer gehört. Warum? Weil Ihr es dort hingelegt habt. Vor etwa fünfzehn Jahren wollte Pater Theobald den Chor mit Platten auslegen lassen. Nun war er ein armer Priester, und die Einkünfte von St. Erconwald sind karg. Statt also jemanden von der Zunft zu beauftragen, sicherte er sich die Dienste eines jungen Tischlers, der bereit war, auch ein wenig Steinmetzarbeit zu übernehmen. Dieser Tischler wart Ihr.«
Athelstan schwieg, und Raymond legte die Hände vors Gesicht; seine Frau war blaß geworden und preßte die geballte Faust vor den Mund.
»Ich weiß das«, fuhr Athelstan fort, »weil ich das Kirchenbuch gesehen habe: Zahlungen an einen Zimmermann namens Raymond D'Arques - und für die Steinarbeiten an einen Steinmetz, der die Initialen A.Q.D. verwandte, ein Kunstgriff, mit dem er sich vor den aufmerksamen Augen der Zunft verbarg.« Athelstan nahm einen Schluck aus seinem Humpen. »Während der Arbeit im Chor tötetet Ihr — aus noch unbekannten Gründen - eine junge Frau durch Ersticken oder Erwürgen, und dann verscharrtet Ihr sie in einer Grube unter dem Altar. Danach habt Ihr nie mehr als Steinmetz gearbeitet und wart sicher, daß man Euch dieses Verbrechen nicht zur Last legen würde. Ihr wart fortan nur noch Tischler und achtetet sorgfältig darauf, nie wieder Euer altes Zeichen zu benutzen, A.Q.D., die umgestellten Anfangsbuchstaben Eures Nachnamens. Habe ich recht, Master D'Arques?«
Der Mann schaute auf, und Athelstan empfand großes Mitleid beim Anblick seiner starren Augen. »Ihr dachtet, das Verbrechen würde unentdeckt bleiben oder - sollte man das Skelett doch einmal finden - nicht Euch zur Last gelegt werden. Aber dann hörtet Ihr, daß ein neuer Pfarrer in St. Erconwald war, ein Dominikaner, der auch als Schreiber des Coroners arbeitete und entschlossen war, die Kirche zu renovieren. Ihr behieltet St. Erconwald im Auge, und als ich begann, den Chor erneuern zu lassen, da habt Ihr Euren Plan geschmiedet: Ihr habt ein Wunder eingefädelt.«
»Wie denn?« rief die Frau.
Athelstan sah das schlechte Gewissen in ihren Augen. »Ach, kommt!« schnaubte Cranston. »Die Neuigkeit, daß man ein Skelett gefunden hatte, und die Gerüchte, die es zu Überresten eines Heiligen erklärten, die spielten Euch doch nur in die Hände. Ja, gerade auf eine solche Möglichkeit hattet Ihr Euch vorbereitet. Schließlich hattet Ihr jahrelang Zeit, Eure Pläne zu schmieden. Jeder berufsmäßige Bettler kann seinen Körper mit den furchtbarsten Wunden und Geschwüren schmücken und damit noch den geschicktesten Arzt oder Apotheker zum Narren halten, vom alten Master Culpepper mal gar nicht zu reden: Da kommt ein guter, aufrechter Bürger mit einem entzündeten Arm zu ihm; also verbindet er ihn. Ihr wartet ein Weilchen, wascht Euch den Arm, geht hinunter nach St. Erconwald, und simsalabim!, ein Wunder ist geschehen.«
»Andere wurden auch geheilt!« fauchte die Frau. »Ja, darüber habe ich nachgedacht«, sagte Athelstan. »Aber das war alles nichts Ernstes. Der menschliche Geist ist geheimnisvoll in seinem Wirken. Gewisse Beschwerden sind in der Tat verflogen - Koliken, leichte Entzündungen -, was natürlich gefördert wurde durch die unerhörten Behauptungen professioneller Wundersucher, die aus der Hysterie des Volkes nur zu gern ihren Profit schlagen. Ich sage Euch, Mistress D'Arques, wenn ich den Schemel nähme, auf dem ich hier sitze, und behauptete, er sei vom heiligen Joseph gebaut worden, dann würdet Ihr bald die unglaublichsten Geschichten über die Wunder hören, die er bewirken kann.« Er schüttelte den Kopf. »Meine Pfarrkinder haben sich sehnlich gewünscht, daß dieses Skelett einem Märtyrer oder einem großen Heiligen gehören möge. Die Fälscher sahen darin eine Geldquelle. Die Kranken sind stets auf der Suche nach Heilung, und die menschliche Seele ist unersättlich in ihrer Gier nach Wundern und Mirakeln.« Athelstan nahm noch einen Schluck Ale und schob es dann von sich. »Als ich bedachte, was geschehen war, die Akten durchforschte, den Zustand des Skeletts gesehen und das Gutachten Lord Cranstons über die Todesursache gehört hatte, da wußte ich, daß ich es mit einem Mordopfer zu tun hatte. Euer Gatte hat die Platten im Chor verlegt, und es ist kein Zufall, daß die Wundergeschichte bei ihm ihren Anfang nahm.« D'Arques hob den Kopf und umklammerte die Hand seiner Frau. »Ihr habt recht, Pater. Vor ungefähr fünfzehn Jahren war ich ein junger Tischler in der Pfarrei St. Erconwald. Ich liebte den alten Pater Theobald, und als er im Chor gestürzt war, erbot ich mich, dort ein wenig zu arbeiten. Ich kaufte die Steinplatten, schnitt in einem Anfall von Stolz das Zeichen ›A.Q.D.‹ hinein und sagte Pater Theobald, ich könnte sie ihm verlegen, ohne daß er viel Geld an die Zunft bezahlen müßte.« D'Arques fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich hatte ganz vergessen, wißt Ihr, daß ich ›A.Q.D.‹ in die Steine gemeißelt hatte.« Er starrte auf den Tisch. »Zur selben Zeit«, fuhr er dann fort, »begegnete ich Margo Twyford und verliebte mich in sie; sie war die Tochter einer der mächtigen Kaufmannsfamilien auf der anderen Seite des Flusses. Aber ich war jung, und das Blut in meinen Adern war heiß. Es gab eine Prostituierte; sie hieß Aemelia. Sie muß achtzehn, neunzehn Sommer alt gewesen sein. Ich bezahlte sie oft für ihre Dienste. Sie erfuhr von meinem Liebeswerben und fing an, mich aufzuziehen. Dann verlangte sie Geld für ihr Schweigen, und ich zahlte. Sie verlangte mehr. Ich weigerte mich, und da überquerte sie den Fluß, ging zu Margo und erzählte ihr alles.«
»Ich habe sie hinausgeworfen!« zischte D'Arques' Frau mit wutblitzenden Augen. »Ich sagte ihr, lieber sähe ich sie lebendig in der Hölle schmoren, als daß ich Raymond aufgäbe.« Ihre Finger schlössen sich um die Hand ihres Mannes. »Ich dachte, damit sei die Sache erledigt«, fuhr er fort. »Aber eines Abends, am Ende eines schönen Sommertages, kam sie in den Chor, wo ich arbeitete, und verlangte noch mehr Silber. Ich schlug es ihr ab. Sie erzählte, daß sie bei Margo war, und morgen werde sie wieder über den Fluß gehen und den Vater meiner Verlobten aufsuchen. Sie werde es allen erzählen. Ich flehte sie an, das nicht zu tun, aber sie lachte nur und verspottete mich.« D'Arques schloß die Augen. »Ich kann diesen Anblick nicht vergessen: Aemelia, wie sie auf und ab geht, die Hüften schwenkt, die Arme verschränkt, das geschminkte Gesicht haßverzerrt. Pater, ich fiel auf die Knie, ich bettelte, aber sie lachte mich aus. Dann tat sie einen Schritt rückwärts, stolperte und fiel. Im nächsten Augenblick hatte ich mich auf sie gestürzt. Ich hatte meinen Mantel in der Hand und drückte ihn auf ihr Gesicht. Sie wehrte sich, aber ich war jung und stark. Ich hielt sie fest. Sie bäumte sich noch einmal schrecklich auf und lag dann still.« D'Arques trank in tiefen Zügen aus seinem Humpen. »Erst dachte ich, sie sei ohnmächtig, aber sie lag da mit weißem Gesicht und starrem Blick. Pater, was konnte ich machen? Ich konnte nicht mit einer Toten auf dem Arm durch Southwark spazieren. Und warum sollte ich für einen Mord hängen, den ich nicht hatte begehen wollen? Bei meiner Arbeit im Chor der Kirche hatte ich eine Grube unter dem Altar entdeckt, wo die Fundamente eines älteren Gebäudes lagen. Ich zog Aemelia aus und bettete sie mit einem Holzkreuz in den Händen zur Ruhe.« D'Arques rieb sich das Gesicht. »Das übrige könnt Ihr Euch denken. Die Steinplatten im Chor verlegte ich eigenhändig.« Er lächelte Athelstan matt an. »Die Platten lagen nicht gut; es fehlte mir an Geschick, und ich war zu sehr darauf erpicht, die Sache schnell zu Ende zu bringen.« Er drückte die Hand seiner Frau. »Margo habe ich alles gestanden. Aemelia wurde von niemandem vermißt. Die Zeit verging. Pater Theobald starb, und dieser Dreckskerl Fitzwolfe wurde Gemeindepfarrer. Ich konnte den ruchlosen Kerl nicht ausstehen, und so ging ich fortan in eine andere Kirche, nach St. Swithin.«