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Als der Coroner nicht antwortete, stemmte Athelstan sich auf dem Ellbogen hoch und sah, daß Sir John bereits schlummerte; er saß wie ein großes Baby auf der Bettkante, nickte mit dem Kopf und schmatzte. Athelstan stand auf, machte es dem Coroner so bequem wie möglich, legte sich in sein eigenes Bett und schlief gleich ein.

DREIZEHN

Bruder Norbert weckte die beiden am späten Nachmittag und fragte, ob alles in Ordnung sei. Athelstan bedankte sich schlaftrunken murmelnd und sagte, die Bücher könnten in die Bibliothek zurück. »Habt Ihr gefunden, was Ihr suchtet?«

Athelstan rieb sich die Augen und gähnte. »Ja und nein, Bruder.« Er lächelte, als er Norberts verständnisloses Gesicht sah. »Ich kann nur sagen, wir müssen ein Weilchen warten, Sir John und ich.« Er schaute den Coroner an, der auf der Bettkante hockte und gähnte wie ein Kater. »Mylord Coroner und ich haben uns jetzt um andere Dinge zu kümmern.«

Cranston und er wuschen sich und halfen Norbert und einigen anderen Laienbrüdern, die Bücher in die Bibliothek zurückzutragen. Danach gingen die beiden im Obstgarten spazieren. Sie verbannten aus ihren Gedanken, was sie bei ihrem letzten Besuch hier gesehen hatten, und freuten sich am süßen, aromatischen Duft der reifenden Früchte. »Wir kommen hier nicht weiter«, stellte Cranston fest, »bis der Bote aus Oxford zurückkommt. Ich habe Lady Maude die Anweisung hinterlassen, ihn zu uns weiterzuschicken, egal, wo wir gerade sind.« Er blieb stehen und sah Athelstan an, und sein Blick zeigte nichts von dem gewohnten Bombast und seiner Arroganz. »Bruder, morgen abend um sieben soll ich in die Halle des Lord Gaunt zurückkehren und die Lösung zum Rätsel des Italieners vortragen.« Er faßte Athelstan bei der Schulter. »Ich vertraue auf dich, Bruder. Ich glaube, du hast die Lösung. Ich weiß, du hast sie. Bitte, verrate sie mir.« Cranston hob seine große, fette Hand. »Ich schwöre beim Leben meiner Kerlchen, daß ich den Mund halten und niemandem erzählen werde, was du mir anvertraust.«

»Seid Ihr sicher, Sir John?«

»So sicher, wie mein Bauch dick und leer ist.«

»Dann, Mylord Coroner, sollte ich meine Hypothese vielleicht zunächst auf die Probe stellen.«

Nach dem Abendessen ging Athelstan mit Cranston zurück in ihre Schlafkammer.

»Gut, Sir John, dann beginnen wir noch einmal von vorn. Wir haben eine Kammer ohne geheime Zugänge oder Falltüren, und doch geschehen hier vier Morde: Ein junger Mann, ein Kaplan und zwei Soldaten verlieren das Leben. Keines der Opfer hat etwas gegessen oder getrunken, und es gehört zu dem Geheimnis, daß niemand den Raum betreten hat, so daß auch kein Unbekannter die Hand im Spiel gehabt haben kann.« Athelstan zuckte die Achseln. »Nun lehrt uns die Logik, immer nach dem gemeinsamen Nenner zu suchen, nach einem Faktor, der allen Dingen gemeinsam ist. Dies also ist meine Lösung.« Er band seine Satteltaschen auf und legte etliche Gegenstände auf das Bett. Cranston sah aufmerksam zu, wie Athelstan ihre Schlafkammer in das Mordzimmer verwandelte und vorführte, wie jeder der Männer gestorben war, während er dem verblüfften Coroner eine einleuchtende Erklärung gab, warum es geschehen war.

»Das kann nicht sein!« hauchte Cranston. »Das ist unmöglich!«

»Sir John, das ist die einzige Erklärung. Und jetzt will ich es Euch beweisen, indem ich Euch als mögliches Opfer nehme.« Eine Stunde später mußte Cranston widerwillig zugeben, daß Athelstans Schlußfolgerung die einzig annehmbare sei.

»Das will ich hoffen«, erwiderte dieser fröhlich. »Denn bei Gott, Sir John, eine andere Antwort wüßte ich nicht.«

»Und wenn du dich irrst?« brummte Sir John. »Wenn wir etwas vergessen haben? Was dann, he? Woher kriege ich das Geld, um den Fürsten von Cremona zu bezahlen?« Athelstan ließ das Gesicht in die Hände sinken. Er liebte Cranston wie einen Bruder, aber manchmal war der Coroner wie ein quengelndes Kind. Dennoch, er hatte nicht unrecht. Dies war kein simples Gedankenspiel, eines jener Rätsel, wie sie bei den Philosophen von Oxford und Cambridge so beliebt waren. Cranstons Ruf, sein Ansehen als hoher Beamter der Justiz, stand auf dem Spiel. Der Ordensbruder stand auf.

»Darauf weiß ich keine Antwort, Sir John. Ich muß jetzt zum Pater Prior. Ich muß ihm sagen, daß wir morgen fortgehen und erst am Sonntag zurückkommen.« Er klopfte Sir John auf die Schulter. »Schlaft ein wenig. Ihr werdet morgen einen wachen Verstand brauchen.«

Aber als Athelstan zwei Stunden später wiederkam, saß Cranston natürlich da und hielt seinen wunderbaren Weinschlauch im Arm, als wäre es eines seiner Kerlchen. »Ich hatte noch eine andere Sache mit dem Pater Prior zu besprechen.«

»Was hast du da in der Hand?« Cranston deutete auf die kleine Pergamentrolle, die Athelstan in seine Satteltasche stopfen wollte. »Nichts, Sir John.«

Cranston tat einen Seufzer. »Du bist ein alter Geheimniskrämer, Athelstan. Aber ich bin zu müde.« Cranston warf seine Kleider ab und ließ sich mit lautem Krach auf das Bett plumpsen; Athelstan hielt es für ein Wunder, daß er nicht mitsamt seinem Bett geradewegs durch den Fußboden sauste. Nach wenigen Augenblicken schnarchte der gute Coroner. Athelstan sprach seine Gebete, aber diesmal war es weniger das kirchliche Stundengebet als vielmehr die Bitte, seine Lösung für Cranstons Rätsel möge die richtige sein. Den nächsten Tag verbrachten sie damit, ihre Schlußfolgerung zu erproben. Cranston schickte Bruder Norbert zu seinem Haus in der Cheapside, um zu sehen, ob der Bote aus Oxford zurückgekommen war, und der Lady Maude und seinen beiden Kerlchen die besten Wünsche zu übermitteln. Als Norbert zurückkam, war er voll des Lobes für die gnädige Lady Maude und der Bewunderung für Cranstons springlebendige Jungen. Aber ein Bote, erklärte er, nein, ein Bote sei nicht gekommen.

Cranston und Athelstan verließen das Kloster Blackfriars am frühen Abend. Der Coroner wollte sich in einer der Schenken am Flußufer erfrischen; danach mieteten sie ein Fährboot, das sie flußabwärts zum Palast des John von Gaunt bringen sollte. Schon als die Barke von der Flußmitte zum Ufer steuerte, sahen sie, daß Gaunts Haushalt sie erwartete. Die Kunde von Cranstons Wette hatte sich anscheinend bei Hofe herumgesprochen. Seidengeschmückte Barken glitten bereits auf den privaten Kai zu, wo Bedienstete in Gaunts Livree mit brennenden Fackeln warteten. Über ihnen knatterten Banner mit den königlichen Wappen von England, Frankreich, Kastilien und Leon im Wind, der vom Fluß her wehte.

Als Cranston und Athelstan an Land kamen, wurden sie von einem in strahlenden Goldbrokat gekleideten Kammerherrn mit weißem Amtsstab mit goldener Spitze begrüßt und durch die Menschenmenge auf hellerleuchteten Gängen in die Große Halle geführt, die zu diesem Anlaß prächtig hergerichtet war. Auf dem schwarzweißen Marmorboden standen weich gepolsterte Bänke für die Zuschauer, und die Wände waren mit farbenprächtigen Teppichen bedeckt. Diskret standen

Bewaffnete in silbernen Brustpanzern und mit gezückten Schwertern davor. Der mächtige Eichenholztisch auf der Estrade leuchtete im Glanz von Hunderten von Bienenwachskerzen, so daß das hintere Ende des Raumes fast so hell strahlte wie an einem herrlichen Sommertag. Der Kammerherr geleitete sie auf die Estrade und zu den Stühlen, die dort in weitem Halbkreis hinter dem Tisch standen.

»Ihr sollt hier warten«, erklärte er. »Seine Gnaden, der Herzog von Lancaster, und andere Mitglieder des Hofes speisen allein.«

Cranston spürte die Geringschätzung, die in den Worten des Mannes lag.

»Wie heißt Ihr, Kerl?«

»Simon, Sir John. Simon de Bellamonte.«

»Nun, Simon«, sagte Cranston zuckersüß, »wir sind nicht hier, um uns anstarren zu lassen. Ihr werdet die Tür der Halle geschlossen halten und meinem Schreiber und mir zwei große Becher vom berühmten Rheinwein des Lords von Gaunt servieren, den er in den Kellern dort unten kühl hält.«