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Die Angelegenheit in Blackfriars war wie ein Schachspiel. Bis jetzt beherrschte sein Gegner, der im Dunkeln verborgen war, jeden Zug. Athelstan mußte sichergehen, daß ihm die Initiative, die er jetzt ergriffen hatte, nicht wieder aus der Hand genommen wurde.

In seine Küche zurückgekehrt, setzte Athelstan sich hin und schrieb hastig einen kurzen Brief. Dann holte er Wachs und Siegel aus der großen Truhe neben seinem Bett. Er las den Brief noch einmal, fand ihn angemessen, schmolz das Wachs und brachte sein Siegel an. Eine Stunde später rannte Crim, der inzwischen längst nicht mehr an Zwiebeln dachte, wie ein Hase über die London Bridge. Er hielt Athelstans Brief fest in der Hand, und seine Lippen wiederholten atemlos die Anweisungen, die der Bruder ihm mitgegeben hatte. Kurz vor Sonnenuntergang kamen Pike und Watkin nach St. Erconwald zurück. Pike hatte ein Stück Segeltuch, einen Kiefernholzsarg und etwas Seil besorgt. In einer kläglichen Zeremonie wurde das Skelett der früheren Hure Aemelia in ein Leichentuch gehüllt und vor dem Altar aufgebahrt. Athelstan kehrte, begleitet von dem neugierigen Bonaventura, in die Kirche zurück, zündete die Kerzen an und begann, mit einem purpurfarbenen Chormantel angetan, die Begräbniszeremonie. Pike und Watkin standen zu beiden Seiten der jämmerlichen Überreste, während Athelstan die Engel beschwor, hervorzukommen und die Seele dieses Menschen aufzunehmen. Sorgfältig achtete er darauf, den Namen der Frau nicht zu erwähnen. Er ließ Weihrauch über den Sarg wehen und segnete ihn mit Weihwasser; dann ging er voraus, gefolgt von Watkin und Pike, die den Sarg trugen, und sie brachten die Tote zu dem flachen Grab in der hinteren Ecke des Friedhofs. Im schwindenden Licht las Athelstan die letzten Gebete. Er segnete das Grab, hob einen Erdklumpen auf und warf ihn hinunter, daß es wie Regentropfen auf dem

Holzdeckel prasselte. Er legte seinen Chormantel ab und half Watkin und Pike, das Grab zuzuschaufeln. »Sollen wir es so lassen?« fragte Pike.

Athelstan wischte sich den Lehm von den Händen und machte ein trauriges Gesicht.

»Nein, nein, das wäre nicht recht. Pike, frag Huddle morgen, ob er ein Kreuz machen kann. Etwas Einfaches.«

»Soll ein Name draufstehen?«

»Nein.« Athelstan schaute in den dunkler werdenden Himmel hinauf und betrachtete den Abendstern, der wie ein Diamant am Firmament funkelte. »Sag Huddle, er soll hineinschnitzen: ›Lieber Jesus, gedenke der Magdalenas«

»Da wird er aber nicht wissen, was das bedeuten soll.«

»Was macht das? Christus weiß es.«

*

Früh am nächsten Morgen traf sich Athelstan an der Ecke der Bowyer's Road mit Cranston. Sie gingen in eine Schenke, deren Wirt sich über die städtischen Vorschriften zu den Öffnungszeiten hinwegsetzte. Cranston bestand darauf zu frühstücken, und obwohl Athelstan leise fluchte, wußte er, daß dies weder die Zeit noch der Ort war zu widersprechen. Die überschwengliche Stimmung, die der Coroner am Tag zuvor gezeigt hatte, war verflogen, und Athelstan hatte den Verdacht, daß er bereits an seinem wunderbaren Weinschlauch gewesen war. Sie speisten Bier und Haferkuchen zum Frühstück, und der Coroner kaute mürrisch auf seinem Essen, während er in mittlere Fernen starrte. »Zum Teufel mit Lord Gaunt!« flüsterte er. Athelstan berührte sanft seine Hand. »Sir John, Ihr dürft mich jetzt nicht ausfragen, aber ich glaube, ich habe eine Lösung.«

Die Veränderung in Cranstons Gesicht war wunderbar. Seine Augen wurden lebhaft vor Aufregung, und seine mürrische Miene löste sich in einem Grinsen auf, das von einem Ohr zum anderen reichte. Er brüllte fingerschnippend nach mehr Bier und stieß Athelstan heftig in die Rippen, wollte ihn dazu bringen, daß er von seinen Schlußfolgerungen erzählte. Aber als der Ordensbruder sich nicht bewegen ließ, verfiel Cranston wieder in mißmutiges Schweigen. »Ich kann Euch noch nichts sagen; ich muß erst sicher sein. Bis dahin bestehe ich darauf, für mich zu behalten, was ich weiß. Schließlich trinkt Ihr ziemlich viel, Sir John.«

»Blödsinn!«

»Doch, Sir John, und wenn Ihr einen Rausch habt, dann beginnt Ihr zu prahlen, und das könnte die ganze Situation belasten.«

»Der junge König selbst hat die Lösung in einem versiegelten Umschlag.«

»Sir John, es soll schon vorgekommen sein, daß solche Dokumente ausgetauscht wurden.«

»Titten und Eier!« erwiderte Cranston. »Solche Bemerkungen, Sir John, sind nicht hilfreich und zeigen wenig Dankbarkeit für das, was ich getan habe.«

»Dankbarkeit! Dankbarkeit!« äffte Cranston ihn schneidend nach. Er hob seinen Humpen, trank ihn leer und setzte ihn mit lautem Schlag wieder auf den Tisch; dann kehrte er Athelstan halb den Rücken zu wie ein schmollender Junge. »Wie geht es den Kerlchen?« fragte Athelstan mild. »Herrliche, ganz herrliche Buben!« brummte Cranston. »Und Lady Maude? Liebreizend wie immer?« Cranston warf einen bösen Blick über die Schulter, und Athelstan wußte, woher Sir Johns Unbehagen rührte. »Verstehe«, sagte er.

Sir John schnaubte kurz und drehte sich wieder um. »Athelstan, tut mir leid. Aber ich komme mir vor wie ein Bär mit Kopfschmerzen.«

Athelstan widersprach lieber nicht. »Habt Ihr meine zweite Nachricht erhalten?«

»Ja, und binnen einer Stunde war der schnellste Kurier der Stadt unterwegs nach Norden, und er hatte ein Pferd zum Wechseln dabei. Ich habe getan, was ich konnte.«

»Dann, Sir John, wollen wir sehen, was wir in Blackfriars tun können.«

Den furchtbaren Todesfällen zum Trotz, die sich dort ereignet hatten, schien das Kloster zu seinem üblichen, heiter-stillen Alltagsleben zurückgekehrt zu sein. Der Pförtner ließ sie herein, und Bruder Norbert begrüßte sie freundlich, übergab ihre Pferde einem Roßknecht und führte sie zum Gästehaus. »Alle Bücher sind jetzt da«, verkündete er stolz. »Jedes einzelne. Allerdings vermute ich, die Brüder wissen inzwischen, daß Ihr etwas sucht.« Der junge Laienbruder lächelte Cranston an. »Und es gibt Met, Ale und Wein für Euch, Sir John. Ich denke, Eure Suche wird lange dauern.« Er hatte recht. Im oberen Gemach erwarteten sie noch mehr dicke, ledergebundene Bücher. Cranston stöhnte auf und sauste pfeilschnell die Treppe hinunter in die Speisekammer. Athelstan wusch sich Gesicht und Hände und machte sich sofort wieder an die Arbeit, hin und wieder unterstützt durch Sir John.

Als es Nacht wurde, bat Athelstan Norbert um weitere Kerzen und versenkte sich in seine Studien; nur gelegentlich machte er eine kleine Pause, um einen Happen zu essen oder einen Schluck verdünnten Wein zu trinken. Irgendwann schlief er über den Büchern ein, wachte mit schmerzendem Rücken und verkrampften Schultern wieder auf und setzte seine Suche fort. Am nächsten Morgen las er gleich nach dem Morgengrauen die Messe; ins Gästehaus zurückgekehrt, bemühte er sich, Cranstons Schnarchen zu ignorieren, und griff nach dem nächsten Band, um die Pergamentseiten durchzublättern. Cranston wachte auf und behauptete, er habe rasenden Durst. Athelstan nickte geistesabwesend, und Sir John wusch sich, zog sich an und ging hinüber ins Refektorium. Als er zurückkam, beschrieb er in allen Einzelheiten, was er gegessen hatte. Athelstan hörte nicht zu, und schließlich nahm der Coroner mißmutig und widerspenstig einen der kleineren Bände zur Hand und knurrte lautstark: »Hildegarde! Hildegarde! Zum Teufel mit Hildegarde!« Am Mittag kamen der Prior und die anderen Mitglieder des Generalkapitels zu Besuch. Alle hatten sich vom Schrecken der Entdeckung im Chor erholt und standen jetzt kühl und einigermaßen distanziert beieinander in der Küche; sie wollten sich nicht setzen und auch nichts essen oder trinken. William de Conches und Eugenius schauten Athelstan verächtlich an, und Henry von Winchester legte bemühte Geduld an den Tag, um seinen Verdruß zu verbergen, während die Brüder Niall und Peter aus ihrem Ärger über die lange Verzögerung der Angelegenheit keinen Hehl mehr machten. »Wir können nicht ewig hierbleiben, Bruder Athelstan«, erklärte Peter nachdrücklich. »Die Sache muß zu einem Ende gebracht und über Bruder Henrys These ein Urteil gefällt werden. Bruder Niall und ich müssen heimkehren, und der Großinquisitor und sein Gehilfe haben eine weite Reise vor sich.«